Die Korrektur eines Versehens

Robert R. Shandleys Zeitreise in die obskure Welt der Trümmerfilme

Von Christian RinkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Rink

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Lebenswerk des amerikanischen Germanisten Robert R. Shandley steckt in diesem kleinen Buch. Es ist eindeutig eines für Liebhaber, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als irgendwo lesend zu sitzen und die Frühlingssonne Frühlingssonne sein zu lassen. Schon das Kleinformat und die wunderbare Ausstattung begeistern. An der Übersetzung gibt es auch nichts einzuwenden, Druck- und Sachfehler sind – für einen Rezensenten immer ein Grund sich zu ärgern – kaum zu finden. Schön, dass es Verlage in Deutschland gibt, die noch Bücher und nicht nur Texte herausgeben können.

Inhaltlich weiß Shandley mit seiner Zeitreise in die unmittelbare Nachkriegszeit ebenso zu überzeugen. Er verfolgt zwei Ziele mit seinem Buch „Trümmerfilme“: Zuerst einmal die kritische Deutung einer repräsentativen Auswahl von Filmen, die zwischen 1946 und 1949 in Deutschland gedreht wurden und sich mit der unmittelbaren nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen. Aus etwas mehr als 50 Spielfilmen wählt er 17 Produktionen (von „Die Mörder sind unter uns“, dem ersten deutschen Nachkriegsfilm überhaupt, bis „Der Ruf“) die „insofern einen Filmzyklus [bilden], als ihnen allen dieselbe Problematik zugrunde liegt: der lange Schatten, den das Vermächtnis des Dritten Reiches wirft.“

Diese Problematik hätte der Autor an dieser Stelle gerne präziser und weniger metaphorisch bestimmen können. Nicht nur hier wird der Sprachgebrauch der Gegenwart auf Probleme der Vergangenheit übertragen, was gelegentlich zu diskussionswürdigen Ergebnissen führt. Die nationalsozialistische Vergangenheit als „langer Schatten“ ist mittlerweile ohnehin schon eine recht abgenutzte Metapher, die den Gegenstand, den sie umschreibt, eher verdunkelt als erhellt. Das tut der Leistung des Autors jedoch keinen Abbruch, denn durch die durchweg klugen und nachvollziehbaren Analysen der ausgesuchten Trümmerfilme schließt Shandley tatsächlich, wie intendiert, eine ebenso große wie merkwürdige Lücke in der Filmgeschichte. Dass die einzelnen Regisseure der Trümmerfilme tatsächlich eine gemeinsame Auffassung des Filmemachens nach dem Nationalsozialismus hatten, dessen ist man sich nach der Lektüre des Buches, in dem eben sehr verschiedenartige Zugänge zum nationalsozialistischen Erbe sichtbar gemacht werden, alles andere als sicher.

Nach Shandley ließe sich eine solch gemeinsame Auffassung in „Sieben Säulen des Trümmerfilms“ zusammenfassen. Auch wenn man die Annahme einer gemeinsamen Intention der Filmemacher nicht teilt, sind die Kategorien „Wiedergutmachung, Aussöhnung, Neudefinierung, Wiederstabilisierung, Wiedereingliederung und Wiederaufbau“ zur Beschreibung der Gattung ‚Trümmerfilm‘ gut geeignet und im eigentlichen Sinne des Wortes diskussionswürdig. Und genau das verlangt man von einem Sachbuch: Dass man nach der Lektüre schlauer ist und Fragen im Kopf hat, die man vorher nicht zu denken vermochte. Denn dadurch, dass Shandley seinen Filminterpretationen ein Kapitel voran stellt, in dem er das Ende und den Wiederaufbau der mächtigen Filmindustrie im zerstörten Nachkriegsdeutschland sachlich genau und mit Fakten gefüttert anschaulich beschreibt, liefert er nicht nur ein präzises Bild der Filmindustrie der Nachkriegszeit sondern auch eines der deutschen Nachkriegsgesellschaft überhaupt.

Das zweite Ziel des Autors, neben der Darstellung der Filme und der Filmindustrie, ist ein offen gesellschaftskritisches und offensichtlich biografisch motiviertes. Weil die Trümmerfilme eine wichtige Rolle bei der „Formierung einer kollektiven Haltung gegenüber der Vergangenheit, […] die viele öffentliche Debatten in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland prägte“, innehatten, sei es von entscheidender Bedeutung, den Umgang der Regisseure mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht nur aus einem filmtheoretischen sondern auch aus einem ethisch-moralischen Blickwinkel „auszuwerten“. Die Frage, wie die Regisseure des Trümmerfilms die Vergangenheit „offenbaren und gleichzeitig kaschieren“ ist dabei für Shandley von entscheidender Bedeutung. Er kommt zu dem Schluss, dass bei aller Kritikwürdigkeit der einzelnen Form der Umstand, dass sich die Filmemacher unmittelbar nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft überhaupt mit dieser Vergangenheit durchaus vielfältig auseinandergesetzt haben, bemerkenswert sei. Umso mehr, als seine Beschäftigung mit den Trümmerfilmen durch das Bedürfnis angeregt wurde, ein  „Versehen zu korrigieren, das ganz besonders in der Germanistik nach 1968 blühte“. Nach allgemeiner Auffassung habe der deutsche Film (und die deutsche Kultur überhaupt) bis in die 1960er-Jahre komplett darin versagt, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu befassen. Shandley zeichnet freilich ein tiefenschärferes Bild der Nachkriegsjahre und greift somit einen Teil des Mythos an, „der die Studentenbewegung von 1968 und deren vermeintliche Aufdeckung der Wahrheit umgibt“.

Titelbild

Robert R. Shandley: Trümmerfilme. Das deutsche Kino der Nachkriegszeit.
Übersetzt aus dem Englischen von Axel Meier.
Parthas Verlag, Berlin 2010.
312 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783869640211

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