Auf der Suche nach einer neuen Figuration

Die „Wiederentdeckung“ des Grenzgängers Eugen Schönebeck, der in nur einem Jahrzehnt ein beeindruckendes Werk schuf

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser Maler ist ein Phänomen: Solange er noch in der DDR lebte, wollte er abstrakt malen, und nachdem er in den Westen gegangen war, wandte er sich von der abstrakten der figural-gegenständlichen Malerei zu, ja er hat sogar mit bestimmten Prinzipien des „Sozialistischen Realismus“ geliebäugelt. Immer hat er genau das Gegenteil von dem gemacht, was in dem jeweiligen deutschen Staat erwünscht war. Jedem Trend, jeder etablierten Kunstform, jeder Doktrin – auch dem „Sozialistischen Realismus“ gab er eine höchst eigene Auslegung – hat er sich widersetzt: „Ich bin Zeuge, ich bin der einzige Zeuge meiner selbst“ schreibt er im Manifest „Pandämonium II“ von 1962.

1936 in Heidenau bei Dresden geboren, hat er die traumatischen Geschehnisse des Kriegsendes bewusst miterlebt. Er absolvierte eine Lehre als Dekorationsmaler und begann 1954 ein Studium an der Fachschule für angewandte Kunst in Ostberlin, wechselte aber schon ein Jahr später an die Hochschule der Bildenden Künste in Berlin-Wilmersdorf über. Hier lernte er Georg Kern, den späteren Georg Baselitz, kennen, mit dem ihn dann eine fünfjährige Freundschaft verbinden sollte. Nachdem er 1961 gemeinsam mit Baselitz seine noch weitgehend im tachistischen Stil gemalten Arbeiten ausgestellt hatte, bekam er 1962 seine erste Einzelausstellung in der Galerie in den Hilton-Kolonnnaden in Berlin, verkaufte aber nichts. Baselitz wurde bald berühmt, Schönebeck hungerte sich weiterhin durchs Leben. Sein Werk wurde zusehends figurativ und setzte sich zu einem großen Teil mit der NS-Vergangenheit auseinander. Seine Sympathie für die kommunistische Bewegung in Mexiko, in der Sowjetunion und China und sein Interesse für das Ideal des „Neuen Menschen“ ließen die Formate seiner Bilder immer größer, den Farbauftrag immer flächiger werden. Ende 1966 verlor er das Interesse an der Staffelmalerei und beendete abrupt seine öffentliche Karriere als Maler.

Er hat also nur knapp 10 Jahre gemalt, in dieser Zeit etwa 80 Gemälde und ungefähr 800 Zeichnungen geschaffen. Er verweigerte sich zwar bis heute nicht zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen, steuerte aber selbst nichts Neues mehr bei. 1992 hatte er seine erste große Einzelausstellung in Hannover gehabt. Nun, in seinem 75. Lebensjahr, zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt (bis 15. Mai 2011) eine Retrospektive von mehr als 40 erhalten gebliebenen Gemälden (viele hat der Künstler selbst zerstört) und ebenso vielen Arbeiten auf Papier aus jenem Schaffensjahrzehnt, und man ist erstaunt, wie suggestiv die künstlerische Formsprache Schönebecks heute noch auf den Betrachter wirkt.

Der die Schau begleitende Katalog bildet die ausgestellten Arbeiten ganzseitig ab, enthält ein Werkverzeichnis, eine Bio- und Bibliographie des Künstlers, vor allem aber die erste umfassende Auseinandersetzung mit dem Werk Schönebecks durch die Kuratorin der Ausstellung, die amerikanische Kunsthistorikerin Pamela Kort. Sie hat im Wintersemester 2010/2011 an der Humboldt-Universität zu Berlin ein Seminar über Leben und Werk Schönebecks abgehalten, und die recherchierten Ergebnisse der Seminarteilnehmer sind in ihren Aufsatz eingeflossen. Sie hat eine ganze Anzahl von Interviews mit dem Künstler selbst geführt, und so konnte sie von einem gut gesicherten und vom Künstler abgestützten Material ausgehen. Man muss Pamela Korts Ausführungen bei gleichzeitigem Betrachten der Abbildungen lesen und kann hier viele interessante Beobachtungen und Entdeckungen anstellen.

Prinzipien des Tachismus überwuchern die Gestalten, Gesichte und Bildgründe in Schönebecks Frühwerk wie ein Schorf. Die Farbmaterie ist hier Ausdrucksträger. Der freie, gestische Malvorgang erscheint betont destruktiv: nicht so sehr das Auftragen der Farben mag ihm wichtig gewesen sein, sondern mehr das nachträgliche Abkratzen und Beschädigen der Oberfläche mit dem Skalpell.

„Die Nacht des Malers“ (1961), Schönebecks erstes ausgereiftes Gemälde, ist Ausdruck des Ringens um künstlerische wie menschliche Identität. Der malerische Ernst, mit dem der Künstler seine erlebten Gesichte – so auch das zerstörte, introvertierte Antlitz der „Jungen Frau“ (1962) – verwirklicht hat, bringt einen anschaubaren Zugang in die Bereiche zwischen (Angst-)Traum und Wachheit. Es sind Gesichte, die sich wie zufällig aus der Farbmaterie zu einer – unbestimmten – Form zusammenfügen und die sich im nächsten Augenblick schon wieder auflösen können. Diese Gesichter des Unterbewusstseins können nicht nur drohend und verhängnisvoll, zerstörerisch und quälend, sondern auch von verzweifelter Energie sein, mit der sie sich zu behaupten suchen. Eine Übertragung der psychischen Aktion in die Bildform findet hier statt. So entstehen Formsignale, Gestaltzeichen, die Figürliches assoziieren lassen, man könnte auch von Erlebnisberichten sprechen. Im merkwürdigen Kontrast zur Gegenstandslosigkeit steht das geisterhafte, zumindest aber vexierbildhafte Auftauchen von menschlichen Gestalten: Gehängte („Toter Mann“, 1962), Quälende („Der Fänger“, 1962) und Gequälte („Gefolterter Mann“, 1963), kopflose, verwesende Körper, Menschen in Schweinsgestalt („Ginster“, 1963) oder mit Elefantenrüssel. Solche Vexierbilder sind eine aus der Psychoanalyse bekannte Erscheinung, nur mit dem Unterschied, dass hier Gegenständliches und Physiognomiehaftes vom Künstler in den gegenstandslosen Formenablauf impliziert wird.

Mit der alten Überlieferung christlicher Heilslehre wird bei Schönebeck gebrochen. Hier stößt man auf die umgekehrten Zeichen des Heils, das Kreuz ist nur noch ein T-förmiges Gerüst, an dem Köpfe, amputierte Körper oder Organe hängen oder in die Tiefe stürzen, jede flehend erhobene Gebärde („Der Gekreuzigte II“, 1964) wird vergeblich sein, dumpfe, erdige Farben ziehen nach unten. Eine Sprache von unerhörter Sensibilität. Der Mensch im Spannungsfeld von Gewalt und Tod, Aggression und Schmerz. Schönebeck zeigt den Menschen in einer Welt der Vergewaltigung, der Folterung, die Kreatur wird gepfählt, kaum ist das Kreatürliche in ihr noch identifizierbar. Es sind nur noch anonyme Fleischklumpen oder bloße organoide Formen. Die Farbe hat eine abstoßende Körperlichkeit, so als ob ihre körnige zellulare Struktur, mit tropfendem Pinsel über die Leinwand gestrichen, zu einem Gewebeabstrich gehört. Diese Kreuzigungs-Bilder sind mit Sicherheit von Francis Bacon beeinflusst, aber während es bei Bacon um eine klinische Betrachtung des menschlichen Körpers als Objekt ohne jede Intimsphäre geht, haben wir es bei Schönebeck mit einer existenzialistischen Auseinandersetzung zu tun, einer Abrechnung auch mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Es sind eindringliche Studien der gesellschaftlich erlittenen Deformation des Individuums.

Bald hält auch die Figur in hieratischer Strenge und massivem Volumen wieder Einzug in sein Werk, bewahrt aber eine fast dinghafte Formanonymität. Die menschliche Figur erscheint monumentalisiert und statisch im Kontrast zu Gegenständen und Farbfeldern. Großformatige Porträts des sowjetischen Vorzeige-Dichters Wladimir Majakowski, der aber auch die Sowjetbürokratie und das alte Spießertum im neuen sozialistischen Gewande geißelte, als auch des in der Sowjetunion in Acht und Bann geschlagenen Schriftstellers Boris Pasternak, Lenins wie Trotzkis, aber auch des mexikanischen Künstlers und Aktivisten Siqueiros werden ohne erdrückende Dämonie dargestellt, und doch betrachtet man sie mit einem leichten Schauer des Gruselns.

Eine deutliche Ojektivierungstendenz ist erkennbar, die das gemalte Bild aus streng beobachteten und auf ihre Formmöglichkeit hin analysierten Elementen zusammenfügt, möglichst unter weitgehender Ausschaltung von emotionell oder stimmungshaft bedingten Begleiterscheinungen, die man früher als selbstverständlich zum Bild gehörend annahm. Seine Porträts verfremdet Schönebeck im Sinne einer dem Motiv übergeordneten plakativen Wirkung, er wird aber der überindividuellen Suggestionskraft weitaus gerechter, als es die Werbung projiziert, die ja letztlich auf einen Gegenstand hinweisen will. Vielen Porträts ist eine Schraubzwinge vor den Mund gelegt, so wird auf den Widerspruch zwischen individueller Botschaft und gesellschaftlicher Unfreiheit verwiesen.

Sein monumentales Bild „Mao Tse-Tung“ ( 1965) ist nach einem Foto des Diktators in der „Spiegel“-Ausgabe vom18. Januar 1965 entstanden. Unbewegt, den Blick in die Ferne gerichtet, mit der Diagonale des Arms jede Annäherung abwehrend, statt der Zigarette eine Rose in den Fingern fast zerdrückend, strahlt dieser kommunistische Führer alles andere als Vertrauen, sondern unnahbare Distanz, ja unberechenbare Gefährlichkeit aus. „Diesen Monstren mit der Farbe Orange (hier ist es ein anonym wirkendes Graubraun – K. H.) Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“, so hatte Schönebeck im „Pandämonium II“ von 1962 seine Absicht erklärt. Die Idolfiguren werden entmythologisiert, ihres Werbeeffektes entkleidet, auf ihr reales politisches Maß zurückgeholt – das zeigt sein Gefühl für den Nerv, für die kritische Situation in gesellschaftlichen Krisenzeiten. Es sind Gestalten eines Pandämoniums, die zugleich abstoßen und faszinieren, beides ihres Echos wegen, das sie im Betrachter auslösen.

Mag man diese Malerei heute auch nicht mehr als zukunftsweisend betrachten, als gesamtdeutsche Erscheinung bleibt der Kunstrebell, der Nonkonformist, der Einzelgänger Schönebeck in seiner Suche nach einer neuen Figuration für die Kunst der 1960er-Jahre eine unverzichtbare Größe.

Titelbild

Pamela Kort / Max Hollein (Hg.): Eugen Schönebeck 1957 - 1967.
Hirmer Verlag, München 2011.
175 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783777435619

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