Gesellschaft im Rausch

Mike Jay untersucht in seinem Buch „High Society“ den kulturellen Stellenwert von Drogen

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist eine Droge? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten ist, wie es anfangs scheint, denn Drogen haben, je nach Kulturkreis, unterschiedlichen Stellenwert und Funktion, sei es als rituelle Stimulanz, Arzneimittel oder Statussymbol. Mike Jay zeigt in seiner neuen Publikation „High Society. Eine Kulturgeschichte der Drogen“ das ganze soziale und gesellschaftliche Spektrum von Rauschmitteln und ihrer geschichtlichen Entwicklung.

Rausch als kulturelles Phänomen

Jede Gesellschaft hat ihre Drogen. Seien es Kaffee, Tee, Alkohol oder andere Substanzen, ihre bewusstseinserweiternde Wirkung wird rund um den Globus geschätzt. Laut der Liste der „menschlichen Universalien“ des Anthropologen Donald E. Brown zählen Rauschmittel zu den wichtigen Bestandteilen einer Kultur wie auch Musik und Sprache. Drogen werden konsumiert zu rituellen, sozialen oder medizinischen Zwecken, dieses evolutionäres Phänomen reicht weit in unsere Vergangenheit zurück. Mike Jay sieht darin „ein raffiniertes Wechselspiel zwischen Flora und Fauna, dass seit mindestens 300 Millionen Jahren im Gang ist“. So entstehen in der Natur bestimmte Stoffe, die mit ihrer besonderen Wirkung Arten schützen sollen, wie zum Beispiel die Tannine, welche Koniferen produzieren, um Parasiten wie Pilze abzuwehren. Zusätzlich halten Bitterstoffe holzbohrende Insekten fern. Und auch Tiere machen sich natürliche Drogen zu nutze, teils um ihre Leistung zu steigern oder sich einfach zu berauschen. Der Genuss von vergorenen Früchten bei Zugvögeln oder sogar Elefanten ist bekannt.

Bei verschiedenen Naturvölkern werden Rauschzustände als gesellschaftliches Ereignis zelebriert. Schamanen versetzen sich mittels Rauschmittel in Trance, um die Zukunft ihres Stammes vorherzusagen. Der sogenannte „Jaguar-Komplex“ stellt eine Art Gestaltwandlung dar, bei der sich der Schamane den Körper und die Kräfte des Jaguars aneignet. Es dominiert die Vorstellung, dass Drogenkonsum verborgene Kräfte frei setzt – auch, wenn das alles nur in einer Art Rauschtraum geschieht.

Kawa, ein Rauschpfeffer, hat bei den Naturvölkern im Südpazifik eine lange Tradition und ist bereits in deren Ursprungsmythen verzeichnet. In dieser Kultur gilt Kawa als ein wertvolles Geschenk und eignet sich ebenfalls als universeller Problemlöser. Anthropologen haben beobachtet, dass während den Kawa-Zeremonien Konflikte innerhalb der Gesellschaft effektiv und friedlich gelöst wurden.

Versuch einer Definition

In Anbetracht dieser Tatsachen erweist sich eine allgemeingültige Definition, was eine Droge eigentlich ist, als schwierig. Auf ihre berauschende Wirkung allein können Drogen nicht reduziert werden. Auch die gesellschaftliche Verwendung von Drogen und die ihr entgegengebrachte Aufmerksamkeit ist entscheidend, wie Mike Jay im zweiten Kapitel von „High Society“ zeigt.

In einem geschichtlichen Überblick stellt er Drogenkonsum von der Antike bis zur Gegenwart dar, erläutert die jeweiligen Produktions- und Anwendungsmöglichkeiten sowie die Verwendung von Drogen zu medizinischen Zwecken in den verschiedenen Kulturen. Der Haschischkonsum im Orient wird ebenso besprochen wie die englische Kaffeehaustradition oder die chinesischen Opiumhöhlen.

Drogen verändern sich im Laufe der Geschichte, die Wissenschaft erforscht ihre chemischen Strukturen und entwickelt sie weiter. So werden in „High Society“ neben natürlichen Drogen wie Hanf, Kokain, Tabak oder Kaffee auch die modernen (halb)synthetischen und Drogen wie LSD und Ecstasy besprochen, die größtenteils in Labors hergestellt werden.

„Die Kategorie ‚Drogen‘ kann nicht ein für alle mal festgeschrieben werden, denn ihre Einschätzung wird nicht von der Chemie, sondern auch von der Gesellschaft bestimmt. In einer Zukunft, in der Drogen entstehen, die das Gehirn mit immer größerer Genauigkeit stimulieren können, wird die bewährteste Unterscheidung vielleicht wieder jene sein, die vor 2.000 Jahren von Dioskurides formuliert wurde: Ob eine Droge Arznei ist oder Gift, entscheidet die Dosis“, beschließt Mike Jay seinen Definitionsversuch.

Im abschließenden Kapitel des Buches widmet sich Mike Jay dem Geschäft mit Drogen. Es werden ebenso die historische Entwicklung des Drogenhandels und seinge gesellschaftlichen Implikationen beschrieben, wie auch ein kurzer Ausblick auf die Zukunft von Gesellschaft und Drogenkonsum skizziert.

Ein lebendiges Porträt

Auch in seiner dritten Publikation zu seinem Spezialgebiet Drogen in Kultur und Geschichte überzeugt Mike Jay mit anschaulichen und aufschlussreichen Ausführungen, wie Drogen und Gesellschaft miteinander agieren. Mit Bezügen auf Literatur und Film sowie Abbildungen zahlreicher archäologischer Fundstücke gelingt es Mike Jay ein umfassendes und lebendiges Porträt von Drogenkonsum und Gesellschaft zu zeichnen. Nutzen und Schaden von Drogen werden gleichermaßen sachlich betrachtet, ohne dass dabei mahnend der Finger gehoben oder der Konsum verherrlicht wird. Mit „High Society. Eine Kulturgeschichte der Drogen“ ist Mike Jay ein weiterer informativer Trip in die facettenreiche Welt der Rauschmittel gelungen.

Titelbild

Mike Jay: High Society. Eine Kulturgeschichte der Drogen.
Primus Verlag, Darmstadt 2011.
192 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896788580

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