Hundert Jahre Leben machen noch keine Jahrhundertgestalt

Zwei hymnische Texte über die Witwe des Widerstandskämpfers Helmuth James von Moltke

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist überhaupt ein Jahrhundertleben? Ist eine derartig anspruchvolle Etikettierung für Freya von Moltke, die zuletzt zu einiger Prominenz gelangte Witwe des Regimegegners Helmuth James von Moltke, überhaupt gerechtfertigt? Die Tochter eines Kölner Bankiers überlebte ihren Mann um 65 Jahre, immerhin 50 davon verbrachte sie in den Vereinigten Staaten. Mit dem Urgroßneffen des renommierten Feldherrn der Einigungskriege, der seit 1939 als Völkerrechtler und Kriegsgerichtsrat in der Abteilung Abwehr des OKW diente, war sie gerade einmal 14 Jahre verheiratet. Ihr einziger Ruhm bestehe darin, dass sie Helmuths Frau sei, schrieb Freya von Moltke 1956 an Eugen Rosenstock-Huessy, den akademischen Lehrer ihres Mannes, zu dem sie schließlich vier Jahre später zog, nachdem es ihr nicht gelungen war, mit ihren beiden Söhnen im Apartheitsstaat Südafrika heimisch zu werden. Freya von Moltke machte nie eine große Karriere, und in der Öffentlichkeit hierzulande spielte sie lange keine Rolle. Als literarisches Œuvre könnte man allenfalls ihren Anteil an dem inzwischen auch publizierten Briefwechsel mit ihrem von den Nazis inhaftierten Ehemann werten. An den ausgedehnten Debatten des so genannten Kreisauer Kreises hatte sie aber kaum unmittelbaren Anteil genommen.

Was also war an diesem Leben so bemerkenswert, dass jetzt anlässlich ihres hundertsten Geburtstages gleich zwei Biografien über Freya von Moltke erscheinen? Geradezu hymnisch spricht die Publizistin Silke Tempel im Vorwort ihrer beim Rowohlt Verlag erschienenen Biografie von einem Vorbild, das sie in ihrer ganzen Kraft und Menschlichkeit aufleuchten lassen möchte. Klarer könnte man es kaum zum Ausdruck bringen, dass nicht eine Biografie, sondern eine Art Erbauungsbuch beabsichtigt war.

Auch das zweite Biogramm aus der Feder der Göttinger Historikerin Frauke Geyken strotzt vor hagiografischen Elementen, wenn sie etwa ihre Protagonistin über die Ermordung ihres Mannes sagen lässt: „In Helmuths großem Tod hat er mich soweit wie möglich hinein genommen. Soweit, dass er mich mit seinem ‚Ja‘ beschenkt hat. Aus diesem ‚Ja‘ fließt mir seither unendlicher Segen.“

Wenigstens setzt Geyken dem kitschigen Pathos ihrer Protagonistin das klare Urteil der Journalistin Katharina Christiansen-Leber entgegen, die eine ungewöhnlich kritische Haltung zum so genannten Heldentod ihres Vaters, Julius Leber, eingenommen hat. „Ich fand heraus, dass Vater am allerwenigsten für meinen Bruder und mich, sondern für die anderen Deutschen, die den Krieg überlebt hatten, gestorben war. Hat er doch die Ehre der Nation dem Glück seiner Familie vorgezogen.“

Gleiches ließe sich gewiss auch über Helmuth James von Moltke und die Angehörigen des Kreisauer Kreises sagen. Brachten sie denn nicht tatsächlich sich und auch ihre Familien in höchste Gefahr, nur um einige politische Visionen niederzuschreiben, die jenes Volk, das die Kreisauer doch so beherzt retten wollten, gewiss mehrheitlich abgelehnt hätte. Bei Freya von Moltke hat sich unzweifelhaft das hohe Pathos ihres Mannes bis zuletzt erhalten, wenn sie später im Alter erklärte: Sie sei ja nicht unbescheiden und fände, dass „die Kreisauer mit dem gesamten Widerstand in Deutschland von und durch die Historiker gut und solide erhalten bleiben müssen – „um der deutschen Seele willen, die es ja gäbe“. Die Erfahrung, „auf der richtigen Seite gestanden, für die richtige Sache gekämpft zu haben, erfüllte sie mit Hochgefühl: „Wir haben die ganzen Jahre der Arbeit gegen die Nazis und die Endmonate und, ja, auch noch die Nachzeit als eine große Zeit gelebt.“

Spätestens zu diesen offenen Versuchen einer Selbstmythologisierung hätte man sich schon einige kritische Anmerkungen der zitierenden Autorin Frauke Geyken gewünscht. Der von ihrem Verlag hervorgehobene exklusive Zugang zum persönlichen Nachlass der Protagonistin hat ihr – fast schon erwartungsgemäß – nicht zu einer angemessen distanzierten Perspektive verholfen. Auch Tempel zeichnet ein durchweg heroisches Bild der Widerstandszeit in Kreisau und lässt ihre Protagonistin sogar von einem Glaubensakt sprechen.

Helmuth James von Moltke immerhin wusste, worauf er sich in seinem Kampf gegen die Nazis einließ und wollte daher keine Kinder. Freya akzeptierte das jedoch nicht und so wurden – da Verhütung damals Frauensache war – zwei Kinder in eine ungewisse und vielleicht elternlose Zukunft geboren. War das aber verantwortliches Handeln? Darf man das wirklich loben?

Immerhin ist es Geyken mit ihrer biografischen Skizze – mehr als Tempel – gelungen, Freya von Moltke als eigenständige Persönlichkeit aus dem Schatten ihres Ehemannes zu lösen. Während Tempel ihre Schilderung mit dem 20. Juli 1944 beginnt und erst später den biografischen Faden aufnimmt, wählte Geyken den konventionellen Ansatz, wobei sie die Kreisauer Zeit – anders als Tempel – recht kurz abhandelt und dafür dem späteren Leben ihrer Protagonistin viel Raum gewährt.

Doch war es tatsächlich ein „Jahrhundertleben“, das diese doppelten biografischen Mühen rechtfertigen könnte? Eine wirkliche Lebensleistung ist bei Freya von Moltke in beiden Texten nicht zu erkennen. Wenn überhaupt ein roter Faden aufscheint, so wäre es eine gewisse Ziellosigkeit, die beinahe ihr ganzes Leben geprägt hat. „Freya hatte keine konkreten Pläne“ heißt es immer wieder bei Geyken, die es sogar noch schönredet, dass sich die junge Frau von Ehemann und Schwiegervater als Faktotum auf deren heruntergewirtschafteten schlesischen Gut einspannen ließ. Nach dem Krieg reiste sie auf der Suche nach überlebenden Widerstandskämpfern im verwüsteten Deutschland umher, ihre beiden Söhne, der jüngste gerade einmal vier Jahre alt, blieben allein in der Schweiz zurück. Als ihr aber Eugen Gerstenmeier, der Widerstandskämpfer und spätere Bundestagspräsident, eine feste Stelle in seinem Hilfswerk anbot, fielen ihr plötzlich wieder ihre Söhne ein. Dann entschloss sie sich doch, den wiederholten Einladungen des Burenpremiers Jan Smuths zu folgen und nach Kapstadt zu gehen, wo sie ihre Kinder auf die Schule schickte und „abwartete“. Ihren erlernten Beruf – sie war promovierte Juristin, allerdings ohne Staatsexamen – hat sie nie wieder aufgenommen, sondern sich bis ins hohe Alter mit Gelegenheitspositionen im sozialen Bereich beholfen. „Ich bin ja für die Menschen gemacht, weil ich so gut lieben kann“, urteilte sie über sich selbst. Man mag diese Äußerung zwar, wie beide Verfasserinnen goutieren, doch es klingt eher wie eine pathetische Selbstlegitimierung ihres Hausfrauendaseins. Der kaum verhohlenen Ablehnung, die ihr und anderen Witwen von Widerstandskämpfern im Adenauerstaat entgegenschlug, entzog sich Freya von Moltke schließlich durch ihre Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Das alles ist nicht ehrenrührig und es ließe sich auch gewiss biografisch als Leben auf drei Kontinenten verarbeiten. Ein Jahrhundertleben aber war es nicht, auch wenn das euphemistische Rosa, das sich kontinuierlich durch beide Texte zieht, einen anderen Eindruck zu vermitteln versucht. Auf die jetzt vorliegenden Hagiografien von Geyken und Tempel hätte man auch verzichten können.

Titelbild

Silke Tempel: Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2011.
224 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871346972

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Frauke Geyken: Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben; 1911 - 2010.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
287 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406613838

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch