Wenn die Bratwurst zum Supertornado wird

Kann uns Frutarismus vor dem Klima-Kollaps bewahren? Karen Duve gibt nach ihrem Selbstversuch „Anständig essen“ unliebsame Antworten

Von Sabine Lüdtke-PilgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Lüdtke-Pilger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum schreibt eine Schriftstellerin, die es mit ihrem letzten Roman auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte, plötzlich ein Sachbuch – nein, schlimmer – einen Selbsterfahrungsbericht über Ernährung? Schreibblockade? Übergewicht? Das Thema weckt zunächst viele Befürchtungen. Schließlich ist das Thema Ernährung insbesondere bei einer weiblichen Autorenschaft sehr beliebt und garantiert oft Verkaufszahlen, die sich überproportional zum schriftstellerischen Talent verhalten.

Glücklicherweise ist Duve („Regenroman“, „Dies ist kein Liebeslied“, „Taxi“) reichlich mit schriftstellerischen Talent gesegnet und interessiert sich nur wenig für den eigenen Hüftspeck. Also mehr Jonathan Safran Foer und weniger „Moppel-Ich“!

Schließlich schafft es die Autorin in ihrem Buch „Anständig essen. Ein Selbstversuch“ nach wenigen Seiten nicht nur den Leser, sondern auch ihren Verleger, ihren Hausarzt und die Mutter davon zu überzeugen, dass es sich bei dem angestrebten Selbstversuch nicht um den eigenen Cholesterinspiegel oder die Bikinifigur dreht. Duve sucht nach einem „Mindestmaß an Anständigkeit“, nach einer Möglichkeit sich zu ernähren, „ohne dass dafür an finsteren Orten wochen- und monatelang gelitten wird“. Zu leichten Irritationen kommt es natürlich trotzdem immer wieder. Sei es, wenn die Mutter ihrer temporär veganen Tochter Milch anbietet, weil diese nur einen Fettgehalt von 1,5 Prozent aufweist.

„Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist.“ Dieser Spruch wird bei Duves Versuchsaufbau Programm (die Autorin liebäugelt übrigens mit der Theorie, dass es sich bei dem Spruch nicht um eine indianische Weisheit, sondern um die Aussage einer Lehramtsstudentin im ersten Referendariatsjahr handelt). Da es drei bis sechs Wochen braucht, um eine neue Gewohnheit im Stammhirn zu verankern, beschließt Duve sogar je zwei Monate in die Rolle einer Bioprodukte-Konsumentin, Vegetarierin, Veganerin und Frutarierin zu schlüpfen. Mit allen Konsequenzen – bis zur nächtlichen Tierbefreiungsaktion. Denn, wie sich herauskristallisiert, sind die Ernährungskonzepte in erster Linie Lebenskonzepte von Freidenkern, die einen auch schnell zum Einzelkämpfer werden lassen. Das Spannende an Duves Buch ist also nicht die Entwicklung von Laborwerten oder einer neu entdeckten Vorliebe für Sojamilch, sondern der Prozess der Gewissensbildung, an dem sie den Leser teilhaben lässt. Immer wieder greift sie zur Wahrheitspille und wünscht sich gleichzeitig in die Matrix zurück. Aus „Qualfleisch“ wird „Qualei“, „Qualmilch“ und letztendlich sogar die Apokalypse namens Klimawandel. Die Esskultur wird zur Ausbeutungsgeschichte. Die Bratwurst zum Supertornado.

Sicherlich, das Thema ist nicht neu. Selbst Regenbogenblätter versuchen sich über gelegentliche Massentierhaltungs-Schock-Geschichten im Metier des Aufklärungsjournalismus. Duve ist trotzdem irgendwie anders. Ihr Buch ist intelligent, humorvoll, das Thema gut recherchiert. Geschickt verknüpft sie Biografisches, gedankliche Exkursionen und wissenschaftliche Fakten, zeichnet Bilder des Grauens, lässt uns in die Köpfe von Jägern, Landwirtschaftsministern und Kirchenvertretern blicken, bringt uns zum Lachen, dazu den Kaffee schwarz zu trinken und beim Rasenmähen imaginäre Angstkurven tausender Halme zu bemerken.

Nach dem „Genuss“ dieser dialektischen Lektüre wird der Leser nicht nur Duve Respekt zollen müssen, sondern auch den Menschen, die er sonst leichtfertig als ,Spaßbremsen‘ oder ,verstrahlte Hippies‘ abgetan hätte – Menschen, die ihre Prinzipien über den eigenen Genuss stellen, die ihre Lebenskraft darauf verwenden, der „bessere Mensch“ zu sein, der jeder von uns gerne wäre. Diese Leute, die auf ein monatliches Gehalt, Krankenkasse und Rentenversicherung verzichten, um einen Gnadenhof für Tiere zu unterhalten, die wir jeden Tag zu Tode foltern, diese Meschen sollten wir ernster nehmen. Wir sollten uns ein Beispiel an ihnen nehmen.

In Duves Buch geht es um mehr als „Huhn oder Ei“. Es geht um den Menschen, dessen Überheblichkeit und um seine Verantwortung. Die Autorin fragt sich zu Recht, ob Intelligenz ohne die entsprechende soziale und ökologische Kompetenz, als Evolutionsmodell langfristig überhaupt noch funktionieren kann.

Titelbild

Karen Duve: Anständig essen. Ein Selbstversuch.
Galiani Verlag, Köln 2011.
280 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783869710280

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch