Das Buch als Eingang zur Welt

Eine Festschrift für den österreichischen Germanisten und Nestor der Kinder- und Jugendbuchliteratur Ernst Seibert

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Herausgeberinnen und Herausgeber der Festschrift „Kindheit, Kindheitsliteratur, Kinderliteratur“ zeigen mit ihrer Titelwahl, dass hier einem der Großen der Kinder- und Jugendbuchforschung ein ehrenvoller Gruß dargebracht werden soll. Anlässlich des 65. Geburtstages des Wiener Germanisten Seibert legt der Sammelband ein publizistisches Resümee des aktuellen Forschungsstandes der historischen und gegenwärtigen Forschung zur österreichischen Kinder- und Jugendliteratur (KJL) vor.

Eingeleitet wird er durch „persönliche Grüße“ von Weggefährten und Freunden des Jubilars. Darunter findet sich auch ein sehr persönlicher Gruß der Schriftstellerin Jutta Treiber, der die Wahrnehmung und Bedeutung des Geehrten zusammenfasst: „Er ist ein unermüdlicher ‚Zehnkämpfer‘: doziert, publiziert, hält Vorträge, leitet Seminare, betreut Dissertanten, betätigt sich als Herausgeber, Essayist, ‚Gesellschafter‘, Kritiker.“

Denn Seibert hat nicht nur nach der Dissertation zum Thema „Jugendliteratur im Übergang vom Josephinismus zur Restauration, mit einem bibliographischen Anhang über die österreichische Kinder- und Jugendliteratur“ (1987) und nach einer Habilitation über „Kindheitsmuster in der österreichischen Gegenwartsliteratur“ (2005) wissenschaftliche Meriten erworben, sondern auch einen entscheidenden Beitrag zur Gründung der „Österreichischen Gesellschaft zur Historischen Kinder- und Jugendliteraturforschung“ geleistet und eine wichtige Fachzeitschrift, die „libri liberorum“, herausgegeben. Darüber hinaus leitete und projektierte er mehrere Forschungsvorhaben und wirkte als Doktorvater. Kurzum zeigen die persönlichen Reminiszenzen und Würdigungen, dass aus Ideen durchaus Institutionen werden können.

So vielfältig die Wirkungsfelder des in den Ruhestand getretenen Doyens der österreichischen KJL-Forschung sind, so facettenreich wirken auch die 16 Beiträge im zweiten Teil des Bandes. Sie akzentuieren die verschiedenen Themenfelder und Fragekomplexe des aktuellen Fachdiskurses.

Eröffnet wird dieser Part durch eine sehr anregende Begriffsbestimmung, was überhaupt mit dem Terminus KJL zu verbinden sei und welche Forschungsmethoden den wissenschaftlichen Diskurs dominieren: einerseits die Betonung der Literatur als Handlungs- und Sozialsystem, andererseits das Verständnis als Symbolsystem. Daran schließen sich zahlreiche Texte an, die interkulturelle Fragen thematisieren: Vor dem Hintergrund des einstigen österreichisch-ungarischen Habsburgerreichs werden Fragen zur ungarischen KJL ebenso thematisiert wie der weltberühmte (Prager) Autor Franz Kafka.

Insofern finden sich zahlreiche lesenwerte und akribisch erarbeitete Fachbeiträge, welche die Vielfalt der österreichischen KJL dokumentieren. Zugleich werden auch Hinweise darauf gegeben, wie künftige Forschungsfelder gestaltet sein könnten. Exemplarisch für andere zeigt Susanne Blumesberger, dass bis dato das Wissen über die Kinder- und Jugendzeitschriften mehr als defizitär ist. Sie formuliert mehrere stichhaltige Gründe für die intensivere Beschäftigung mit diesem interessanten (Sozialisations-)Medium: Denn die Zeitschriften reflektieren das Bild der Gesellschaft, reagieren seismografisch auf soziale Veränderungen, erzielen einen großen Rezipientenkreis und stehen paradigmatisch für das Gesamtwerk zahlreicher Autorinnen und Autoren.

Insgesamt dokumentiert die Festschrift ein komplexes und reges germanistisches und interkulturelles Forschungsgebiet mit zahlreichen Entfaltungspotenzialen in diverse Richtungen (bis hin zur Medien- und Kulturwissenschaft). Zugleich belegt sie, dass der Wiener Germanist Seibert mit dem Eintreten für die Kinder- und Jugendliteraturforschung seiner Heimat den richtigen Weg beschritten hat. Auch nach seiner Pensionierung weist dieser Forschungsgegenstand noch zahlreiche „weiße Flecken“ auf, die lohnenswerte Erkenntniszuwächse versprechen.

Titelbild

Michael Rohrwasser / Susanne Blumesberger / Gunda Mairbäurl / Hans-Heino Ewers (Hg.): Kindheit, Kindheitsliteratur, Kinderliteratur. Studien zur Geschichte der österreichischen Literatur. Festschrift für Ernst Seibert.
Praesens Verlag, Wien 2010.
245 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783706906449

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