Wir wissen nicht alles

Die umfassenden Insektenstudien von Jean-Henri Fabre haben Maßstäbe in der Genauigkeit der Beobachtung gesetzt, die weit über den fachwissenschaftlichen Bereich hinaus Beachtung fanden

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jean-Henri Fabre (1823-1915) hatte sich im Laufe von Jahrzehnten dem Studium von Insekten gewidmet und dazu fortlaufend seine „Erinnerungen eines Insektenforschers“ („Souvenirs Entomologiques“) veröffentlicht. Seine Art des Beobachtens und Forschens setzte Maßstäbe für nachkommende entomologische Studien.

Die Lektüre seiner Studien erinnert an eine Epoche, als Zeit und Muße noch Grundvoraussetzungen für Wissen darstellten. Sein Urerlebnis, sich der Insektenforschung zu widmen, hatte er einem Zufall zu verdanken. Eines Abends war ihm eine Veröffentlichung von Léon Dufour, dem „Vater der Entomologie“ in die Hände gefallen. „Mir ging ein Licht auf“ schrieb Fabre später, „Ich erlebte eine geistige Offenbarung. Schöne Käfer in einer mit Kork ausgelegten Schachtel aufzureihen, sie zu benennen und zu klassifizieren, war also nicht ganze Wissenschaft; es gab Höheres: das genaue und liebevolle Studium ihres Lebens, das Untersuchen ihres Organismus und mehr noch ihrer Fähigkeiten“.

Wenn Fabre beobachtet und nachforscht, erzählt er dem Leser davon. Seine humanistische Bildung fließt in seinen Dialog mit dem Leser ein und spricht den Interessenten direkt an. So kann dieser an Fabres Erfolgserlebnissen oder aber auch an dessen Nöten teilhaben.

Da Fabre seine Beobachtungen nicht in einem stillen Studierzimmer, sondern unter freiem Himmel durchführt, ist er selbst immer auch fremden, unverständlichen Blicken ausgesetzt: „Vorbeigehende Dörfler, die mich inmitten des Bienenwirbels gelassen sitzen sahen, blieben entgeistert stehen und fragten, ob ich sie behext oder verzaubert hätte, da ich von ihnen offenbar nichts fürchten müsse“. Fabre hatte aufgrund seiner gründlichen wie geduldigen Beobachtungen herausbekommen, dass die Mörtelbiene trotz ihres Stachels keine Angriffe auf Menschen fliegt. Lediglich „soziale Hautflügler“ wie Wespen oder Bienen vermögen sich einzeln oder im Verband zur Wehr zu setzen.

Belustigt stellte Fabre an jenem Vorfall fest: „Meine umherliegenden Utensilien, Schachteln, Fläschchen, Röhren, Pinzetten und Lupen, hielten diese guten Leute sicherlich für die Instrumente meiner Hexerei“.

Die Feldforschung war für Fabre unumgänglich. Er öffnete heimlich Bruthöhlen von Insekten und studierte durch sachtes Manipulieren deren Verhalten. Für Fabre war es wichtig festzuhalten, dass das Verhalten der Insekten nicht einem wie auch immer gearteten Vorsatz entspringt, sondern instinktgeleitet ist: „Wenn der Hautflügler in seiner Kunst Hervorragendes leistet, dann weil er dafür gemacht ist, weil er Werkzeuge nicht nur besitzt, sondern sie auch zu handhaben versteht. Und diese Fähigkeit ist authentisch, sie ist von Anfang an perfekt; die Vergangenheit hat nichts hinzugefügt, die Zukunft wird nichts hinzufügen“.

Fabre zweifelt an einer wie auch immer gearteten Vererbung von Fähigkeiten, die durch Zufall erworben wurden. Derlei Schlussfolgerungen sind allein der genauen Beobachtung zu verdanken, die er jeglicher Spekulation gegenüber eindeutig vorzieht. Zu den Theoretikern rechnete Fabre auch Charles Darwin, mit dem er im Briefkontakt stand und dessen Persönlichkeit er achtete, auch wenn er ihm heftig widersprach.

Am praktischen Beispiel der Frage, wie Tauben oder Katzen, aber auch Insekten wieder den Weg nach Hause finden, auch wenn sie künstlich verwirrt oder entfernt worden waren, stößt Fabre auf ein konkretes Geheimnis, das nicht evolutionär beantwortet werden kann. Der Mensch als Krönung der Schöpfung verfügt jedenfalls nicht über diese instinktive Fähigkeit. Ironisch vermerkt Fabre dazu: „Wenn die Vererbung nicht stattgefunden hat, sind wir wohl zu wenig verwandt? Dieses kleine Problem unterbreite ich den Evolutionisten, und ich wüßte gern, was Protoplasma und Zellkern dazu sagen“.

Fabres stundenlange, nicht selten bei brütender Hitze vollzogene Beobachtungen zeitigten eine besondere Form seiner wissenschaftlichen Überlieferungen. Man muss genauer von Darstellungen sprechen, denn Fabre war ein begnadeter Berichterstatter. Als promovierter Naturwissenschaftler hatte sich Fabre bereits zu seinen Lebzeiten bei einer interessierten Öffentlichkeit durch zahlreiche populärwissenschaftliche Veröffentlichungen einen Namen gemacht. Respekt gebührt dem Matthes & Seitz Verlag, der es wagt, eine derartig sorgfältig aufbereitete Werkausgabe zu betreuen. Bis 2015 sollen diesem bereits zweiten Band noch acht weitere Bände folgen.

Titelbild

Jean-Henri Fabre: Erinnerungen eines Insektenforschers II.
Illustriert von Christian Thanhäuser.
Übersetzt aus dem Französischen von Friedrich Koch.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010.
335 Seiten, 36,90 EUR.
ISBN-13: 9783882216721

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