Wie gutartige Männer Schluss machen

Ruth Landshoff-Yorcks Nachlassroman über die Tiefen der Pariser Hölle

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Besuch Venedigs im letzten Buch geht die Reise diesmal also nach Paris. Wurde dort noch Schätzen nachgejagt, wird nun ein Mörder gesucht. Damit soll dessen Geschlecht keineswegs präjudiziert sein, könnte es sich doch auch um eine Mörderin handeln. Auf diese Idee scheint aber niemand zu kommen. Und sollte es nicht gelungen sein, ihn – oder sie – dingfest zu machen, so dürfte der Fall inzwischen dennoch zu den Akten gewandert sein. Liegt er doch länger als ein halbes Jahrhundert zurück. Solange nämlich staubte Ruth Landshoff-Yorks Manuskript unpubliziert in diversen Verlagsschubladen und anderswo vor sich hin. Nun nahm sich dankenswerter Weise der Aviva Verlag des Textes an, der damit nicht zum ersten Mal ein Werk der heute ganz zu Unrecht nicht mehr sehr bekannten Autorin veröffentlicht.

Ihr in kurzen, schnörkellosen Sätzen geschriebener Roman mit dem unglücklichen, jedoch nicht von ihr zu verantwortenden Titel „In den Tiefen der Hölle“ bedient sich eines nüchtern sachlich-zurückhaltenden Stils ohne jede Effekthascherei. Dabei ist er von einem trockenen Humor, der sich öfter in nachgeschobenen Relativierungen oder gar Negationen unmittelbar zuvor fast apodiktisch vorgebrachter Behauptungen äußert. Dies und manch anderes machen die Lektüre zu einem reinen Vergnügen, mehr noch zu einem großen Genuss.

Ruth Langhoff-York bricht schon auf den ersten Seiten mit dem ungeschriebenen Gesetz des Krimi-Genres, ebendort den Mörder auftreten zu lassen. Oder vielleicht doch nicht? Jedenfalls treten das Verbrechen und seine Aufklärung im Laufe des Romans überhaupt immer mehr in den Hintergrund. Vorübergehend zumindest. Derweil bietet er diverse Weisheiten über die Angehörigen des männlichen Geschlechts, die etwa besagen, dass es „Unsinn“ sei, zu glauben „ein Mann sei im Grunde wild“. „Ganz im Gegenteil: „Ein Mann ist freundlich und gutartig, kann die ganze Zeit über, bis zum Schluss, gutartig sein. Bis zum bitteren Ende.“ Über MörderInnen wiederum erfährt man, dass es sich bei ihnen um „komische Leute“ handelt. Auch ist die Welt (nicht nur) des Romans „nicht besonders gut eingerichtet, und die Leute, die darin wohnen, machen ungeschickte Fehler und irren sich meistens.“

Dafür aber sind sie höchst unterhaltend, diese Leute beziehungsweise die Figuren des Romans, in deren Innenleben die Erzählstimme nicht immer ganz diskrete Blicke wirft und die Lesenden so mit deren kleinen Schwächen und großen Spleens vertraut macht. Als einer der Handlungsträger zu nennen wäre zunächst der „berühmte“, vor allem aber misanthropische Dr. Lorme, seines Zeichens Chef der psychiatrischen Abteilung am städtischen Polizeidépartment, sodann seine Sekretärin, „der Inbegriff von Pariser Eleganz und Chic“, die allerdings auch „jenen mütterlich ironischen Ausdruck“ beherrscht, „den die Frauen haben, wenn sie sich Männern überlegen fühlen“, sein Freund, der ziemlich verständnislose Innenminister, und nicht zuletzt diverse Frauenleichen. Aus der Vergangenheit eines der Handlungsträger tritt dann noch Rosita hinzu, eine ausnehmend bösartige Hexe.

Vom „größeren Publikum“ hält Lorme wenig, was man den Leuten als Mordmotiv nennt, „konnte höchst dumm sein, das machte nichts, wenn es nur parallel lief mit ihrem Halbwissen, ihren Vorurteilen …. Er hat seine Mutter umgebracht, weil sein Vater vor vielen Jahren sein Schaukelpferd zerbrochen hatte – Die Städter würden sagen, das verständen sie, vielleicht sogar, das verziehen sie … Er tötete diesen prominenten Sänger, weil er eine unglückselige Kindheit hatte … Na klar. Das sahen einfach alle Halbgebildeten mit Wonne ein.“ Ansonsten ist Lorme der Überzeugung, dass Verstehen keineswegs vergeben heißt, sondern sich zu langweilen. Ein Serienkiller, der ein Dutzend Frauen lebendig eingemauert hat, so weiß er, ist „normal, bis auf die Momente des Irrsinns. Das heißt, er ist nur dann ein Mörder, wenn er die Frau in seinen Armen tötet. Und wenn er sie aufrecht einmauert, so ist er bestimmt unkonventionell. Aber er handelt ganz vernünftig. … die meisten Verbrecher sind normale Leute, bis zum Zeitpunkt des Verbrechens. Aber dieser kurze Moment des Wahnsinns entschuldigt ihre Handlung doch nicht, denn er hätte den Moment versäumen können … Er hätte den Moment abwarten können, auswarten.“

Angesichts dieses Herrn Dr. Lorme – der übrigens sehr wohl weiß, wovon er spricht – kann es nicht ausbleiben, dass mancher augenzwinkernde Seitenhieb gegen die Psychoanalyse geführt wird und sich etwa eine der Protagonistinnen als „gutes Kind ihres Jahrhunderts“ in einer „Selbstanalyse“ versucht. Und auch sonst wird munter drauflos psychologisiert. „Malen ist gesund“, meint etwa ein Maler, „du verdrängst nichts, wenn du Künstler bist.“ Überhaupt ist dieser Künstler ein Mann mit eigenen Ansichten. So sinniert er darüber, ob es nicht vielleicht besser wäre, „wenn es mehr Mörder gäbe“. Er selbst zum Beispiel könne „herumgehen und schlechte Menschen töten. Egoisten, grausame Leute. Dumme Männer und Weiber. Hässliche Kinder. Neidische alte Jungfern.“ Ob aber die Frauenleichen des Romans zu Lebzeiten alle Jungfern waren, erfährt man nicht.

Dem Roman ist ein Nachwort von Walter Fähnders beigegeben, der sich in den letzten Jahren zunehmend als Kenner der Autorin und ihres Werks profiliert hat. Hier lässt er Ruth Landshoff-York noch einmal selbst zu Wort kommen. „Erst sieht es so aus als sei alles netter Quatsch und ohne es recht zu merken sitzt man ploetzlich im blutigen Ernst“, schrieb sie über ihren Roman. Wer es wagt, dort Platz zu nehmen, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.

Titelbild

Ruth Landshoff-Yorck: In den Tiefen der Hölle.
Hrsg. von Walter Fähners.
AvivA Verlag, Berlin 2010.
269 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-13: 9783932338441

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