Zwischen Stolz und Staub – zehn Jahre nach 9/11

Mit „Wo warst Du? Ein Septembertag in New York“ blicken Anja Reich und Alexander Osang zurück auf den Tag, der die Welt veränderte

Von Dorothea HansRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothea Hans

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alexander Osang ist Journalist und Autor. 1999 zieht er mit Frau und Kindern als Spiegel-Korrespondent vom Prenzlauer Berg nach Brooklyn. In der DDR aufgewachsen, geht für Osang und seine Frau ein Traum in Erfüllung. Voller Stolz sitzen die beiden Ossis nun in New York und müssen sich in der Millionenmetropole behaupten.

Während sich für Osang ein Lebenstraum verwirklicht, sitzt Reich, selbst erfolgreiche Journalistin, ausgebremst als mitreisende Ehefrau und Mutter zu Hause. Auch sie hätte gerne aus der neuen Welt geschrieben. Vielleicht nimmt Osang aus schlechtem Gewissen dieses Buch in Angriff, damit seine Frau Gelegenheit bekommt, sich zu Wort zu melden. Doch viel zu sagen hat Reich nicht. Während ihr Mann auszieht, um das Ungeheuerliche hautnah zu erleben, bastelt sie zu Hause mit ihrer Tochter einen Hampelmann. Dafür klärt sie ihre Leserschaft gründlich über das Zusammenleben mit ihrem Mann auf. Osang selbst hat übrigens auch nicht so viel zu sagen, aber das fällt erst mal nicht auf.

Der Erlebnisbericht des Ehepaars schildert nicht nur en détail, was ihnen am 11. September 2001 in New York widerfuhr, sondern legt vielmehr peinliche Episoden ihres Familienlebens frei. Die Frage „Wo warst Du?“ scheint nur allzu berechtigt, wenn man die Familie kennengelernt hat. Nachdem er wochenlang Frau und Kinder nicht zu Gesicht bekommen hat, zieht Osang einem gemeinsamen Abendessen eine kleine Laufrunde im Park vor. Am Tag, als bei seiner Frau die Wehen einsetzen, fährt Osang los, um über eine neue Story zu berichten. Selbst als sie mit einer Lungenentzündung im Bett liegt, sieht er sich nicht in der Lage, das Fußballtraining sausen zu lassen und den Sohn ins Bett zu bringen.

Seine Frau bringt es auf den Punkt: Osang ist ein Getriebener, der immer weiter muss, der immer ,näher ran‘ muss. Einer, der nachdem der erste Turm schon zusammengefallen ist immer noch weiter auf die Unglücksstelle zu geht, anstatt zurück. Einer, dem „die Geschichte wichtiger als seine Familie, als sein Leben“ ist. Vor diesem Hintergrund verwundert es allerdings, dass seine Berichterstattung über den 11. September zum persönlichen Erinnerungs-Sammelalbum der Familie abdriftet.

Unermüdlich wird der Tratsch über die New Yorker Nachbarschaft ausgebreitet. Endlose Aufzählungen von Artikeln, die Osang verfasst hat, von Persönlichkeiten, die er getroffen hat, reihen sich aneinander. Der Stolz über das Geleistete nimmt viel Platz ein. Selbst in Grenzsituationen kann er seine Eitelkeit nicht überwinden. Er hat nur knapp eine Jahrhundert-Katastrophe überlebt und noch genau 25 Cent in der Hosentasche für einen Anruf. Wenn ruft er an? Natürlich seine Redaktion. Nicht etwa seine Frau. Das da was nicht stimmt, ist ihm schon klar, nur ändert es leider nichts. Kaum zurück aus dem Schutthaufen Manhattan, geht er nicht zu seiner Familie, sondern trifft sich mit seinem Kollegen zwecks Besprechung.

Der versprochene Bericht darüber, was die Anschläge mit der Stadt und ihren Menschen gemacht haben, fällt aus. Dafür wird dem Leser sehr anschaulich vor Augen geführt, welchen Einfluss der Journalistenberuf auf Familie und Beziehung haben kann. Die Ereignisse des 11. September erscheinen bei Osang austauschbar. Er vermittelt das Gefühl, dass bei ihm von diesem Tag nicht viel mehr hängen bleibt, als der Staub der kollabierten Türme und der Stolz ,dabei gewesen‘ zu sein.

Während der Leser noch über die Motivation des Bands spekulieren mag, geben die Autoren bereits in ihrer Widmung darüber Auskunft: „Für Ferdinand und Mascha.“ Ihren Kindern haben sie das Buch gewidmet. Die sind nämlich die Einzigen, die es interessieren dürfte, was aus den Nachbarn von damals geworden ist, und wie der Hampelmann vom 11. September aussieht.

Titelbild

Alexander Osang / Anja Reich: Wo warst Du ? Ein Septembertag in New York.
Piper Verlag, München 2011.
271 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783492054362

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