Sunset, die sich wehrt

Joe R. Landsdales erfrischender Texas-Thriller „Kahlschlag“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ost-Texas in den 1930er-Jahren – allein die Vorstellung lässt es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Ein Land in der Krise und zugleich im Aufbruch zwischen ungeregelter Wildnis und Zivilgesellschaft. Weiße, die Schwarze immer noch wie Sklaven oder Abschaum behandeln, Männer, die sich damit vergnügen, ihre Frauen zu misshandeln und zu missbrauchen, Politiker, die nach ihrem eigenen Vorteil gehen, und Unternehmer, die sich gebärden, als gehörte alles, alles ihnen. Ein Land (auch wenn es nur ein Fantasieland ist), das einem keinen Spaß macht.

In diesem Ost-Texas erschießt eine junge, rothaarige Frau namens Sunset ihren Mann Pete, der sie besoffen vergewaltigen will. Der Hurricane, der gleichzeitig das Land verwüstet, zeigt schon an, dass hier tabula rasa gemacht wird. Sunsets Tat ist zwar Notwehr, aber wie will sie das beweisen, zumal die Geliebte ihres Mannes und deren Kind kurzes Zeit später aufgefunden werden. Dass der Mann auch noch Deputy der Gegend ist, macht es nicht einfacher.

Aber Sunset zieht sich an den eigenen, sehr eindrucksvollen langen Haaren aus der Affaire. Sie fährt zu ihrer Schwiegermutter Marilyn, die ihr zwar zuerst eine scheuert, dann aber ihrerseits ihren Mann vor die Tür setzt. Denn sie begreift, dass ihr Sohn nicht zuletzt deshalb so enden musste, wie es geschehen ist, weil sein Vater sich seiner Frau gegenüber nicht anders verhalten hat: Wie er die Mutter, so schlägt der Sohn Sunset.

Die beiden Frauen verbünden sich, und Marilyn sorgt dafür, dass Sunset nicht nur nicht angeklagt wird, sondern auch noch zur Nachfolgerin ihres Mannes als Deputy gemacht wird. Ein Unding in einem pathologisch männlichkeitsorientierten Land. Eine Frau mit einem Revolver? Eine Frau als Hüterin des Gesetzes? Undenkbar.

Und so machen sich die Mächtigen des Kreises daran, das störende Ereignis so schnell wie möglich wieder zu beseitigen. Nur gelingt ihnen das nicht. Und der Grund liegt genau in dem Leichenfund, der Sunset in Gefahr bringt: Denn die Leichen der Geliebten Petes und ihres Kindes werden auf einem Stück Land gefunden, das einem Schwarzen gehört, und sie werden öldurchtränkt gefunden.

Das große Interesse, das der Schwager Marilyns und dessen bedrohliche Geschäftspartner auf einmal für Sunset und ihre Ermittlungen entwickeln, lässt ahnen, dass die Geschichte sich nicht nur um das Skandalon der weiblichen Polizistin dreht, die in männliche Territorien eingedrungen ist. Hier geht es um das große Geschäft, in dem mit harten Bandagen und eben auch jenseits der Grenzen des Legalen gekämpft wird, ein ewiges Echo der legendären Usancen amerikanischer Öl-Barone.

Der Ermittler-Neuling Sunset nun kommt der Wahrheit nicht zuletzt deshalb immer näher, weil sie zum einen eine starke Persönlichkeit ist, weil sie zum anderen nicht bestechlich ist, zum dritten weil sie sich dem Allgemeinwohl mehr verpflichtet sieht, als ihrem eigenen und letztens, weil sie ihre Sache gut machen will. Sie ist hartnäckig und nicht leicht zu verängstigen, und selbst wenn sie Angst hat, weiß sie damit umzugehen. Das führt sie Schritt für Schritt weiter, und jedem dieser Schritte folgen wir mit großer Neugierde und Spannung.

Joe R. Landsdale ist es gelungen, eben nicht nur sein politisches Thema in eine Erzählung zu packen – nein, mehr noch, diese Erzählung ist mit größter Bravour geschrieben. Die Figuren sind nicht klüger, als sie sein können, und auch nicht moralisch besser, als es plausibel ist. Sie sprechen wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und das hat Landsdale zudem so brillant hinbekommen, dass keine Zeile seines Buches, so sehr seine Figuren auch radebrechen mögen, peinlich oder misslungen ist.

Auch seine Geschichte ist souverän inszeniert. Sie nimmt auf die Bedingungen der 1930er-Jahren ebenso Rücksicht wie auf die Lesegewohnheiten um 2011. Sie nimmt genau so viel vom lebensweltlichen Kontext auf, was notwendig ist, um seine Geschichte zu einer großen Geschichte zu machen, die geradewegs auf ihr Finale zuläuft.

Zugegeben, das Finale ist dann nicht einmal überraschend. Ganz im Gegenteil. Es ist konsequent, deutet sich bereits früh an und ist trotzdem nicht langweilig. Darauf kommt es Landsdale auch sichtlich an: Dass nämlich seine Geschichte vor allem interessant und gut geschrieben ist.

Dabei hilft ihm seine Hauptfigur Sunset, die eben keine Duckmäuserin ist, kein Opfer, das immer Opfer bleibt, sondern die sich dazu entscheidet, nie wieder Opfer sein zu wollen. Auch nicht das von macht- und geldgierigen Kriminellen, die mit roher Gewalt den Landstrich unterwerfen wollen.

Titelbild

Joe R. Lansdale: Kahlschlag. Roman.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Katrin Mrugalla.
Golkonda, Berlin 2010.
362 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783942396011

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