Ein Widerständiger gibt keine Ruhe

Das filmische Werk des Autors und Regisseurs Thomas Brasch ist sehr gut dokumentiert und zusammen mit zahlreichen Interviews auf DVD erschienen

Von Karen RauhRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karen Rauh

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich habe keine schnellen Sätze, ich habe lange Fragen“, sagte Thomas Brasch in einem Interview. Diese langen Fragen waren der Grundtenor seiner Arbeit als Künstler, und die gestaltete sich bei dem Ausnahmetalent Brasch sehr vielfältig: Theaterstücke, Prosatexte, Gedichte, Fernseh- und Kinofilme.Typisch für ihn war dabei, dass er oft genreübergreifend arbeitete: Prosatexte verwandelte er in ein Hörspiel, Gedichte in ein Stück und ein Stück in einen Film. Dahinter steckt eine komplexe Kunstauffassung: Denn Kunst beinhaltete für Brasch den Wunsch „nach einer Alternative zu der Art, wie wir leben. Es gibt in jeder Beschreibung etwas, das gleichzeitig der Stachel und die Aufforderung ist, die Verhältnisse zu ändern“, so Brasch.

Mit immer neuen Genrekombinationen hoffte er, dieser Alternative näher zu kommen. Zugeständnisse an öffentliche Befindlichkeiten machte er dabei nicht. So waren auch seine vier Filme Stachel im Fleisch einer bigotten Politik, die nicht sehen wollte, dass beide deutsche Systeme an einer nicht aufgearbeiteten Vergangenheit krankten. Indem er in jedem seiner Filme zeigte, dass mit dieser Form von Geschichtsverarbeitung die zeitgenössische Gegenwart vergiftet wurde, übte Brasch beharrlich Widerstand.

In „Engel aus Eisen“, 1981 gedreht, riss er der selbstzufriedenen deutschen Nachkriegszeit die Maske vom Gesicht. Brasch erzählt darin die Geschichte von Werner Gladow, eines jungen West-Berliner Kleinkriminellen, der auf den traumatisierten Scharfrichter Völpel trifft. Völpel musste im Auftrag der Alliierten die Todesurteile für die Alliierten vollstrecken. Sie tun sich zusammen und begehen bald darauf im Berlin der Nachkriegszeit Raubüberfälle im großen Stil. Eine unglaubliche Geschichte, die noch unglaublicher wird, wenn man weiß, dass es die Gladowbande tatsächlich gab.

Diese Gescheiterten und Verstörten, die von der Gesellschaft einen Platz am Rande zugewiesen bekamen, faszinierten Brasch. Ihre Spuren fand er in beiden deutschen Staaten. In der DDR war er seit 1968 durch seinen Protest gegen das Vorgehen sowjetischer Truppen in Prag politisch diskeditiert. Die Arbeits- und Publikationsbedingungen verschlechterten sich von Jahr zu Jahr. Schließlich entschloss sich Brasch 1976 zur Ausreise in die BRD. Hier hatte er zwar die Freiheit zu publizieren und Filme zu drehen, seinen kritischen Blick auf die ihn umgebende Gesellschaft behielt er allerdings bei. Die westdeutsche Öffentlichkeit befremdete er nicht nur durch sein beharrliches Festhalten an seiner Idee eines utopischen Sozialismus, sondern auch durch seine strikte Weigerung den Vorzeige-Dissidenten zu spielen. Von Opferbekundungen im Scheinwerferlicht hielt er sich Zeit seines Lebens fern.

Als skeptischer Analytiker seiner Zeit war Thomas Brasch ein gefürchteter Interviewpartner. Nie ließ er sich in eine bestimmte Richtung drängen oder für ein Thema vereinnahmen. In der Verteidigung seiner Meinung war er kompromisslos. Die der Filmedition beigefügten Interviews sind daher einzigartig, weil sie nie dem „Drehbuch“ des Interviewpartners folgten, sondern allein durch die Präsenz Braschs bestimmt waren. Fritz R. Raddatz sah im Interview sogar eine für Brasch eigene, ihm gemäße Kunstform.

Nach „Engel aus Eisen“ folgte 1982 „Domino“ und 1984 eine niederländische Fernsehproduktion auf der Grundlage von Braschs Theaterstück „Mercedes“. 1988 konnte er für „Der Passagier – Welcome to Germany“ als Hauptdarsteller Tony Curtis gewinnen. Neben einer grandiosen, verstörenden Geschichte ist „Der Passagier“ auch filmkünstlerisch ein Meisterwerk. Curtis spielt einen amerikanischen Regisseur, der in Deutschland einen Film über KZ-Insassen drehen will, die 1942 als Komparsen bei der Produktion eines Prestigefilms der nationalsozialistischen Filmwirtschaft verpflichtet wurden. Es ist ein Film über den Dreh eines Filmes, der den Dreh eines Filmes zum Thema hat. Die Wirklichkeit wird auf diese Weise mehrfach gebrochen, was wirklich gewesen ist, wird zum Ende des Films hin, immer unwirklicher. Dieser Eindruck verstärkt sich noch durch das von Brasch angewendete Bildformat „over shoulder“, das zur Metapher für einen Blick wird, der eine bedrohliche Szene nicht sehen will, doch vom Regisseur genötigt wird, hinzusehen. Das ist dramaturgisch brillant, denn im Laufe der Handlung stellt sich heraus, dass der von Curtis gespielte Regisseur als Protagonist damals am Dreh des Nazifilms selbst mit dabei war.

Die Wirklichkeit war für den Filmemacher Brasch immer ein wichtiger Bezugspunkt. In seinen Filmen wollte er aber nicht die Realität wiedergeben, sondern eine reflektierte Form davon. Das legte er schon mit der Farbgebung fest – alle seine Filme sind ganz oder teilweise in Schwarzweiß gedreht. Brasch: „Ich mag Buntfilme nicht, das heißt Filme, in denen Farben unkontrolliert wie im Leben vorkommen.“ Kunst entstand für Brasch aus dem Leben heraus, aber sie spiegelte es nicht wieder. Sein Produzent Joachim von Vietinghoff bringt es auf den Punkt: „Thomas wollte seine Gedichte auch in Bildern erzählen und das ist ihm gelungen.“

Kein Bild

Thomas Brasch: Filme. Engel aus Eisen, Domino, Der Passagier, Mercedes.
540 min.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
39,90 EUR.
ISBN-13: 9783518135167

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