Ist der neue Duden viel Angst erregender als der alte?

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Soll sie einem Leid tun oder leidtun? Oder tut sie uns Leid (an)? Wer sind die Leidtragenden? Oder die Leid Tragenden? - Man hat sich in der Duden-Redaktion gewiss redlich bemüht, einige Unzulänglichkeiten der amtlichen Rechtschreibreform zu korrigieren. Und es ist durchaus gelungen, die 22. Auflage noch benutzerfreundlicher zu gestalten als die vorige (vgl. die Rezension in literaturkritik.de Nr. 1/2000). Der "Duden 2000" werde wesentlich dazu beitragen, die heftige "Diskussion über die deutsche Rechtschreibung zu beruhigen", heißt es in einer Mitteilung an die Presse. Das Gegenteil ist eingetreten. Der öffentliche Effekt, den "Die deutsche Rechtschreibung" in der eben erschienen Überarbeitung erzielte, stellt nicht nur die Anstrengungen der Redaktion, sondern erneut das ganze Regelwerk in Frage.

Die größten Schwierigkeiten macht die Bestimmung zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Dass man nach den alten Regeln "Auto fuhr", aber "radfuhr", schien für eine Reform zu sprechen. Doch so klar und einfach, wie sich das die Reformer zunächst vorstellten, ließen sich neue Regeln nicht konzipieren. Komplikationen brachte vor allem der § 36 jener amtlichen Regelung, die am 1. August 1998 in Kraft getreten ist und die auch der neue Duden unverändert und vollständig abdruckt. Dieser Paragraph (möglich auch: Paragraf) regelt die Getrennt- und Zusammenschreibung eines Adjektivs oder Substantivs mit einem Partizip. Danach wird im Normalfall getrennt geschrieben, also beispielsweise: 'Neue Regeln sind Angst erregend.' Das scheint konsequenter als das früher vorgeschriebene 'angsterregend', stand doch diese Zusammenschreibung in Widerspruch zu der geforderten Getrenntschreibung bei 'Angst erregen'.

Mit dieser Konsequenz scheint es nun wieder vorbei, und zwar aus guten Gründen. Zu 'Angst erregend' oder 'angsterregend' gibt der neue Duden zwar leider keine Auskunft, aber unter "Furcht" wird man fündig. Es geht beides: "furchterregend" und auch "Furcht erregend". Warum das? Die Antwort führt zu einigen Komplikationen. In bestimmten syntaktischen Verbindungen bleibt man auf die alte Zusammenschreibung angewiesen. Der Satz 'Die neuen Regeln wirken noch (oder viel) Angst erregender' scheint ungrammatisch zu sein, weil man bei dieser Schreibung 'noch' oder 'viel' auf 'Angst' und nicht auf 'erregender' bezieht. Der Titel dieses Beitrages sollte also anders geschrieben werden: "Ist der neue Duden viel angsterregender als der alte?"

Der neue Duden trägt solchen Komplikationen Rechnung. Man hat ihm deshalb nachgesagt, er weiche die eben erst eingeführten Regeln wieder auf und demonstriere damit ihre Hinfälligkeit. Die Duden-Redaktion sieht das anders. Das amtliche Regelwerk, so erklärt sie der Öffentlichkeit, werde nur noch konsequenter als in der vorigen Auflage umgesetzt und berücksichtige Interpretationshilfen, die die Zwischenstaaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung mittlerweile gegeben hat.

Darüber lässt sich streiten. Interessanter ist inzwischen allerdings die mit ungeheurer Empörung und Aggression gemischte Angst, die Abweichungen von alten Regeln und Unsicherheiten bei der Handhabung neuer bei vielen auszulösen scheint. Sie sitzt offensichtlich so tief, dass sie sogar sonst gänzlich staatsfromme Bürger zum ersten Mal oder, wenn ihr vor langer Zeit einmal rebellischer Impuls eingeschlafen war, jetzt wieder auf die Barrikaden treibt. Der antiautoritäre Geist von 1968, der die Reform, wenn auch mit vielen Verzögerungen, in Gang gebracht hatte, weil er sich für eine demokratisierende Vereinfachung der Orthografie einsetzte, scheint dreißig Jahre später von den erklärten Gegnern der Reform Besitz zu ergreifen. Während sich heute kaum ein junger Student, noch nicht einmal in der Germanistik, für das Thema interessiert, rechtet diese neue APO der Vierzig- bis Achtzigjährigen, angeführt von der FAZ, gegen die empörende Willkür und Anmaßung des autoritären Staates. Sie macht ungeheuer viel Lärm - allerdings, anders als vor dreißig Jahren, um fast nichts.

Ps. Wer orthografische oder grammatische Zweifel unbedingt ausräumen will, kann sich, gegen eine Gebühr von 3,63 DM pro Minute, unter der Telefonnummer 0190/870098, von der Duden-Sprachberatung helfen lassen. Einen kostenlosen "Duden-Crashkurs" bietet neben weiteren Service-Angeboten http//www.duden.de. Im Übrigen ist der neue Duden auch auf CD-ROM zu haben - mit allen Vorzügen, die der PC-Benutzer von digitalisierten Nachschlagewerken kennt.

Thomas Anz

Titelbild

Duden - Die deutsche Rechtschreibung CD-ROM.
Bibliographisches Institut, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2000.

ISBN-10: 3411067039

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Titelbild

Duden - Die deutsche Rechtschreibung.
Bibliographisches Institut, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2000.
1152 Seiten,
ISBN-10: 3411040122

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