Nicht jeder Goldschmied ist ein Glücksschmied

15 frühe Geschichten des Argentiniers Ricardo Piglia erzählen vom ganz normalen Leben in Zeiten der Militärdiktatur

Von Dorothée LeidigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothée Leidig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Berichten und Buchbesprechungen zum Gastland Argentinien der Frankfurter Buchmesse 2010 steht die „junge“ argentinische Literatur und ihre Verarbeitung der Diktatur im Vordergrund. Den Namen Ricardo Piglia findet man hier nur selten erwähnt, obwohl der 1941 geborene Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Essayist schon beinahe zu den Klassikern der argentinischen Literatur gehört; in seiner Heimat ist er dementsprechend prominent. Hierzulande ist das Werk Piglias nur einem relativ kleinen Publikum vertraut. Im Frühjahr 2010 hat Klaus Wagenbach in der bibliophilen Salto-Reihe ein schmales Bändchen mit 15 Erzählungen Ricardo Piglias herausgebracht, die den bislang noch nicht ins Deutsche übersetzten Erzählbänden „La invasión“ (1967) und „Nombre falso“ (1975) entnommen sind.

Die Mitte der 1960er-Jahre spielende Titelgeschichte „Der Goldschmied“ leitet den Band ein. Für den 30-jährigen Chino ist seine kleine Tochter der Inbegriff alles irdischen Glücks. Doch seine Frau hat aufgrund seiner Vorstrafe auf gerichtlichem Wege erreicht, dass er mit dem Kind lediglich telefonieren darf. Als die Sehnsucht nach seiner Tochter übermächtig wird, lässt er sich gegen alle Grundsätze einen Vorschuss geben und macht sich auf den langen Weg nach Mar del Plata. Nach und nach erfährt man die Vorgeschichte und die Hintergründe seiner Situation: Ein tragischer Unfall hat Chino für fünf Jahre ins Gefängnis gebracht, wo er von seinem Zellengenossen Pura das Goldschmiedehandwerk gelernt hat. Nach der Entlassung aus der Haft und der bald darauf folgenden Trennung von seiner Frau geht er nach Buenos Aires. Dort richtet er sich eine bescheidene Goldschmiedewerkstatt ein und lebt von Aufträgen aus dem etwas obskuren, gut funktionierenden Netzwerk Puras. Chino erweist sich als begabter Goldschmied, sein Glück weiß er jedoch ganz offensichtlich nicht zu schmieden, denn aus dem heimlichen Besuch bei seiner Tochter wird unversehens eine Art Entführung. In den letzten Sätzen der Erzählung steht Chino mit dem Kind an einer Bushaltestelle und weiß nicht, wohin die Reise geht.

Obwohl nichts wirklich Dramatisches geschieht, zieht sich vom ersten Satz an eine unheilvolle Stimmung durch die Geschichte. Vermeintliche Kleinigkeiten genügen Ricardo Piglia, um diese Atmosphäre zu erzeugen: Bilder eines irritierenden Traumes, die Beschädigung eines Geschenks, ein Knacken in der Telefonleitung. Wenn Ricardo Piglia die illegale Arbeit Chinos im Gefängnis beschreibt, skizziert er beiläufig die politische Situation in zwei Sätzen, die ihre bedrückende Wirkung nicht verfehlen: „Sie fertigten Ringe für die Mätressen der Obersten und Solitäre zum fünfzehnten Geburtstag ihrer Töchter an. […] (Tausende von Pesos wanderten durch ihre Hände, schließlich gab es keinen sichereren Ort als ein Militärgefängnis.)“

Dieses Spiel mit der Bedeutung des scheinbar Nebensächlichen setzt Ricardo Piglia in den übrigen Erzählungen fort, die wie die Titelgeschichte um Grenzsituationen kreisen, in denen es meist um die Zerbrechlichkeit von Liebe und Freundschaft geht. Alle Erzählungen des Bandes führen den Leser und die Leserin in Zwischenwelten und bisweilen sehr fremdartig wirkende Räume in den Grenzbereichen von Legalität und Verbrechen, Hoffnung und Verzweiflung, Freundschaft und Verrat, Wahn und Wirklichkeit. Diese Orte bieten ebenso wenig Platz für ein erfülltes Leben wie Argentinien zur Zeit der Militärdiktatur, und so sind diese Geschichten auch keine Orte für glückliche Figuren, ja nicht einmal für ein Ende, das vage einen glücklichen Ausgang verheißen könnte. Ricardo Piglias Erzählungen haben nichts Leichtes an sich, und obwohl es nur wenige Momente direkter Brutalität gibt, wirken sie oft sehr düster und bedrohlich. Keine leichte Kost also, aber wer würde das schon ernsthaft von einer Literatur erwarten, die sich mit dem Leben unter den Bedingungen des Staatsterrors befasst?

Titelbild

Ricardo Piglia: Der Goldschmied. Erzählungen.
Übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Carsten Regling und Sabine Giersberg.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010.
138 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783803112743

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