„Der andere müsste das alles aus sich selbst kennen, um es zu verstehen“

Peter Horn diskutiert anhand des Werkes von Heinrich von Kleist die „Problematik der Psychoanalyse von literarischen Texten“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

László F. Földényi hat 1999 ein ebenso intelligentes wie äußerst lesbares Kleist-Wörter-Buch geschrieben. „Im Netz der Wörter“ hat er den Weg für weitere „Kleist-Wörter-Bücher“ gebahnt. Umso erstaunlicher, dass der ausgewiesene Kleist-Experte Peter Horn, der, wie der Klappentext seines Buchs „Verbale Gewalt oder Kleist auf der Couch. Über die Problematik der Psychoanalyse“ ausweist, von „1974 bis 1999 Professor und Head of Department of German an der University of Cape Town“, Südafrika, war, Földényis Opus nicht zitiert.

Wo Földényi von „Ach“ bis „Zufall“ in 96 Kapiteln die Kleist’sche Vielschichtigkeit mit einer grandiosen Fülle von zum Teil überraschenden Bezügen zum Sprechen bringt, lassen sich Horns Überlegungen in 40 kleineren Kapiteln von der These leiten, dass „Interpretationen […] immer Projektionen [sind], und die Projektion erklärt vieles. Nur nicht ihren eigenen Ursprung.“

Es seien einzelne Metaphern oder Satzsequenzen Kleists referiert, denen sich Horn widmet, wobei er offensichtlich bemüht ist, diese keinesfalls stillzustellen, zitiert er doch Michael Wirths Kleist-Studie: „Die Wirkung von Kunst muß dann tödlich sein, wenn sie Sicherheiten vermittelt und ihre Vervielfältigung sie zum Produkt verkommen läßt.“

So versucht Horn immer wieder, hinter die Fest-Stellungen von Interpretation zu gelangen, indem er Fragen stellt, etwa wenn er den „Amphitryon“ und die darin verhandelte „Gewalt der/gegen die Niederen und Komik“ behandelt. Dabei berücksichtigt Horn die zeitgenössische Psychologie um 1800 ebenso wie etwa den Schwärmerei-Diskurs, dem jüngst auch David Deißner in seiner luziden Studie Aufmerksamkeit schenkte, oder auch die Anfänge der literaturpsychologischen Auseinandersetzung mit Kleist. Letztere waren übrigens durchaus kein Ruhmesblatt, wie Joachim Pfeiffer in dem von Ortrud Gutjahr herausgegebenen und Heinrich von Kleist gewidmeten Band 27 der Freiburger literaturpsychologischen Gespräche konstatiert.

Zunächst und vor allem gilt Horns Interesse jedoch den Gewaltmetaphern Kleists, da es bei ihm „oft um sexuelle Gewalt oder um gewaltsame Bestrafungen sexueller Übertretungen“ gehe. Und: „Sprachlose Gewalt siegt immer wieder über die Allgemeinverbindlichkeit der Ethik und die Gewaltlosigkeit der Sprache, denn in der Sprache ist etwas, was sich dem Explizitmachen radikal entzieht, etwas ‚Implizites‘, das jenseits aller Gründe liegt und diskursiver Aufklärung widersteht.“

Insofern „bleibt immer ein Inkommensurables, ein Unverstandenes“, etwas, was sich nicht auf eine „eindeutige Bedeutung“ reduzieren lasse. Gleichwohl zieht Horn eindeutige Schlüsse. Zwar ist die Inkohärenz der Texte durchaus beabsichtigt, die die „Frage nach der Interpretierbarkeit von ‚Geschichten‘, ‚Erzählungen‘, ‚Repräsentationen der Realität in Sprache‘, aber auch nichtsprachlicher Zeichen und Symptome“ stellt. Auch dürfe – so der Blick auf Wolf Kittlers Studie „Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege“ – vom historischen Dokument zur Literatur „keine allzu gerade Linie“ gezogen werden. Trotzdem betont Horn, „dass Kleists Herkunft, sein Milieu, der preußische Staat ihn so tief geprägt haben, dass alles, was er schrieb, von daher erklärt werden kann.“

Dabei scheut sich Horn selbst nicht, anhand von Kleists Briefen wie auch von Zeugnissen Dritter Kleists Handeln wiederholt – etwa im März 1799 oder in der Zeit zwischen Oktober 1803 und Juni 1804 – als „Krankheitsbild einer manisch-depressiven Episode“ zu beschreiben und den Dichter als „bipolar erkrankt“ zu diagnostizieren, um so etwa gegen Richard Samuel und Hilda M. Brown Kleists „Lost Year“ zu erklären. Gleichwohl konstatiert er mit Blick auf Kleists Tod am Wannsee: „Eine endgültige Wahrheit muss auch die Literaturwissenschaft schuldig bleiben“. Oder wie Horns letzter Satz lautet, der einem Brief Kleists an seine Schwester Ulrike entnommen ist: „Das alles verstehst Du vielleicht nicht, liebe Ulrike, es ist wieder kein Gegenstand für die Mitteilung, und der andere müsste das alles aus sich selbst kennen, um es zu verstehen.“

Mit diesem „Fazit“ gelangt Horn am Ende doch wieder in die Nähe Földényis und dessen essayistisch überzeugender Methode, die auf der nämlichen These ruht, dass „Kleists Werke […] auch den wohlmeinendsten Deutungsversuchen“ widerstehen und sich nicht vereinnahmen lassen. Wie bei Földényi ist bei Horn die Vielstimmigkeit Kleists nicht nur thematisiert, sondern essayistisch zum Darstellungsprinzip erhoben, allerdings gegen Ende zu sehr auf die „bipolare“ Störung Kleists bezogen. So erreicht Horn auch nicht das dichte und überraschende Beziehungsgefüge des Földényischen „Wörter-Netzes“, welches bewusst verzichtet auf „jenes Unabänderlichkeit suggerierende ‚Entwicklungsbild’, das auf alles eine Erklärung sucht (und findet), überall Prämissen und Folgen wittert.“

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Peter Horn: Verbale Gewalt oder Kleist auf der Couch. über die Problematik der Psychoanalyse von literarischen Texten.
Athena Verlag, Oberhausen 2009.
202 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-13: 9783898963466

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