Linguistisches Kaleidoskop

Thomas Steinfeld hat einen „Sprachverführer“ verfasst

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sprache und Sprachgeschichte scheinen wieder auf ein breiteres Interesse zu stoßen – dies suggerieren zumindest verschiedene Neuerscheinungen, die sich diesem Themenkreis widmen, wie etwa die 2008 und 2010 erschienenen Bücher von Guy Deutscher („Du Jane, ich Goethe“ und „Im Spiegel der Sprache“), die einem linguistisch interessierten, allgemeinen Publikum Sprachgeschichte auf kurzweilige Art nahebringen und für das deutschsprachige Publikum in (adaptierter) deutscher Übersetzung vorliegen.

Explizit mit der deutschen Sprache beschäftigt sich Thomas Steinfeld in seiner aktuellen Publikation, deren Beiträge zurückgehen auf Steinfelds mehrjährigen Aufenthalt als Auslandsgermanist an der Universität Montréal (Kanada). Dem Band liegt die Erfahrung mit Deutsch-Lernenden zugrunde, die Erklärungen verlangen, wo beim Muttersprachler Selbstverständlichkeit herrscht. Entsprechend illustrieren die insgesamt 33 Texte die Besonderheiten der deutschen Sprache im linguistischen und kulturellen Kontext und bieten auf 270 Seiten interessante Einblicke in Sprachgeschichte einerseits und sprachliche Phänomene andererseits, zumeist dargestellt an Beispielen aus der deutschsprachigen Literatur beziehungsweise an dem, was deren Vertreter typischerweise zu Papier gebracht haben. Auf diese Weise ergibt sich zum einen ein recht detailliertes Bild der Entwicklung des Deutschen, das von der Kanzlei-, Kultur- und Wissenschaftssprache über die Sprache der Dichter und Denker bis hin zu den Herausforderungen reicht, denen sich (auch) das Deutsche im Zeitalter der digitalen Medien gegenüber sieht.

Auf der anderen Seite formt sich ein Kaleidoskop der grammatischen, syntaktischen und semantischen Eigenheiten des Deutschen und, wie nebenbei, ein Exkurs durch die sprachlichen Eigenheiten einiger deutschsprachiger Schriftsteller, durch lange und kurze Sätze, Verb-, Partizip- und Substantivkonstruktionen, bildhafte und nüchterne und sogar beschädigte Sprache, wie Steinfeld sie bei Elfriede Jelinek ausmacht.

Die Sammlung ist das, was man landläufig eine sinnvolle Zweitverwertung nennt – was einst den Studenten häppchen-, semester- und sicher manchmal auch nur auszugsweise serviert wurde, steht nun in konzentrierter Form all jenen zur Verfügung, die Spaß an der Sprache haben und/oder diese zuweilen auch erklären können möchten, sollen oder müssen. Dabei sind die Verwendungsmöglichkeiten vielfältig: vom reinen Lesegenuss für Sprachinteressierte bis hin zu sorgsam ausgewählten Auszügen für besonders grammatik- und stilresistente SchülerInnen bietet das Buch ausreichend Material für eine breite und durchaus heterogene Rezipientenschaft.

Dass nicht nur der sprachlichen Virtuosität der „Klassiker“ gehuldigt, sondern auch linguistische Eigenheiten der Moderne und sogar stilistisch-syntaktisch-semantische Unarten hier entlarvter Schreiber vorgestellt werden, trägt wesentlich zum Facettenreichtum dieses Bandes bei.

Will man jedem einzelnen der handlichen Texte gerecht werden, wird man das Buch kaum an einem Wochenende lesen wie einen Krimi oder eine spannende Liebesgeschichte, sondern in wohldosierten Einheiten aufnehmen, um die Texte und deren Inhalte angemessen wirken zu lassen. Der sehr aufmerksame Rezipient wird sicher auch eine ganz individuelle „Hitliste“ erstellen und für sich unterscheiden zwischen sehr gelungenen, gelungenen und guten Texten und vielleicht sogar den einen oder anderen nicht ganz so gelungenen ausmachen.

Dies tut aber der Sammlung keinen Abbruch, denn es tut einfach nur wohl, in Zeiten der Auswirkungen von Rechtschreibreform und Sprachverflachung, im Dunstkreis schlechter Bücher in noch schlechterem Deutsch und im Debatten-Nebel über vereinfachte Schullektüre und abhanden gekommene Sprachkompetenz ein Buch in den Händen zu halten, das Sprache nicht nur als das präsentiert, was sie ist – ein wundervolles Instrument, das virtuos zu beherrschen ein unbeschreiblicher Genuss ist –, sondern das zuweilen auch vermeintliche Virtuosen gekonnt in die Schranken des Dilettantentums verweist.

Titelbild

Thomas Steinfeld: Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann.
Carl Hanser Verlag, München 2010.
256 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446234161

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