Richard Wagner als Vorläufer der Nazis?

Jens Malte Fischer über Wagners Antisemitismus

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wagner und die Juden" gehört zweifellos zum schmerzlichsten Kapitel der deutschen Kulturgeschichte, vor allem Wagners Aufsatz "Das Judentum in der Musik", dessen Bedeutung weit über das Musikleben hinausgeht, hat eine verhängnisvolle und in unserem Jahrhundert todbringende Ideologie in ihrer Wirkungskraft verstärkt und zugespitzt. War doch der Antisemitismus im Leben des genialen Musikers und Komponisten eine geradezu zentrale Obsession.

Der Theaterwissenschaftler Jens Malte Fischer verfolgt in seinem Buch die Genese von Wagners Antisemitismus und bemüht sich, Wagners verhängnisvollen Aufsatz in seinem Kontext unvoreingenommen zu prüfen, wobei er auch Zeitumstände und persönliche Dispositionen des Komponisten in Rechnung stellt. Immerhin war Wagner 1813 in eine Zeit hineingeboren worden, die von Emanzipation und Akkulturation der deutschen Juden geprägt war, in der sich gleichzeitig aber auch ein zunehmender Widerstand der nichtjüdischen Bevölkerung gegen diese Entwicklung bemerkbar machte.

Der Aufsatz "Das Judentum in der Musik" (hier in vollem Wortlaut abgedruckt) war zuerst 1850 in zwei Folgen in der 1834 von Robert Schumann gegründeten "Neuen Zeitschrift für Musik" unter dem Pseudonym K. Freigedank publiziert und dann 1869 als Broschüre mit einer kurzen Einleitung und einem langen Nachwort in Form eines offenen Briefes an die mit Wagner befreundete Marie Muchanoff der Öffentlichkeit erneut zugänglich gemacht worden.

Diesen Text, der zu den antisemitischen Klassikern gezählt wird, stellt der Autor in seinen beiden Versionen ausführlich vor. Anhand einer differenzierten Fülle von Belegen erläutert er die Entstehungs- und Publikationsgeschichte des Aufsatzes und legt eine Auswahldokumentation jener Reaktionen vor, die die Schrift hervorgerufen hat, sowohl der vereinzelten Reaktionen im Jahr 1850 wie auch der zahlreichen von 1869.

Hauptzielscheibe der Wagnerschen Kritik war zunächst der Pariser Opernkomponist Giacomo Meyerbeer. Trotz äußeren Aufwands enthielten dessen Opern, so Richard Wagner, nur Trivialitäten und Albernheiten. Dieser Komponist sei unfähig, Kunstwerke zu schaffen. Über Felix Mendelssohn-Bartholdy wiederum urteilte Wagner, er sei zwar ein Jude von reichstem Talent gewesen, habe es aber nie geschafft, jene zu Herz und Seele sprechende tiefgreifende Wirkung zu erzielen, die für wahre Kunst symptomatisch sei. (Goethe war bekanntlich anderer Meinung.) Auf den 1850 erschienenen Artikel gab es nur eine kleine Welle von Reaktionen, die bald verebbte. Erst die 1869 publizierte Version mit signifikanten Verschärfungen der Positionen von 1850 wurde zur Vorläuferin des um 1879 ausbrechenden massiven Antisemitismus in Deutschland.

Wagner konstatierte in seinem dubiosen Essay die angebliche Unfähigkeit von Juden zur Kunst im allgemeinen und zur Musik im besonderen. In vieler Hinsicht sei Wagner als Antisemit ein Epigone gewesen und sein Antisemitismus in erster Linie das Ergebnis eines langen Prozesses, "der sich aus persönlichen Erlebnissen kleinerer und größerer Natur, aus Beeinflussungen durch Lektüre und Gespräche, aus dem Rivalitätsgefühl gegenüber Meyerbeer und Mendelssohn und manchen anderen Faktoren zu einem antisemitischen Syndrom zusammensetzt."

Nicht die Erstpublikation von 1850, sondern die zweite Veröffentlichung, die Wagner 1869 unter seinem eigenen Namen als Broschüre herausgab, war nach Fischers Meinung der eigentliche Sündenfall des Musikers. Die Jahre um 1869 waren zwar die ruhigste Phase der deutsch-jüdischen Integration. Doch jagte gerade ein solcher Fortschritt Wagner Angst ein. Mit ohnmächtiger Wut musste er mit ansehen, wie sich der in seinen Augen verhängnisvolle Einfluss des Judentums in allen Bereichen der Kultur und Politik ständig vergrößerte. Er steigerte sich geradezu in einen Verfolgungswahn hinein. Die Presse wähnte er ganz "in Meyerbeers Händen". Ferner brachte er alles, was ihm unangenehm war und was ihm hinderlich erschien, mit Juden in Verbindung und glaubte allen Ernstes an eine jüdische Verschwörung gegen sich. Selbst Ludwig II. versuchte er, für seine antisemitischen Hirngespinste zu gewinnen, aber vergeblich. Noch in seinen Spätschriften hat Wagners Antisemitismus Spuren hinterlassen. Im Grunde, behauptet Fischer, gibt es solche Indizien auf allen Ebenen und in allen Texten, sogar in seinen Regiebemerkungen und in den Partituren. Hass auf die Juden hier und da, bei bestimmten Figuren, in bestimmten Konstellationen, sei in sein Werk eingesickert, in Figuren wie Mime und Beckmesser seien die antijüdischen Ressentiments ihres Schöpfers deutlich zu erkennen. Die Nichtjuden müssten, so lautete Wagners Postulat, die Erlösung zu wahrhaften Menschen ansteuern. Juden hingegen könnten an diesem Prozess nur teilnehmen, wenn sie aufhörten Juden zu sein.

Auch wenn Wagner "nur" das geistige Verschwinden des Judentums gefordert hat und wohl nicht an eine physische Vernichtung jüdischer Menschen gedacht hat, wie sie später die Nazis ins Werk gesetzt haben, so ist doch sicher, dass von seinen Ideen, Schriften und Werken Einflüsse auf die NS-Ideologie und die NS-Politik ausgingen und diese eine gewisse "geistige Vorläuferschaft" bildeten.

Obwohl von Wagner zu Hitler ebensowenig eine schnurgerade Einbahnstraße führt wie von Luther zu Hitler, so hat er gleichwohl mit dem Gewicht seiner weltweiten Berühmtheit einer schändlichen Gesinnung Umriss und Stimme gegeben und "eine Bierkellerideologie zur Salon- und Kulturfähigkeit geadelt."

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Jens Malte Fischer: Richard Wagners "Das Judentum in der Musik".
Insel Verlag, Frankfurt 2000.
380 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3458343172

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