Der heilige Trinker

Über Wilhelm von Sternburgs Biografie Joseph Roths, die zum 70. Todestag des österreichischen Schriftstellers erschienen ist

Von Christopher HeilRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christopher Heil

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Runde Geburtstage und Todestage eignen sich bekanntlich hervorragend, um an Menschen zu erinnern, berühmte weiter zu ehren und zu loben – aber auch, um auf vergessene Dichter und Denker hinzuweisen. Im Jahr 2009 war der 70. Todestag Joseph Roths. Pünktlich zu diesem Jubiläum erschien Wilhelm von Sternburgs Biografie über den österreichischen Feuilletonisten und Schriftsteller, der 1939 im Pariser Exil mit nicht einmal 45 Jahren elend in einem „Armenleute-Hospital“ an den Folgen seiner Alkoholsucht und einer Lungenentzündung starb.

Sternburg führt die Arbeit des ersten Joseph-Roth-Biografen David Bronsen fort, dessen Werk aus dem Jahre 1974 er völlig zu Recht als „Pionierarbeit“ ansieht. Er berichtet über den keineswegs einfachen Lebensweg Roths. In sieben Kapiteln, deren detailliertere Untergliederung zum schnelleren und leichteren Umgang wünschenswert wäre, zeichnet Sternburg das Leben und Werk Roths nach. Um die sozialen Umstände, in denen der Schriftsteller aufwuchs, zu verdeutlichen, gibt der Biograf unter anderem einen knappen, aber prägnanten Überblick über die „Geschichte des Ostjudentums“ und den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, samt einer Landkarte von 1914 und 1921.

Die Nähe zu Bronsens Biografie ist nicht zu übersehen, dennoch bietet Sternburg erhellende Perspektiven. Er schreibt eine schnell und leicht zu lesende faktenreiche Biografie, die sich auf die Vorarbeit Bronsens stützen kann und reichert sie mit neuem Material an, das er in jahrelanger Archiv-, Bibliotheks- und Interviewrecherche zusammengetragen hat. Außerdem beruft er sich auf jüngste wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Roths Œuvre, die Bronsen noch nicht zu Verfügung standen.

Roth wurde 1894 in Brody (Ostgalizien) geboren, sah sich aber immer als Österreicher, der die Idee eines funktionierenden Vielvölkerstaates der k.u.k.-Monarchie schätzte, was in seinem Spätwerk seit dem „Radetzkymarsch“ (1932) eine nicht unwesentliche Rolle im Werk einnimmt. Statt den Cheder zu besuchen, erfährt der Roth durch Grundschule und Gymnasium eine bürgerliche Bildung. „Früh allerdings wird der starke Wille des jungen Joseph Roth sichtbar, dem als unangenehm empfundenen Milieu seiner Herkunft und der durch die Geburt und die familiären Umstände bedingten Außenseiterrolle zu entfliehen.“

Nach dem Abitur studierte er nach einer kurzen Zwischenstation in Lemberg in Wien Germanistik, bis er sich gemeinsam mit Józef Wittlin im Mai 1916 zum Kriegsdienst meldet. Bereits als Student war er auf den vermögenden Onkel und dessen finanzielle Unterstützung angewiesen. Die finanzielle Abhängigkeit von Verwandten, von den Vorschüssen der Verleger oder von Gönnern – vor allem Stefan Zweig unterstützte Roth so gut er konnte – zieht sich durch sein ganzes Leben. War er nicht pleite, versoff, verschenkte oder verlieh er sein Gehalt derart großzügig, dass er sich bald selbst wieder in der Lage des Bittstellers befand.

Sternburg versteht es, ein Bild von Roth als eines Menschen und Schriftstellers zu zeichnen, mit dem der Umgang anscheinend nicht immer leicht war. Er war ein Alkoholiker, der sich selbst mit den Worten beschrieb: „Das bin ich wirklich; böse, besoffen, aber gescheit“. Roth hatte stets Geldsorgen, und zwar trotz seiner Honorare, von denen die meisten Journalisten seiner Zeit nur träumen konnten. Er galt als Starjournalist mit den bestbezahlten Gehältern seiner Zeit, erfand seine eigene Herkunft und Biografie immer wieder neu und nahm die Fristen der Abgabetermine nicht allzu genau oder verkaufte Filmrechte mehrfach, um seine Geldsorgen etwas zu verringern.

Besonders der von Roth kreierte Mythos um seine eigene Herkunft stellt jeden Biografen vor Probleme, was Sternburg jedoch nicht daran hindert, Brüche aufzuzeigen und einen Lebensverlauf zu schildern, der den Tatsachen entsprechen könnte. Er zeigt Roth als Schlitzohr, als politisch engagierten und warnenden Journalisten und Schriftsteller. Der oft vergessene Erstlingsroman „Das Spinnennetz“ (1923), dessen letzte Fortsetzung am 6. November 1923 in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ erschien, warnt vor dem Rechtsruck in Deutschland sowie einem Erstarken und Putsch Adolf Hitlers, der drei Tage später tatsächlich eintrat. Sternburg beschreibt den später desillusionierten Menschen und dessen Hinwendung zur Monarchie im Laufe der 1930er-Jahre, von der er sich ein Gegengewicht zum Hitler-Deutschland erhoffte. Der Biograf zeigt Roths Nomadenleben von Hotel zu Hotel und auch die Ehetragödie mit seiner Frau Friedl, die an Schizophrenie erkrankte und ein Jahr nach Roths Tod ein Opfer des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten wurde.

So liest man von der Karriere des Journalisten, in der ausführlich sämtliche Stationen sowie Mitarbeiter und Vorgesetzte aufgezählt und vorgestellt werden: Etwa sein Aufstieg von dem noch unbekannten Feuilletonschreiber, die Phase des „roten Joseph“, seiner Reisereportagen für die „Frankfurter Zeitung“ – beispielsweise von der Russlandreise in 1926. Oder auch die „Briefe aus Deutschland“, geschrieben aus dem Saargebiet: Stets handelt es sich um warnende, kritische, bissige und polemische Kommentare zur politischen Lage in Deutschland und in Österreich.

Parallel zu seinem journalistischen Erfolg begann Anfang der 1920er-Jahre Roths Karriere als Schriftsteller. Fortsetzungsromane und Vorabdrucke wurden in Zeitungen der breiten Öffentlichkeit angeboten. Ende der 1920er- beziehungsweise Anfang der 1930er-Jahre widmete er sich hauptsächlich der Arbeit als Romancier. „Hiob“ (1930) und „Radetzkymarsch“ (1932) zählen wohl zu seinen bekanntesten und erfolgreichsten Büchern. Sternburg stellt das gesamte literarische Werk Roths vor, von den ersten Gedichten aus dem Jahre 1916 und den frühen Erzählungen wie „Der Vorzugsschüler“ (1916), die von Sternburg sogenannte Weimarer Trilogie – „Das Spinnennetz“ (1923), „Hotel Savoy“ (1924), „Die Rebellion“ (1924) –, über „Die Flucht ohne Ende“ (1927), diverse Novellen, „Das falsche Gewicht“ (1937), „Die Kapuzinergruft“ (1938) bis hin zu seinem letzten Buch, seinem „Testament“ wie Roth es nannte, „Die Legende vom heiligen Trinker“ (1939), die er erst wenige Tage vor seinem Tod am 27. Mai 1939 fertigstellte, um an dieser Stelle nur einen verkürzten Überblick aus Roths Œuvre zu geben.

Man erhält einen guten Einblick in das Werk und seine Protagonisten, diese heimatlosen, desillusionierten Kriegsheimkehrer, die in der Gesellschaft ihren Platz erst finden müssen oder auch nie finden werden. „So überflüssig wie er war niemand in der Welt“, heißt es über Franz Tunda am Schluss der „Flucht ohne Ende“. Es sind Geschichten von Außenseitern oder über das Milieu der russisch-österreichischen Grenzgegenden und die k.u.k.-Monarchie. Außerdem fehlen nicht die Essays „Juden auf Wanderschaft“ (1927), der neben „Hiob“ „Roths schönstes Bekenntnis zu seiner jüdischen Herkunft und seiner östlichen Heimat“ darstellt, und „Der Antichrist“ (1934), einer „Generalabrechnung mit seiner Zeit“.

Neben der detaillierten Darstellung von Leben und Werk ist Sternburgs Biografie mit ‘Bonusmaterial’ angereichert: Fotografien aus dem Leo Baeck Institute aus New York, der „Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur“ in Wien oder auch aus Heinz Lunzers und Viktoria Lunzer-Talos’ Bildband zeigen unter anderem Kinderbilder Roths bis hin zu seinem Verfall als aufgedunsener Alkoholiker. Zu sehen sind aber auch Weggefährten und Aufnahmen aus Brody, aus Wien sowie von dem Amsterdamer und Pariser Exil. Bei dieser Biografie handelt es sich aber vor allem um eine überschaubare Darstellung des Werks Roths, die sowohl für eine erste Auseinandersetzung mit dem Dichter als auch für avancierte LeserInnen empfehlenswert ist.

Titelbild

Wilhelm von Sternburg: Joseph Roth. Eine Biographie.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
400 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783462055559

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