„Wenn jemand ein Werk hat, ist er haftbar“

Eine DVD-Sammlung zum 100. Geburtstag von Max Frisch, des „Klassikers unter den Zeitgenossen deutscher Sprache“

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch bietet im Jahr 2011 Anlass zum mehrfachen Gedenken: 1911 in Zürich geboren, starb er ebendort 1991. Hinterlassen hat der Literat ein umfangreiches Werk, das ihm den Ruf eines Klassikers des 20. Jahrhunderts eintrug, als den ihn vor allem der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnete. Zahlreiche Verlage nutzen momentan das Jubiläum und bieten biografische Einführungen und Re-Lektüren der literarischen Texte, welche oftmals die Frage des Schuldigwerdens von Menschen sowie die der Identität im Zeitalter des Kollektivs und der Anonymität gestalten. Dominante Eigenart des Schaffens von Frisch ist sicherlich darüber hinaus ein Eintreten für die von privater Selbstverwirklichung und Autonomie gekennzeichnete Existenz des Individuums. Verknüpft damit ist eine dezidierte Kritik an der Vordergründigkeit und Beliebigkeit bürgerlich-kapitalistischer Lebensformen und gesellschaftlicher Umwelten.

Einen besonderen Zugang zu Leben und Werk des Schweizers eröffnet 2011 sein „Hausverlag“, der Berliner Suhrkamp Verlag. Zum 100. Geburtstag hat er in Kooperation mit der Mediengesellschaft „absolut MEDIEN“ einen Schuber mit fünf DVDs herausgegeben, der zentrale Filme mit und über den Schriftsteller versammelt: Matthias von Guntens Porträt „Max Frisch. Citoyen“, die Verfilmung „Holozän“ in der vielfach ausgezeichneten Fassung von Heinz Bütler und Manfred Eicher, Richard Dindos filmische Lektüre der Erzählung „Montauk“, die von Philippe Pillios in den Jahren 1985 beziehungsweise 1986 geführten „Gespräche im Alter“ mit Frisch sowie der Filmklassiker „Homo Faber“ unter der Regie Volker Schlöndorffs ergeben fast zehn Stunden „Frisch“.

Ergänzt wird dieses opulente audiovisuelle Angebot durch umfangreiche Booklets, die Zusatzmaterialien enthalten. So erfährt man beispielsweise über die filmische Biografie „Citoyen“, dass Matthias von Gunten dabei nicht von äußeren Ereignissen in Frischs Leben ausgegangen ist, „sondern von dem, was er geschrieben hat“. Insofern versucht er, „den Werdegang von Frisch in seinen eigenen Worten darzustellen“. Ins kulturelle Gedächtnis gelangt ist besonders das Bild von Max Frisch an der Schreibmaschine. In vielen anderen Medien hat es Verwendung gefunden.

Ebenso erfährt man über den Film „Holozän“, dass Bütler und Eicher den Collagencharakter der Vorlage beibehalten, „mit Hilfe von Schnittechnik, Kameraführung und Klangspuren sozusagen die assoziativen und zugleich synästhetischen Schichten der Erzählung“ freilegen.

Interessant ist auch der Einblick, den Volker Schlöndorff über seine „Begegnung mit Max Frisch“ im Kontext der Verfilmung von „Homo Faber“, die im März 1991 Kinopremiere feierte, gibt. Darunter ist auch die eindringliche Schilderung der letzten Wochen und Monate Frischs zu finden: Schlöndorff schildert das Gesprächsverhalten des Schriftstellers anschaulich und betont mit bewunderndem Unterton: „Ununterbrochen formulierte und artikulierte er, suchte nach dem richtigen Satz… Dabei verlor er im Gespräch nie den Faden, wie viel Nebensätze er auch einflocht und wie oft er auch aus Schwäche unterbrechen oder mit dem Asthma um Luft ringen musste.“

Mit der vorliegenden Filmedition erweist der Suhrkamp Verlag „seinem“ Autor die Reverenz. Man lädt ein zu einer vielfältigen Begegnung mit einem Schriftsteller, der neben Friedrich Dürrenmatt die literarische Schweiz geradezu kanonisch repräsentiert. Dabei kann der Zuschauer und Leser dank des facettenreichen Materialangebots nachvollziehen, warum Frisch bis heute einen Platz im literarischen Olymp beanspruchen kann. „Lange Frisch-Nächte“, Kino-Abende und „Literatur-Happenings“ sind dank der Edition möglich – 566 Minuten Filmmaterial enthält der Schuber für solche und ähnliche „Events“. Wer danach kein Interesse an einer vertieften Beschäftigung mit Autor und Werk hat, kann sicherlich im „stillen Kämmerlein“ zum Lesen verführt werden. Mit den Worten des Jubilars: „Die Erfahrung ist nicht ein Schluß, sondern eine Eröffnung; ihr Bezirk ist die Zukunft. Oder die Zeitlosigkeit.“

Kein Bild

Max Frisch: Max-Frisch. Filme, Porträts, Interviews.
5 DVDs.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
564 min, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783518061572

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch