Verwirbelungen

Elisabeth von Samsonows Buch „Egon Schiele: Ich bin die Vielen. Ein Forschungsbericht“ schwankt zwischen Manieriert- und Verstiegenheit

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Nichts fällt aus dem Einen heraus.“ Darum ist Gott so verflixt holistisch, ist es jedenfalls jede Redeweise, die unvorsichtig verfährt, denn Gott hat ja eher mit dem holon, dem Ganzen zu tun, nicht mit dessen sprachlicher Einhegung oder Überbeanspruchung.

Elisabeth von Samsonow versucht darum eine andere Redeweise, die notfalls auch teuflisch erscheinen mag: „Nichts fällt aus dem Einen heraus. Nichts, außer dem Anderen, dachte ich mir.“ In diesem philosophischen wie persönlichen Stil erkundet die Philosophin, welche Formen der multitudo man sprachlich verwirklichen könne, um dem Realen gerecht zu werden – mit Michael Hardt und Antonio Negri, mit der Bibel und mit einem Übermaß an Inspiration und kritischer Reflexion.

So werden „Schwarmidentitäten“ – „Herr der Fliegen“ und flottierende Taxis – erprobt, werden Inspirationen zu Konspirationen. Medientheoretisch versucht das Buch, so qua Äther eine weder vereinnahmende noch der Stringenz mangelnde Sprache zu entdecken, „Angelogie, Dämonologie und Inspirationslehre“ produzieren eben diese, die Züge einer „Meteorologie“ aufweise. Raum wird so Medium, Haut desgleichen, „umgestülpte Version des Gehirns“, alles muss „Noosphäre“ sein.

Das alles diene der Wahrnehmung der „im Kosmos verteilten Körper-Wolken (Galaxien)“, so der Duktus, worin eben x nicht immer x und selbst der verbürgteste Kanal schon „in die Form von flottierenden Böen aufgelöst“ sei. Gott ist zwar der Inbegriff der Integration, die schon antizipierte, was als ihr Anderes erscheinen würde, doch ist er im Falle Jesu das, was ein „Modell der Besessenheit“ nahelegt. Stets ist eines im anderen: „Das Mädchen“ als solches ist stets und per definitionem „davon bedroht, ‚geschwängert’ zu werden.“

Das Buch ist, wie derlei Passagen und Formulierungen zeigen, manieriert wie inspiriert, doch wirkt das Manierierte bald eher wie eine Irritation denn wie Verstiegenheit, die man abtun könnte. Dies gilt umso mehr, weil die Denkerin inmitten von etwas, das ein Jargon zu werden droht, anekdotische Erdungen vollführt, etwa vom Theologen, der sich eine Frau Luther als Sekretärin anstellt. Und da erfüllt das Buch die Verwirbelungen, die es eben noch zu behaupten schien. Da gilt: „Wir werden sehend.“

Um es kurz zu machen: Das Buch, das so sehr warnt und sich davor hütet, das Wesen von etwas zu benennen, ist dabei keinesfalls unwesentlich.

Titelbild

Elisabeth von Samsonow: Egon Schiele: Ich bin die Vielen. Ein Forschungsbericht.
Passagen Verlag, Wien 2010.
192 Seiten, 23,90 EUR.
ISBN-13: 9783851659542

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