Melancholische Stimmungen

John Updike hinterlässt achtzehn Erzählungen mit autobiografischen Bezügen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor zwei Jahren war der große US-amerikanische Romancier John Updike im Alter von 76 Jahren gestorben. Bis zuletzt hat er geschrieben und eine beeindruckende Zahl von Romanen, Erzählungen, Essays und Gedichten hinterlassen. Jetzt veröffentlichte der Rowohlt Verlag einen Erzählband aus seinem Nachlass. Es sind Geschichten, die einen stark ausgeprägten autobiografischen Bezug haben. Sie beschäftigen sich mit seiner Jugend in Shillington (Pennsylvania), mit der verarmten Familie, dem verfallenden Farmhaus, der hilflosen Vater-Sohn-Beziehung, der wütenden, belesenen Mutter und natürlich mit seinen zahlreichen Ehebeziehungen. Einige der 18 in diesem Nachlassband versammelten späten Erzählungen sind vor Updikes Tod schon in amerikanischen Zeitschriften veröffentlicht worden, für den deutschen Leser sind sie jedoch Neuland.

Fast immer wird aus der Perspektive des alten Mannes erzählt. Häufig sind es Rückblicke auf kritische Lebensphasen oder auf die unbeschwerte Kindheit und Jugend, die ganz im Gegensatz zum sorgenvollen Alter stehen. Bereits in der Auftaktgeschichte, die zwar den Titel „Marokko“ trägt, stehen Familienbeziehungen im Vordergrund. Selbst wenn in einer späteren Geschichte Spanien der Handlungsort ist, dreht sich doch alles um private Familienerlebnisse. In vielen Geschichten herrscht eine melancholische Grundstimmung, so in der Titelgeschichte „Die Tränen meines Vaters“, die fast wie eine autobiografische Skizze wirkt. Sie beginnt damit, dass ein junger Mann ins Leben hinausgeht, denn das Elternhaus war für ihn schon ein wenig unwirklich geworden. Zum Abschied stehen dem Vater Tränen in den Augen. Nie zuvor hatten sie Gelegenheit für diese Geste gehabt, doch in diesem Augenblick wird dem Sohn klar, dass der Vater ihn liebt. Dieser unterschwellige Schmerz über den Verlust der Jugend und der Heimat bildet den Grundton für viele Erzählungen des Bandes.

Daneben beleuchtet der Autor auch die Vergänglichkeit von Liebe und Sexualität. So schlägt er in „Verletzbare Ehefrauen“ ein Bogen zurück zu seinem bekannten erotischen Roman „Ehepaare“ aus dem Jahre 1968. Wie man von Updike erwarten darf, spielen auch Ehekrisen und Ehebruch eine Rolle in seinen Nachlassgeschichten. Eine Geschichte fällt dagegen aus dem Erinnerungsrahmen und der privaten Nabelschau heraus, sie hat die Terroranschläge vom 11. September 2011 zum Hintergrund. So schafft es ein Angestellter nicht mehr, rechtzeitig aus dem World Trade Center zu entkommen. Die schrecklichen Ereignisse werden aus der Perspektive des Opfers geschildert.

Die Qualität der Geschichten dieser Nachlasssammlung ist zwar unterschiedlich, doch sie sind alle lesenswert. Der Updike-Kenner wird bei mancher Geschichte sogar bedauern, dass sie kein Roman geworden ist.

Titelbild

John Updike: Die Tränen meines Vaters. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011.
367 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498068899

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