Frau mit Bart

Stefan Bollmann stellt in „Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug“ Bilder von lesenden Frauen vor und denkt sich was dabei

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frauen, die als gefährlich gelten, wecken spätestens seit den Klischees der femme fatale und des Vamps bei Männern Begehren und Begierden. Und da Sex sich bekanntlich verkauft, wird das vermutlich ziemlich zu Recht auch von den gefährlichen Frauen erwartet. So tauchen sie etwa in den Titeln diverser Bücher auf, um die Kauflust zu wecken.

Stefan Bollmann hat in den letzten Jahren gleich mehrere Bildbände publiziert, deren Titel von gefährlichen, aber auch schon mal von gefährdeten Frauen erzählen. 2005 erschien das Buch „Frauen, die lesen, sind gefährlich“ und im Folgejahr „Frauen, die schreiben, leben gefährlich“. Das Konzept scheint aufzugehen, denn nun legte er mit einem weiteren Band nach, dessen Titel den des ersten nur wenig variiert: „Frauen, die lesen sind gefährlich und klug“.

Das Buch bietet – quer durch die Kunstgeschichte – wohl gut hundert Reproduktionen von Porträts lesender Frauen, fast ausschließlich Gemälde sowie einige wenige Fotografien, zu denen er sich jeweils ein bis zwei Druckseiten umfassende Gedanken macht. Zuvor jedoch sinniert der Autor in der Einleitung ganz allgemein über lesende Frauen auf Bildern und überhaupt. Dabei richtet er sich ganz an eine männliche Leserschaft, was nicht nur deutlich wird, wenn er über „unseren männlichen Blick“ räsoniert, sondern auch an der gönnerhaften Art, mit der er über lesende und schreibende Frauen und über das ganze andere Geschlecht als solchem schreibt. Etwa wenn er die Frage aufwirft, ob „den Frauen der Weg zurück ins Haus anzuempfehlen und die alten Zwänge wiederherzustellen“ seien, die er selbstredend verneint. Auch sind die durch Lesen klug gewordenen Frauen „vor allem lebensklug“. Das meint natürlich nicht richtig klug, nicht klug im vollen Sinne des Wortes, sondern doch eher schlicht alltagstauglich. Dem entspricht, dass sein offenbar als Lob gedachtes Wort, Schriftstellerinnen könnten „hinsichtlich Qualität“ schreibenden Männern „inzwischen längst das Wasser reichen“, durch seine nicht einmal zwischen den Zeilen versteckte Herablassung vergiftet ist. Denn die Hierarchie zwischen dem, der das Wasser gereicht bekommt und der, die es reicht, steht in dem Bild außer Frage. Schließlich hängt Bollmann auch noch geradezu abstrusen Vorstellungen über das (Liebes-)Verhältnis zwischen den Geschlechtern an, wenn er meint, Prostitution sei ein Geschäft, in dem „käufliche Liebe“ feilgeboten werde.

Bei all dem nimmt sich zunehmend störend aus, dass der Autor kaum einmal eine Ansicht, Überlegung oder Behauptung vorbringt, ohne sie durch oft paraphrasierte, jedenfalls aber nie belegte Zitate irgendeiner Geistesgröße zu autorisieren. Es lässt sich nur schwer der Eindruck vermeiden, die zahllosen, mit gewollter Beiläufigkeit präsentierten Belege seiner weitläufigen Belesenheit dienten der Befriedigung einer gewissen männlichen Rennomiersucht.

Die Texte, die Bollmann den Porträts zur Seite gestellt hat, bieten nicht immer eine Bildinterpretation. Statt die Gemälde zu betrachten, umreißt er bei Porträts historischer Persönlichkeiten lieber die Biografien der Dargestellten oder der MalerInnen – oder er gibt das eine oder andere Anekdötchen aus deren Leben zum Besten. So erfährt man anlässlich von Julius Leblanc Stewarts Gemälde „Sarah Bernhardt und Christine Nilsson“ zwar das eine oder andere über die beiden Künstlerinnen, nichts aber über das Bild. Und was soll uns die Klatschgeschichte, der zufolge die Malerin Tamara de Lempicka „drei Schachteln Zigaretten am Tag“ rauchte, „ihre tägliche Dosis Baldrian“ schluckte „und auch das auf den Partys angebotene Kokain“ nicht „verschmähte“, da sie das „Bild der modernen Frau perfektionieren“ wollte, über das Porträt ihrer Tochter „Kizette in Rosa“ sagen. Aus derlei spricht nur die Verachtung für die „moderne Frau“ – und sei es die der 1920er-Jahre. Und warum Bollmann Cindy Sherman nur in Anführungszeichen als feministisch gelten lassen will, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Jedenfalls interpretiert er die Frau, die auf einem „Untitled Film Still“ von 1978 (der volle, von Bollmann verschwiegene Titel des Bildes lautet „Untitled Film Still # 13“) ein Buch aus einem Regal zieht, als „Bücherdiebin“, womit Sherman eingestehe, es sei „alles nur geklaut“.

Ansonsten lässt er auch in den Bildinterpretationen gerne seine Bildung aufblitzen. Die dabei dargebotenen Informationen sind im Zusammenhang der Bilder auch schon mal von kaum randständig zu nennender Bedeutung und dabei nicht einmal immer ganz verlässlich. So ist es für Maurice Quentin de La Tours Porträt von Emilie du Châtelet nur von geringer Relevanz, ob Immanuel Kant den „Scharfsinn“ der Dargestellten „anerkannte“. Tatsächlich spricht der damals noch 23-jährige, noch nicht zum Transzendentalphilosoph herangereifte Mann den Scharfsinn der Mathematikerin und Naturphilosophin in seiner frühen Schrift über „die wahre Schätzung der lebendigen Kräfte“ (1747) nur ein einziges Mal an. Dies aber keineswegs anerkennend, sondern in polemischer Absicht, indem er erklärt, die „Marquisin von Châstelet“ habe ein bestimmtes Argument des „Herrn Jurin“ auf eine Art bestritten, „deren Schwäche zu bemerken sie scharfsinnig genug gewesen wäre, wenn die Neigung gegen eine Meinung, auf welche einmal die Wahl gefallen, nicht einer schlimmen Sache den schönsten Anstrich geben könnte.“ Überhaupt widerspricht Kant Châtelet, wann immer er auf ihre Thesen zu sprechen kommt, und das tut er in der genannten Schrift ziemlich oft. Sehr viel später, in der „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ (1798) kommt er noch einmal auf die Marquisin zu sprechen und polemisiert nun zwar nicht gegen ihren Scharfsinn, aber doch gegen „die Miene des Tiefsinns“, um welchen sie und andere Frauen ihrer Art „sich bewerben“, und empfiehlt ihnen, sie mögen „immerhin noch einen Bart dazu haben“. Von der Anerkennung, die Kant Bollmann zufolge Châtelet respektive ihrem Scharfsinn gezollt habe, ist da nichts zu entdecken.

Doch auch, wenn Bollmann die interpretierten Bilder tatsächlich einmal etwas genauer ins Auge fasst, mag man nicht mit all seinen Befunden übereinstimmen. Beispielsweise „löst“ Ford Madox Browns Porträt von „Henry Fawcett und Dame Millicent Garrett Fawcett“ nicht nur „jede Hierarchie“ zwischen den beiden FeministInnen „in einem Wechselspiel von Gesichtern und Händen“ auf, sondern positioniert – und das ist nun wirklich ganz außergewöhnlich – Millicent Garrett Fawcett tatsächlich sogar ein wenig über Henry Fawcett, so dass sie ganz entgegen den noch heute üblichen Darstellungen von Eheleuten (oder Männern und Frauen überhaupt) auf ihn herabschaut, nicht er auf sie. Und Lincoln Seligmans 2005 entstandenes Gemälde „Head Mistress“ ist keineswegs „fotorealistisch gemalt“.

Immerhin: Unterhaltend sind Bollmanns Anmerkungen zu den Bildern durchaus des öfteren, sofern man sich nicht weiter daran stört, dass sie meist ein wenig beliebig sind.

Titelbild

Stefan Bollmann: Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2010.
135 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783938045404

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