Gender-geknickte Vorgartenzwerge

Gewerkschaftsgremien organisieren eine Tagung über Schriftstellerinnen in Opposition, Revolution und Widerstand

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Angela Merkel ist zwar die erste Bundeskanzlerin „dieses unseres Landes“, wie einer ihrer Vorgänger wohl gesagt haben würde. Aber sie ist bekanntlich keineswegs die erste Frau, die in die Politik „greift“. Weder hierzulande noch überhaupt. Das wagen ihre Geschlechtsgenossinnen schon seit altägyptischen Zeiten. Und zwar meist unter Bedingungen, die für politisierende Frauen noch weitaus widriger waren, als sie es heutzutage sind, wo sich weibliche Kabinettsangehörige allerdings noch immer gefallen lassen müssen, dann und wann nach ihrer Frisur beurteilt zu werden, und sich weibliche Abgeordnete des Europaparlaments veranlasst fühlen, ihren schwangeren Bauch vor der Kamera zu entblößen.

Unter dem Titel „Die Frau greift in die Politik“ haben Heidi Beutin, Wolfgang Beutin, Heinrich Bleicher-Nagelsmann und Holger Malterer nun einen Sammelband über schreibende Frauen der letzten beiden Jahrhunderte herausgebracht, die politisch oder vielleicht sogar parteipolitisch tätig waren. Der Band, dessen Titel ein Zitat von Ludwig Rubiner abwandelt, das besagt, der Dichter greife in die Politik, geht auf eine Konferenz zurück, die 2008 von verschiedenen Gremien des Deutschen Gewerkschaftsbundes organisiert wurde.

Da wundert es nicht, dass „bei der Auswahl vorzustellender Schriftstellerinnen solche der Gewerkschafts- und Arbeiterinnenbewegung den Vorzug“ erhielten. In ihrer proletenhaften Herablassung jedoch geradezu peinlich nimmt sich die Anmerkung der HerausgeberInnnen aus, „der Beitrag adliger und bürgerlicher Schriftstellerinnen, die halfen, der Frau den Weg in die Politik zu ebnen“ sei „gleichermaßen unverächtlich“.

Nicht nur die Auswahl der behandelten Schriftstellerinnen ist von der gewerkschaftlichen Orientierung betroffen. Auch die politische Stoßrichtung der Beiträge und manche ihrer Einschätzungen dürften nicht ganz unberührt geblieben sein. So erklären die HerausgeberInnen im Vorwort etwa die Novemberrevolution von 1918 habe „in der Befreiung der Frau den bisher bedeutendsten Schritt getan“. Sie habe die „Zusicherung der Gleichberechtigung der Frau zumindest in der Politik“ erkämpft. Ein Geschenk der Herren Revolutionäre mithin. Die Bürgerliche Frauenbewegung und ihre Aktivistinnen haben nichts Vergleichbares geleistet, heißt das implizit, seien sie nun dem gemäßigten Flügel zuzurechnen wie Helene Lange, Gertrud Bäumer und Marianne Weber oder den Radikalen wie Hedwig Dohm, Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann.

Mitherausgeber Wolfgang Beutin eröffnet den Band mit „Namen, Daten und Stichwörter“ „zur Geschichte der Frau und der Frauenbewegung“, wobei er den „Schwerpunkt auf Deutschland und Österreich“ legt, jedoch bis tief in die Antike zurückgeht. Für einen zweieinhalb Jahrtausende abdeckenden Zeitraum genügen ihm zehn Druckseiten, auf denen er zwar etliche Männer anführt, die wie etwa August Bebel während des 19. Jahrhunderts für die Frauenbewegung bedeutend gewesen seien, dafür aber Hedwig Dohm ganz vergisst. Immerhin nennt er sie später in einem zweiten Beitrag und würdigt sie nun als „verdienstvolle radikale Feministin“. So wichtig wie Bebel scheint sie ihm dann aber doch nicht zu sein. Überhaupt bleibt der fade Eindruck, er bemühe sich nach Kräften, die Erkenntnisse und Erfolge der Frauenbewegung und ihrer Verfechterinnen, Männern als Verdienste gutzuschreiben, die beispielsweise in Gestalt von Pierre Carlet de Marivaux (in „Die Kolonie“), Johann Wolfgang Goethe (in „Die guten Weiber“) und Wilhelm Raabe („Gutmanns Reisen“) schon zwischen 1750 und 1891 die „wesentlichen Programmpunkte der Frauenbewegung“ vorweggenommen hätten. Und auch die sozialdemokratische Frauenrechtlerin Lilly Braun habe ihre Ausführungen „zur Entwicklung der Frauenarbeit“ „schon bei Marx lesen können“.

Dazu passt, dass der Autor die ebenso antifeministische wie sexistische Sotisse „Emanze“ als „humoristisches Scheltwort“ verharmlost und ausgerechnet zu dem unsäglichen „Marxistisch-leninistische Wörterbuch der Philosophie“ greift, um den Begriff Emanzipation „aus philosophischer Sicht“ zu erläutern. Damit zieht er ein Nachschlagewerk heran, das sich im Klappentext einer 1975 erschienenen Linzensausgabe dafür preist, sich „seinen Platz im Prozeß der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft durch die Arbeiterklasse unter Führung der Marxistisch-leninistischen Partei gesichert“ zu haben. Beutins eigene Argumentation steht denn auch in einer ziemlich alten aber wenig ehrwürdigen marxistischen Tradition, wenn er erklärt, Clara Zetkin und August Bebel hätten in der Auseinandersetzung mit der Frauenbewegung „alles gute Recht auf ihrer Seite“ gehabt, „beim Blick auf die tatsächliche Situation der Arbeiterinnen die Versorgungsfrage als Kern der Frauenfrage zu begreifen: als ökonomische Frage“. Damit hätten sie sich keineswegs „des ‚Ökonomismus‘ schuldig“ gemacht, verteidigt er die beiden ‚marxistischen Klassiker‘ – und sich gleich mit – gegen einen naheliegenden Vorwurf.

Wolfgang Beutin eröffnet den Band nicht nur mit seinen Stichworten, Daten und Namen zur Geschichte der Frauenbewegung, sondern steuert auch den umfangreichsten Aufsatz bei. Er gilt der „Theoretikerin, Psychoanalytikerin und Romanschriftstellerin“ Lou Andreas-Salomé und weist Hedwig Dohms Urteil über die von dieser als „Antifeminstin“ kritisierte Autorin zurück. Dies allerdings ganz offenbar, ohne Dohms Salomé-kritische Schrift „Die Antifeministen“ selbst in die Hand genommen zu haben. Diese Vermutung legt zumindest der Umstand nahe, dass er sie ausschließlich nach einem vom Biddy Martin verfassten Buch zitiert, das ihm neben den Schriften von Salomé selbst überhaupt als wichtigste, fast möchte man sagen einzige Quelle dient. Für den übl(ich)en sexistischen Brauch, Autorinnen und andere Frauen nicht so wie Männer beim Nachnamen, sondern beim Vornamen zu nennen, erfindet er im Falle Salomés eine ganz eigene, aparte Begründung: Salomé sei ja eigentlich ein Vorname und Andreas-Salomé ihm zu lang. Dass sich Andreas-Salomés Nachname sogar aus zwei Vornamen zusammensetzt, von denen einer auch noch männlich ist, führt er hingegen nicht als Argument ins Feld. Jedenfalls aber nennt er sie vertraulich Lou, „um Raum zu sparen“. Die auch nicht längere Abbreviatur LAS weist er ohne Begründung zurück.

Es gibt also so manches, was an Wolfgang Beutins Beiträgen missfällt. Doch immerhin beklagt er zurecht, dass in weiten Teile der Salomé geltenden(Forschungs-)Literatur deren „Männer‚beziehungen‘ als Hauptmerkmal ihrer Biographie – ihr Schreiben über dieselben als Hauptmerkmal ihrer Bibliographie“ erscheine. Von den doch immerhin nicht so ganz wenigen wissenschaftlichen Publikationen, auf die das Verdikt nicht zutrifft wie etwa die Monografien von Katrin Schütz und Muriel Cormican sowie seit 1999 zahlreiche Aufsätze von Christine Kanz, gerät jedoch kaum eine in sein Blickfeld. Nur Biddy Martins Monografie zieht er immer wieder als „Beispiel“ für die „in der neueren Forschung energischen Bemühungen“ heran, „dem Leben und Lebenswerk Lous intensiv gerecht zu werden“.

In seinen Daten und Stichworten zur Frauenbewegung hat Beutin nicht nur Hedwig Dohm vergessen, auch Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann sind ihm keine Erwähnung wert. Dass die beiden radikalen Feministinnen dessen ungeachtet sogar mit einem ihnen gewidmeten Beitrag Eingang in den Band fanden, verdanken sie Susanne Schidt-Knaebel. Die Marxistin Frigga Haug wiederum huldigt ihrer Genossin Rosa Luxemburg, Heinrich Bleicher-Nagelsmann begibt sich auf die Spuren von „Publizistinnen in der frühen Frauenbewegung“ und Antje Dernier“ besucht „FRAUEN AN DER FÜRSORGEFRONT“. Sigrid Bock widmet sich in einem reichlich unkritischen Artikel Anna Seghers Roman „Die Toten bleiben jung“ und lobt den Roman überschwänglich als „einen Gipfel deutscher Literaturentwicklung“, der „unausschöpfbar wie das Meer“ sei.

Christian Bunners stellt hingegen Ricarda Huchs Prinzip „Freiheit statt Zwang“ am Beispiel der Bereiche „Geschichte, Religion und Widerstand“ vor. Ihr Name sei heute fast vergessen. In offenbarer Unkenntnis ihr gewidmeter literatur- und kulturwissenschaftlicher Arbeiten oder Biografien aus den letzten Jahren meint der Theologe, ihre Erinnerung werde fast nur noch an nach ihr benannten Gymnasien gepflegt. Zum Beleg zitiert er einen Artikel aus einer „Schülerzeitung“. Statt eine zitierfähige Quelle zu nennen, verweist er darauf, dass man sich den Text unter dem Suchwort „Ricarda-Huch-Gymnasium Gelsenkirchen“ ergoogeln könne.

Beschlossen wird der Band von Mechtild Jansen, die nach der „Erfüllung und Auslöschung der Ziele der Frauenbewegung“ an der Schwelle zum 21. Jahrhundert fragt. Das klingt vielversprechend, ja sogar hochinteressant und so beginnt man die Lektüre erwartungsvoll, auch wenn die Autorin sogleich einräumt, dass sie „lediglich einige Gedanken und Denkvorschläge“ zu bieten hat. Dies aber lässt ihren Text bald etwas unausgereift erscheinen. So konstatiert sie etwa, dass die Frauenbewegung eine „außerordentliche Erfolgsgeschichte“ geschrieben habe und ihre Forderungen „erfüllt“ seien, „bis auf ‚Restbestände, die aber nicht mehr umstritten sind.“ Frauen seien heute „selbstbestimmter denn je“ und der „Gender-Knick zum Mann hin erfolgt“. Dann jedoch hebt sie zu einem ebenso großen wie polemischen Lamento an. Die Frauenbewegung habe zuletzt keine neuen Ideen mehr hervorgebracht, sich „nicht mehr (selbstkritisch und reflektiert) weiter entwickelt“, sie sei „stehen geblieben, intellektuell unproduktiv (wenn nicht gar antiproduktiv) geworden, erschöpft, verwaltet“. Ihre letzten „Impulse“ seien „von den dekonstruktiv-pervormativ queeren Ansätzen ausgegangen“. Doch auch diese erscheinen ihr inzwischen als „eine zu Ende ausgelotete Lockungsmethode. Geblieben ist Vorgartenpflege – nicht selten borniert“.

Titelbild

Heidi Beutin / Wolfgang Beutin / Holger Malterer / Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Hg.): Die Frau greift in die Politik. Schriftstellerinnen in Opposition, Revolution und Widerstand.
Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main 2010.
373 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783631603956

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch