Mikrokosmos

Die Poetry-Slammerin Katharina Hartwell verstrickt ihre Protagonisten in „Im Eisluftballon“ zu sehr in den modernen Kampf um Selbsterhalt

Von Oliver DietrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Dietrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sind seltsame Szenarien, die Katharina Hartwell in ihrem ersten Erzählband entwirft. Vielleicht liegt es auch an der starken Präsenz dieser Slam Poetry, jener literarischen „Subkultur“, durch die man den Erzählton dieser ‚jungen Generation‘ aus einer etwas distanzierten Perspektive wahrnimmt. Scharf beobachtet ließe sich im Kleinkunstbetrieb jedoch generell eine Tendenz dazu feststellen, dass Autorinnen einen weitaus tiefsinnigeren, nachdenklicheren Stil pflegen als ihre Kollegen. Oder täuscht das?

Hartwell würde jedoch in dieses Profil passen. Sie schreibt wohlüberlegte, melancholische Texte voller Anspielungen, minutiöse Beobachtungen mit scheinbar doppelbödigem Sujet. Man wartet auf die Überraschung, auf die Wendung, wird aber meist enttäuscht. Das Ende ist meist offen, schließlich geht das Leben auch so weiter. Kleine Geschichten, aus dem Alltag gerissen, vielleicht autobiografisch, bestimmt jedoch autofiktional.

Es ist vielleicht diese Ich-Perspektive als auffällig regelmäßiges narratives Element, die allzu oft zur Identifikation mit der Autorin verleitet. Von Zeit zu Zeit fehlen vielleicht auch die Hintergründe, die Möglichkeit, sich mit irgendeinem Charakter identifizieren zu können. Es bietet sich deshalb geradezu an, dafür auf die Autorin zurückzugreifen. Doch Hartwell kokettiert auch eben damit: In der Geschichte „Das weißeste Zimmer“ ist der Protagonist ausgerechnet ein Mann, welcher die Ich-Perspektive annimmt; Hartwell spielt dabei erfolgreich mit der Erwartungshaltung des Lesers und führt diese gar ad absurdum.

Die Erzählungen werden jedoch zu oft mit Konfliktsituationen ausstaffiert, die aus einer überwiegend recht naiven Erzählperspektive gelöst werden müssen. Die Protagonisten überschreiten niemals das Alter der Autorin, es ist sogar eher eine Tendenz hin zur Infantilisierung erkennbar. Und dadurch kommt es auch zu dieser zielgruppenorientierten Einengung; maßgeblich wird hierbei wohl die „Generation Neon“ angesprochen, welche ihren hedonistischen Lebensstil gern mit einer Prise Electro unterlegt, um ihren Zweifel erträglicher zu machen. Die Welt ‚globalisiert‘ sich, während sich die (literarischen) Protagonisten in enge Räume verflüchtigen.

Und so sind es auch maßgeblich enge Räume, die den Rahmen für Hartwells Erzählungen bilden. Der Fokus liegt auf den interpersonellen Problemen reduzierter Protagonistengruppen, auf Komplexität wird dabei weitestgehend verzichtet. Das muss nicht unbedingt negativ sein, es färbt jedoch durchaus die Erwartungshaltung im Vorhinein. Dadurch wirkt alles ein bisschen zu verkopft, zu subjektiv, zu undifferenziert. Alles scheint sich stets im Kreis zu drehen, ein beständiges Spiel um die Reaktionen des (fiktiven) Gegenübers. Und vielleicht gerade deswegen exemplarisch für den Leipziger Duktus junger Autoren. Ein wenig zu viel Wehmut, zu viel Leiden, repetitorisch geradezu der permanente Kampf um Befreiung aus dem Kokon von Leid und Unsicherheit.

Zu hart formuliert? Aber nein, einen Verriss ist dieses Buch keinesfalls wert, die Dialoge sind lebendig, die Konstellationen durchaus durchdacht. Es soll auch keinesfalls infrage gestellt werden, dass die Zielgruppe damit erreicht wird. Und Hartwell mangelndes Erzähltalent zu unterstellen, wäre mehr als daneben. Im Prinzip gelingt ihr eine eindringliche Erzählweise, lediglich die Handlungsschemata erscheinen oftmals etwas zu reduziert.

Und dann ist da noch die Furcht des Rezensenten, dass es wirklich nicht viel zu erzählen gibt in dieser Autorengeneration, dass die wirklich relevanten Themen zugunsten subjektiver Gedankenmuster vernachlässigt werden. Natürlich ist es ein Debüt, und noch dazu eines mit unverkennbarem Potenzial. Etwas mehr Bissigkeit, Mut, Augenzwinkern und vielleicht eine innovative Prise Gegensteuern würden der Autorin jedoch gut tun. Warum so schüchtern? Warten wir aber einfach mal ab, mit Sicherheit hat Hartwell das Potenzial, noch für einige Überraschungen zu sorgen.

Titelbild

Katharina Hartwell: Im Eisluftballon. Erzählungen.
Poetenladen, Leipzig 2011.
142 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-13: 9783940691224

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