„Warum aber schweigst Du so hartnäckig?“

Zum Briefwechsel Paul Celans mit Gustav Chomed: „Ich brauche Deine Briefe“

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter den Erscheinungen der letzten Jahre zu Paul Celan waren Briefwechsel keine Seltenheit: „Paul Celan – Edith Silbermann. Zeugnisse einer Freundschaft“ (2010), „Paul Celan – Klaus und Nani Demus. Briefwechsel“ (2009), „Ingeborg Bachmann – Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel“ (2008), um nur einige zu nennen. Der von Barbara Wiedemann und Jürgen Köchel nun herausgegebene Briefwechsel Paul Celans mit Gustav Chomed trägt den Titel „Ich brauche Deine Briefe“. Dies ist ein Zitat des Dichters aus dem Brief vom 29. Januar 1970, knapp drei Monate vor seinem Freitod. Doch wer war nun Gustav Chomed, dessen Briefe für Celan so wichtig waren?

Chomeds Briefe kamen aus Czernowitz, seiner und Celans Heimatstadt, in der sie mit dem späteren Dichter Immanuel Weißglas sowie dem Übersetzer und Literaturkritiker Erich Einhorn zur Schule gingen. Gustav Chomed war während des zweiten Weltkrieges Soldat der Roten Armee und kehrte nach dem Krieg, anders als viele den Holocaust überlebende Juden, die nach Rumänien gingen, in das sowjetisch gewordene Czernowitz zurück. Chomeds Briefe deuten das Leben und Schicksal der Menschen in dieser Stadt an. Er berichtet von seiner Familie und erwähnt gemeinsame Bekannte. Viel und ausführlich konnte Chomed nicht schreiben, denn selbst die Tatsache, mit jemandem aus dem Westen in Briefkontakt zu stehen, konnte ihn seinen Arbeitsplatz kosten.

Was wusste Paul Celan von diesen Verhältnissen? Was sagte ihm Chomeds Satz: „Geistig kann man hier kein sehr vollwertiges Leben führen“? Wie in den Studien zu Leben und Werk Paul Celans mehrmals festgehalten wurde, war für ihn der Osten, den er mit Ossip Mandelstamm verband, ein Sehnsuchtstort. Im Hinblick auf Plagiatanschuldigungen hoffte er dort verstanden und angenommen zu werden: „Ich kann nur hoffen, dass die Menschen im sozialistischen Lager auch diese Travestie rechtzeitig durchschauen.“ Celans jugendlicher Sozialismus, gepaart mit der Affinität zu Russland und seiner schmerzlichen Nostalgie, hinderten ihn, die Realität, die ihm sicherlich bekannt war, zu realisieren.

Die Briefe der Jugendfreunde sind ein trauriges Zeugnis ihrer Entfremdung. Zuviel Ungesagtes, Unausgesprochenes lag in all den Jahren zwischen ihnen. Wie hätte aber Celan dem fernen Freund die Plagiataffäre anders schildern sollen, als nur knapp von Diffamierung zu sprechen? Wie sollte Chomed den in Paris lebenden Dichter deutscher Sprache, der sich über die an ihn verliehenen Preise ärgerte, verstehen? Beide spürten, wie sehr sie „lange, nächtliche Gespräche“ bräuchten, um die knapp dreißig Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, miteinander zu teilen. Noch am 19. März 1970 schwärmte Paul Celan davon, dass Gustav ihn in Paris besuchen würde. Dies war sein letzter Brief an den Czernowitzer Freund. Ein paar Wochen später wurde Celan tot in der Seine gefunden. Vermutlich hat ihn Chomeds Antwortbrief vom 5. April nicht mehr erreicht.

Zwar erstreckt sich der Briefwechsel über 32 Jahre – den ersten Brief schrieb Celan am 7. Dezember 1938 aus Tours –, aber er ist von langjährigen Schreibpausen geprägt. Mit dem Ende Januar 1962 von Chomed verfassten Kontaktaufnahmebrief beginnt die erste intensive, aber kurze Welle des Austausches. Sie endet mit dem nicht abgesandten Brief Celans vom 3. Mai 1962. Erst drei Jahre später schreibt er wieder an Gustav Chomed. Nach einzelnen Briefen 1967-1969 entfachte sich Anfang Januar 1970 die zweite intensive Phase des Briefwechsels. Sie war von kurzer Dauer.

Im Kommentar erläutern die Herausgeber die in den Briefen erwähnten Namen, Orte und Daten, um diese in den biografischen Kontext Paul Celans einzuordnen. Der Leser merkt, dass Celan und Chomed sich viel mehr sagen wollen und müssen, als in ihren Briefen steht – aber anstelle der Wörter tritt das Schweigen. Immer wieder bittet Celan um Briefe des Freundes. Immer wieder beschwert sich Chomed, dass Celan so lange nicht antwortet. Dieser Briefwechsel zeigt, wie fern und nah zugleich man sich sein kann.

Titelbild

Paul Celan / Gustav Chomed: "Ich brauche Deine Briefe". Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Barbara Wiedemann und Jürgen Köchel.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
110 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783518420867

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch