„Das Alter ist unwichtig. Außer du bist ein Käse.“

Wie in Greg Ames‘ Debüt ein junger Grußkartentexter zum verantwortungsvollen Sohn reift.

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Ärztetag in Kiel im Juni nahm das Thema Palliativmedizin viel Raum ein. Ein Beleg dafür, dass die Beschäftigung mit dem gesamten Themenkomplex Sterben, Sterbehilfe und Tod von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist. Bereits 2009 hat ein bislang hierzulande unbekannter US-Autor dazu einen beeindruckenden Roman geschrieben, der seit 2010 in der Übersetzung von Bettina Abarbanell auch auf Deutsch vorliegt: „Der bisher beste Tag meines Lebens“ von Greg Ames. Sein Ich-Erzähler James Fitzroy lebt und arbeitet in New York. Bei Kwality Kards ist er in der Abteilung Quatsch & Spaß für Grußkartentexte à la „Keinen Euro in der Tasche, keinen Tropfen in der Flasche, miese Laune, müde Füße, schlechtes Wetter, schöne Grüße“ zuständig. Es gibt sicher schlimmeres. Aber das Ende der Karriereleiter sollte das nicht sein, schließlich ist er ja noch nicht mal 30 Jahre alt, da kann noch einiges passieren. Allerdings gelten diesem Thema seine Gedanken ganz und gar nicht, vielmehr macht er sich, das Buch „Sterbehilfe leichtgemacht“ im Gepäck, auf den Weg in die Provinz, nach Hause in Buffalo. Dort ist er mit seinem Vater, seiner Schwester und deren lesbischen Partnerin zu Thanksgiving verabredet. Seine Mutter Ellen, Ende 50, leidet an Demenz und ist im Heim The Elm untergebracht. Ames zeigt mit viel Sensibilität und genauen Beschreibungen, wie der Alltag in einem solchen Heim aussieht, wie das Pflegepersonal am Rand seiner Kapazitäten versucht, Routine und menschliche Wärme irgendwie miteinander in Einklang zu bringen. Er beschreibt die Trostlosigkeit der Räume und ihrer Einrichtungen und fragt sich, ob diese nur auf seinen Protagonisten so wirken, ob die Patienten das denn überhaupt noch wahrnehmen und wenn ja, was in ihnen vorgehen mag und wie sie ihre Situation empfinden mögen. James ist hin- und hergerissen zwischen Hoffnung, wenn Ellen auf einmal ganz klar und deutlich „Das kannst du laut sagen“ sagt, und völliger Niedergeschlagenheit, weil er erkennen muss, dass er sie nicht mehr erreicht, sie ihn nicht erkennt, das Band zwischen ihnen abgerissen ist.

Immer häufiger denkt dieser Typ, der gern Ernest Hemingway liest, Musik hört, mit Kumpels Bier trinkt und sich noch nicht auf eine feste Partnerschaft einlassen will, darüber nach, wie er das Leiden seiner Mutter – das er meint als solches identifizieren zu können, weil es auf ihn eben so wirkt – minimieren oder beenden könnte.

Spätestens an diesem Punkt bezieht der Autor den Leser aktiv in die Handlung mit ein, man beginnt selbst darüber nachzudenken, was richtig und was falsch ist, was der Mensch darf und ob es Grenzen geben sollte und wenn ja, wo diese sind. Der Autor macht hier keine Vorgaben, bezieht keine Stellung. Er führt die Diskussion, indem er James den ungestümen, äußerst emotionalen Part gibt, der bei allem Schmerz und aller Trauer für ein Ende ist, während er James‘ Vater die andere Position einnehmen lässt, schließlich ginge es für ihn um den Tod seiner geliebten Frau. Doch Ames hat einen Roman geschrieben, „Der bisher beste Tag meines Lebens“ ist keine ethisch-moralische Abhandlung, sondern ein Buch, das  viele Facetten des Lebens zeigt, so zum Beispiel James‘ Affäre mit einer Malerin während seines Aufenthalts in Buffalo, das Wiedersehen mit seinen alten Jungs, bei denen sich scheinbar null und nichts geändert hat, ihre Rituale untereinander. Und dieses Buch ist – und das können amerikanische Autoren nun mal wirklich gut – ein Familienroman, hier eben mit dem Schwerpunkt Krankheit, die jedoch nicht alle Lebensbereiche und somit auch nicht den gesamten Text dominiert.

A propos Text, in der deutschen Ausgabe des Steidl Verlages sind gewisse Passagen in einer Groteskschrift gesetzt. Diese Passagen dokumentieren ein Projekt, das James betrieben hat, als er noch Zuhause gelebt hat: er hat unterschiedliche Menschen aus Buffalo interviewt, hat sie von ihrer Arbeit, ihrer Stadt, ihrem Leben erzählen lassen und somit eine kleine soziologische Studie erstellt, die ein wenig an die großartigen Fotos von August Sander erinnert. Der Leser erhält somit viele Perspektiven und Bilder des Handlungsortes und seiner Bevölkerung – eine sehr originelle und auch formal gelungene Idee, den üblichen Roman zu erweitern. „Der bisher beste Tag meines Lebens“ ist ein starkes Debüt, dessen Ende überrascht, ein Buch, das uns mit einem neuen, ernsthaften und sehr talentierten amerikanischen Schriftsteller bekannt macht, der mit Kollegen wie Philipp Meyer und Colson Whitehead gemeinsam eine noch junge Gruppe von US-Autoren bilden könnte, die in den kommenden Jahren hoffentlich viele weitere starke Bücher veröffentlichen werden.

Titelbild

Greg Ames: Der bisher beste Tag meines Lebens. Roman.
Steidl Verlag, Göttingen 2010.
330 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869301785

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