Ein Papagei, ein Sado-Maso-Club und viele Selbstmorde

Antonin Varenne kommt mit seinen skurrilen Charakteren nicht recht klar

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist die Verbindung zwischen dem Zusammenbruch der Zivilisation auf den Osterinseln und den Forellenfischern in Montana? Zwischen disziplinarischem Urlaub und dem Islam? Oder „zwischen dem nigerianischen Dealer aus der Goutte-d’Or und einer Autorennbahn“? Das sind die Fragen, die Kommissar Richard Guérin durch den Kopf gehen: Denn wenn alles mit allem zusammenhängt, wie der Daoismus und die Chaostheorie behaupten, dann muss man doch diese Zusammenhänge auch erkennen können. Meint Guérin.

Guérin sucht nach Zeichen. Dass er zum Beispiel nach einem längeren Zwangsurlaub in eine merkwürdige Abteilung der Pariser Polizei abgeschoben worden ist, zum „Selbstmord“ (eine Abteilung, die nur aus ihm und seinem Assistenten, Offiziersanwärter Lambert, besteht), das war für ihn „ein Zeichen, das er noch nicht gedeutet hatte. Aber er war geduldig.“ In der abgelegensten Ecke der Präfektur sitzt er, unterm Dach, unter dem Archiv und unter einem sich verändernden Fleck an der Decke: Es ist das Blut aus dem Kleiderfundus von Mordopfern, das der Regen durch die undichten Dächer und Decken treibt. Gehasst von seinen Kollegen, die meinen, dass er einen Kollegen in den Selbstmord getrieben hat, versucht Guérin sich wieder in einem Leben einzurichten, das er eigentlich längst aufgegeben zu haben scheint. Nur die Suche nach den Verbindungen zwischen den Selbstmorden hält ihn noch aufrecht.

Da ist der Selbstmord eines nackten, jungen Mannes, der eine Pariser Stadtautobahn entlangläuft, bis ein Laster ihn erwischt. Und ein anderer, der sich im Naturkundemuseum von der Galerie in ein Pottwalskelett stürzt und sich von einer Rippe durchbohren lässt. Und der Fakir, der sich in seiner erfolgreichen Show mit Nägeln, Messern, Fleischerhaken und einer Säge in einem Sado-Maso-Club irgendwann umbringt. Guérins Theorie: Dass bei den Selbstmorden immer wieder zwei Männer und eine Frau anwesend sind, die irgendetwas damit zu tun haben. Aber was?

Zwei Erzählstränge bestimmen das Buch von Antonin Varenne, der in Frankreich schon mehrere Preise gewonnen hat, hier in Deutschland aber noch unbekannt ist: Neben der Aufklärungsarbeit des skurrilen Kommissar Guérin, der allein mit einem federlosen, geschwätzigen Papagei lebt, von dem er sich ab und zu die Glatze blutig aufkratzen lässt, gibt es die Geschichte von John Nichols, einem Amerikaner, der in Südfrankreich auf dem Waldgrundstück seiner Mutter in einem Zelt lebt, mit dem Bogen schießt und seine Ruhe haben will. Bis ihm eines Tages Polizisten die Nachricht von dem Tod seines Freundes Alan Mustgrave (was für ein sprechender Name) überbringen, dem Fakir. John glaubt nicht an Selbstmord. Er reist nach Paris und fragt herum. Erfährt, dass Alan eine Affäre mit einem Botschaftsangehörigen hatte, befragt eine deutsche Künstlerin und die Chefin des Sado-Maso-Clubs.

Nach und nach erfährt der Leser, dass John ein Psychologe ist, der seine Dissertation über die Foltermethoden des CIA im Irak geschrieben hat, und dass der Junkie Alan nicht nur sein Freund und sein Klient, sondern auch selbst ein Folterer gewesen ist, der in Paris irgendwann seinem ehemaligen Vorgesetzten begegnet ist. Ganz am Schluss gibt es noch einen richtig klassischen Showdown, in dem allerdings nicht der Bösewicht stirbt. Es gibt kein Happy End, nicht für die Polizisten, schon gar nicht für die Leser. Es gibt allerhöchstens ein böses Erwachen für die, die noch an glückliche Enden glauben.

Denn das Leben ist nicht schön. Es wimmelt von Mördern, Folterern, korrupten Politikern, innerlich zerstörten Menschen, nekrophilen Polizisten, brutalen Schlägern und Drogensüchtigen. Und es wird auch nicht schöner, wenn man weiß, wer das alles wie angerichtet hat. Es wäre eine schöne Aufgabe für einen hard-boiled Krimi, der mit einer harten Sprache diese harten Fakten erzählt.

Leider scheint Varenne diese Sprache nicht immer zu beherrschen. Schon der Plot ist ein wenig zu umständlich, um den Leser richtig packen zu können, und auch die Sprache ist manchmal etwas zu weitschweifig, zu philosophisch, zu gewollt: „Die schirmmützenbewehrten Alten, krumme Sonnenuhrzeiger, warfen die Schatten einer kosmischen und bäuerlichen Zeit auf die Stufen der Kirche.“ Naja.

Auch der Zusammenhang dieses einen Selbstmords zur Selbstmordserie bleibt unklar, wenn es denn überhaupt einen gibt. Man weiß auch bis zum Schluss nicht so recht, ob Guérin überhaupt noch durchblickt, ob seine Theorien irgendeinen Sinn ergeben. Mag sein, dass das Absicht ist, dass auch die Selbstmorde seiner Kollegen irgendwie in ein Muster passen, aber auch das bleibt im Vagen.

Da hilft es auch nicht viel, dass Guérin eine singuläre Skurrilität ist, fast eine surrealistische Figur, die es mit den bizarren Vargas-Typen locker aufnehmen kann, in seinem gelben Regenmantel und mit dem vulgär fluchenden Papagei, der im Lauf des Romans auch noch das Zeitliche segnet. Schade, gute Ansätze hat Varenne, aber er ist leider ein wenig zu ausufernd und zu konstruiert, um wirklich grandios zu sein.

Titelbild

Antonin Varenne: Fakire. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz.
Ullstein Verlag, Berlin 2011.
315 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783550087899

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