Der Schutz der bürgerlichen Gesellschaft

Solange Fasquelle berichtet über einen skandalösen Kriminalfall im Frankreich der 1920er-Jahre

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krimi beginnt im Wesentlichen mit tatsächlichen Kriminalfällen als Muster, auch wenn Friedrich Schiller und Georg Büchner wenig krimihafte Texte geschrieben haben. Daneben aber hat sich mit dem Pitaval eine Tradition etabliert, in der bis heute über reale Verbrechen berichtet wird. Davon abgeleitet sind die neuerdings unter dem Label „true crime“ verbreiteten Inszenierungen echter Verbrechen. Was davon literarische Qualität oder auch nur interessante Lektüre ist, bleibt erst einmal offen. Auf der symbolischen Ebene und in Sache Zuspitzung sind die (offen fiktionalen) Krimis den echten „true crimes“ jedenfalls noch weit überlegen.

Der Lilienfeld Verlag hat nun mit Solange Fasquelles „Trio infernal“ ein schon historisches Beispiel einer solchen literarischen Aufarbeitung eines echten Verbrechens publiziert – dreißig Jahre, nachdem das Buch in Frankreich erschienen ist, und dennoch kein Anachronismus, sondern eine akkurate Lektüre.

Denn Fasquelle nähert sich ihrem Kriminalfall mit gehöriger Zurückhaltung. Der Ton ist sachlich, auch wenn die Dialoge, die Fasquelle geschrieben hat, zweifelsohne erfunden sind. Der Blick auf den geltungssüchtigen Marseiller Rechtsanwalt Sarret und seine beiden deutschen Komplizinnen ist nicht von Empörung oder Parteinahme bestimmt, obwohl Fasquelle keinen Hehl daraus macht, das das Ende des Trios, das im Rahmen mehrerer waghalsiger Versicherungsbetrugsfälle auch noch ein paar Morde beging, für sie gerecht ist.

Der Fall selbst ist jedoch weniger skandalös als erstaunlich (beides, Mord und Versicherungsbetrug sind auch in den 1920er-Jahren bereits bekannte Verbrechen, aber das Verbrecherhafte relativiert sich vielleicht dann, wenn man an den gewalttätigen Charakter der bürgerlichen Gesellschaft glaubt).

Unglaublich ist jedenfalls der Dilettantismus des Trios. Bemerkenswert ist daran, dass sich vor allem Sarret in die Spitze der bürgerlichen Gesellschaft Marseilles hineinbewegte, ohne dass irgendjemand die Frage gestellt hätte, woher der Anwalt das Geld für seinen Lebenswandel und seine politischen Pläne hatte.

Sarret, ein in Triest geborener Grieche, der als Vierjähriger nach Frankreich kam, wird von Ehrgeiz und Aufstiegswillen zerfressen. Reich zu sein und zum politischen Establishment zu gehören, sind seine Ziele.

Die beiden deutschen Einwanderinnen, zwei Schwestern, die sich aus ihrem Augsburger Provinzdasein geflüchtet haben, kommen ihm da gerade recht. Die Frauen wollen naturalisiert werden, sie suchen nach Einkommensmöglichkeiten, die möglichst groß sein sollen, da sie das luxuriöse Leben schätzen gelernt haben. Und sie wollen ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben. Ein wohlhabender Ehegatte steht nicht parat, da bleiben nur die illegalen Wege, die Sarret den beiden Schwestern weist, um zum gewünschten Ziel zu kommen. So werden sie Komplizen.

Immer gehen die drei nach demselben Prinzip vor: Ein Todkranker schließt eine hohe Lebensversicherung ab. Um die Gesundheitsuntersuchung zu überstehen, wird ein Double losgeschickt. Der Kranke stirbt wenig später, die Versicherungssumme wird kassiert und unter den Komplizen aufgeteilt.

Dumm ist nur, wenn einer der weiteren Komplizen Sarret zu erpressen droht. Er wird deshalb samt seiner Lebensgefährtin ermordet, die Leichen werden mit Salpetersäure aufgelöst, das Ganze in den Garten einer angemieteten Villa geschüttet.

Weitere Morde folgen, die nicht weniger dilettantisch ausgeführt werden. Mitwisser gibt es allzu viele. Wenn die Todkranken nicht dahinscheiden, hilft Sarret mit Gift nach. Die Leichen werden gar nicht oder arg auffällig entsorgt.

Es ist deshalb eher merkwürdig, dass das Trio infernal erst so spät, nämlich nach achtjährigem Wirken entlarvt wird. Erst als die Drei es übertreiben und ganz groß absahnen wollen, fliegen sie auf. Aber nicht wegen der Höhe der Versicherungssumme, sondern weil sie glauben, dass niemand wirklich nachfragen wird, egal welchen Betrug sie aushecken.

Und eben hier steckt der wahre Skandal, dem das Buch nachspürt: Die bürgerliche Gesellschaft schützt ihre Mitglieder durch nichts anderes durch die Reputation, die sie vergibt.

Ein renommierter Rechtsanwalt – der darf nicht schuldig sein. Der Totenschein vom stellvertretenden Bürgermeister – das muss wohl Hand und Fuß haben. Auch wenn ein Haus, nachdem Sarret es gemietet hat, einen starken Verwesungsgeruch aufweist und eine Gartenecke mit einem übelriechenden Schleim verwüstet ist – alles das wird wohl ganz unverdächtige Ursachen haben.

Erst als einem der Versicherungsangestellten die alte Dame, die einen hohen Versicherungsbetrag abheben will, merkwürdig jung vorkommt, fliegt der ganze Schwindel samt Mord und Vertuschungsoptionen auf. Merkwürdig spät und merkwürdig unspektakulär.

Genau darauf aber kommt es hier an: Nicht die symbolische Tat, sondern die Gewöhnlichkeit des Verbrechens und seiner Motive stehen hier im Vordergrund. Dass Habgier und Vertrauensseligkeit die Basis dafür bilden, ist dabei gleich mitgehandelt.

Fasquelle nähert sich dem Ganzen mit aller Sachlichkeit und Trockenheit, was auch das Interesse an der Verfilmung des Stoffs aus dem Jahr 1974 mehren mag, der mit Michel Piccoli und Romy Schneider prominent besetzt war.

Titelbild

Solange Fasquelle: Trio Infernal. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Irène Kuhn und Ralf Stamm.
Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2010.
191 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783940357205

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