Verschwörungstheoretiker auf dem Vormarsch

Unter den Neuerscheinungen zum Thema 9/11 befinden sich skandalöse Bücher

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man über den zehnten Jahrestag des verheerendsten Angriffs seit Pearl Harbour auf die Vereinigten Staaten schreibt, sieht man sich zu einigen historischen Ausführungen veranlasst. Dies ist notwendig, um die ideologische Motivation der Täter besser nachvollziehen zu können.

Bereits im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit kam es zu einer gewaltsamen Konfrontation zwischen Okzident und Orient. Der Islam als jüngste der drei monotheistischen Weltreligionen versuchte sich politisch, gesellschaftlich und kulturell zu etablieren.

Die Kreuzzüge mit dem Kampf um die sogenannten heiligen Stätten bildeten einen ersten Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Christen und Moslems. Dabei ging es bei weitem nicht nur um Heiligtümer und den wahren Glauben. Machtpolitisches Kalkül und das Ringen um die Vorherrschaft spiegelten auch die wahren Interessenlagen wider.

Karl Martell stoppte 741 nach Christus bei Poitiers in einer verlustreichen Schlacht den muslimischen Vorstoß auf Kerneuropa stoppen. Dadurch bewahrte er das christliche Abendland vor einer Übernahme durch den Islam.

Auch im 16. und 17. Jahrhundert prägten die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Christentum und dem Islam das tagespolitische Geschehen in Europa. 1683 wurden die Türken vor Wien quasi in letzter Sekunde aufgehalten. Wieder einmal entging das christliche Abendland nur um Haaresbreite einer Islamisierung.

Virulent wurde das Konkurrenzverhältnis von Christentum und Islam dann erst wieder gegen Ende des letzten Jahrtausends. Zuvor waren die Kommunisten und Atheisten die Hauptfeinde der religiösen Eiferer aus dem Nahen Osten.

Nachdem die Sowjetunion und mit ihr der Warschauer Pakt kollabiert waren, wandten sich die radikalen Muslime gegen den Westen und die Demokratien. Dabei gilt, dass der Westblock den islamischen Widerstand gegen die Kommunisten lange Zeit finanziell, logistisch und mit Waffen unterstützt hat. Nicht zuletzt durch diese „Zweckehe“ gelang es dem Westen, die Kommunisten zu besiegen. Der Ostblock konnte sich schlichtweg nicht mehr die immensen Ausgaben für das Militär leisten.

Aus ehemaligen Verbündeten („Der Feind meines Feindes ist mein Freund“) wurden erbitterte Feinde. Die radikalen Muslime hatten nämlich nicht die geringsten Skrupel, die Hand, die sie jahrelang gefüttert hatte, zu beißen.

Insofern waren es der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA und der pakistanische Geheimdienst ISI, welche aus den gegen die Sowjets kämpfenden Mudschahedin von gestern, die Al-Qaida-Kämpfer von morgen hervorbrachten. Dass die dergestalt herangezüchtete Ideologie zu derartigen neuen Konflikten führen würden, konnten sogar die weitsichtigsten und besten Geheimdienstanalysten nicht vorhersehen. Schuld am Feindbild des Westens war vor allem, dass im Zuge des 1. Irak-Kriegs us-amerikanische Soldaten dauerhaft in Saudi-Arabien stationiert wurden.

Die Strategie und Taktik von Al-Qaida kann man wie folgt beschreiben: Durch Terror-Attentate bisher unbekannten Ausmaßes sollen die westlichen Demokratien (äußerer Feind: Bin Ladens Stoßrichtung) und die sie unterstützenden Regimes im Nahen Osten (innerer Feind: Sawahiris Präferenz) erschüttert werden. Dadurch soll das Vertrauen der Zivilbevölkerung in die Regierungen verloren gehen und das System destabilisiert werden.

Anschläge von Al-Qaida sollen:

Möglichst spektakulär sein

Viele zivile und militärische Opfer fordern

Der Ökonomie des Westens nachhaltig schaden und

Neue Kämpfer für die Sache von Al-Qaida rekrutieren.

Wie wird dieser kostspielige und aufwändige Kampf gegen die zivilisierte Welt finanziert? Mäzene und Paten des Terrors wie Osama Bin Laden tragen sicherlich nur einen geringen Anteil zur Finanzierung von Al-Qaida bei.

Teilweise wird behauptet, dass Regimes des Nahen Ostens, obwohl sie Verbündete der westlichen Welt sind, den Terror finanzieren. Saudi-Arabien aber auch andere Nationen finanzieren demnach den Terror aus Angst davor, dass sie als nächste auf der Abschussliste der Terroristen stehen könnten.

Außerdem gibt es auch innerhalb der reichen Entourage in den ölfördernden Ländern einen unbändigen Hass gegen den Westen und seine Lebensform. Die Logistik von Al-Qaida entspricht der Organisationsform als dezentralisiertes Netzwerk. Die „Mutterorganisation“ bildet die angehenden Terroristen aus. Insofern stellt sie die Grundlogistik zur Verfügung. Solche Ausbildungslager sind und waren etwa Afghanistan, Pakistan und der Sudan. Während der Ausbildung erlernen die Schüler alles, was man über das Terror-Handwerk wissen und können muss.

Nach der Ausbildung werden die einzelnen Terror-Zellen unabhängig und müssen sich das für Attentate erforderliche Geld und die Waffen selber besorgen. Nur die Anführer von Al-Qaida-Zellen haben zu den oberen Bossen der Organisation noch Kontakt und werden von diesen unter anderem mit Geld unterstützt.

Selbstmordattentate besitzen einen quasi-religiösen Hintergrund, denn den Selbstmordattentätern wird versprochen, dass sie nach dem Attentat direkt ins Paradies eingingen. Im Paradies stünden ihnen ständig 70 Jungfrauen zur freien Verfügung, und es gebe ein Wiedersehen mit den liebsten Verwandten.

Mit dem 11. September 2001 gelang Al-Qaida der bislang wohl spektakulärste Anschlag in der Geschichte des Terrorismus. Mit Kerosin vollgetankte Linienflugzeuge wurden als fliegende Bomben gegen Gebäude und die in ihnen befindlichen Menschen eingesetzt.

Selbst die fantasiebegabtesten Drehbuchautoren in Hollywood hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht solch ein Szenario ausdenken können. Die Türme des World Trade Centers kollabierten und begruben in etwa 3.000 Menschen unter den Trümmern.

Die Mitglieder von Al-Qaida entstammen zumeist der Mittelschicht. Sie verfügen über eine vergleichsweise hohe akademische Bildung und haben häufig eine universitäre Ausbildung im Ausland erhalten.

Was motiviert diese Menschen zu einem erbarmungslosen Kampf gegen den Westen? Wieso geben diese Menschen gerne ihr eigenes Leben auf, um dem Feind einen größtmöglichen Schaden zuzufügen?

Oftmals zeigt sich bei den Mitgliedern von Al-Qaida, dass sie die Lebensweisen des Westens und Ostens kennen und zwischen ihnen hin- und hergerissen sind. So wussten zahlreiche Kommando-Mitglieder von Al-Qaida die Annehmlichkeiten des Alkohols und „leichter“ Mädchen zu schätzen.

Andererseits aber suchten sie nach einer spirituellen Erleuchtung. Die Einsicht, dass die materielle Verderbtheit des Westens nicht alles sei, wurde ihnen dann von den geistigen Mentoren Al-Qaidas gebetsmühlenartig eingebläut.

Der zehnte Jahrestag der Al-Qaida-Attentate brachte viele Publikationen zum Thema hervor. Man kann diese in „realistische“ und „konspirologische“ Bücher einteilen. Ein weiteres Distinktionsmerkmal ist, ob das Buch wissenschaftlich ist oder unterhaltend informieren soll.

Als wohltuende Stimme der realistischen Vernunft kann man getrost Elmar Theveßens lesefreundliches, aber nicht reißerisch geschriebenes Buch „9/11 – der Tag, der die Welt veränderte“ bezeichnen. Theveßen ist ein durch zahlreiche hervorragende Publikationen ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des Terrorismus. Überzeugend und stringent zeigt Theveßen die geopolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen von 9/11 auf. Durchaus kritisch verweist er so auf die Beschneidungen der bürgerlichen Freiheitsrechte – auch wenn diese als Schutz vor weiteren terroristischen Terror-Taten intendiert waren. Theveßen ist nicht zu Unrecht der Meinung, dass 9/11 die Chance für einen politisch-gesellschaftlichen Aufbruch mit den Merkmalen Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Sicherheit geboten hätte, diese aber verspielt wurde. So hätte der von den Attentätern herbeigesehnte und herbeigeführte Kampf der Kulturen verhindert werden und eine gerechtere und demokratischere Welt entstehen können. Bedenkenswert ist zudem die These, dass die Anschläge von 9/11 die Weltwirtschaftskrisen von 2008 und 2010/11 ins Rollen gebracht haben. Damit wäre ein Kalkül der islamistischen Attentäter voll aufgegangen: Die ökonomische Schwächung des Feindes. Dieses Muster hatte bereits zum Kollaps der Sowjetunion und des Kommunismus geführt.

Quasi die Titel-Anti-These zu Theveßens bildet die im Schöningh Verlag erschienene Aufsatz-Sammlung „9/11 – Kein Tag, der die Welt veränderte“. Durchaus wissenschaftlich ambitioniert weisen die Autoren zu Themen wie Recht, Wirtschaft und Religion darauf hin, dass die durch 9/11 in Gang gesetzten Folgen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art bereits vorher virulent waren und 9/11 diese Entwicklungen lediglich verstärkt hat.

Bernd Greiners „9/11 – Der Tag, die Angst, die Folgen“ ist sicherlich das Buch mit dem höchsten politologischen und soziologischen Anspruch. Der Leiter des Arbeitsbereichs „Theorie und Geschichte der Gewalt“ am Hamburger Institut für Sozialforschung kommt dabei zum Schluss, dass die USA durch die Terror-Attentate die sogenannte Imperiale Präsidentschaft wieder auferstehen ließen und sich der Rechtsstaat zum Machtstaat wandelte. Seine Thesen untermauert er intellektuell scharfsinnig mit dem Hinweis auf Folter, Internierungslager und Präventivkrieg durch die USA. Die Stoßrichtung tritt dabei klar zu Tage: 9/11 hat – insbesondere in den USA – einen äußerst gefährdenden Einfluss auf die Demokratie und fördert totalitäre Tendenzen zu Tage, welche unsere westlichen Demokratien gefährden.

Während Greiner seine Meinungen noch seriös begründet, geben die Konspirologen ganz offen ihren Anti-Amerikanismus und ihre anti-israelische Haltung zu. Als besonders exponierend in Sachen imperialistische, amerikanisch-jüdische Weltverschwörung ist hier Gehrhard Wisnewskis „Operation 9/11 – Der Wahrheit auf der Spur“ zu nennen. Kurz gesagt: CIA und Mossad beziehungsweise die jeweiligen Regierungen von USA und Israel hätten die Attentate vorbereitet und durchgeführt, um ihre machtpolitischen Interessen im Nahen Osten (Ressourcensicherung in Sachen Öl und Unterdrückung der Araber) durchsetzen zu können. Das Buch ist voller Widersprüche und geifert in unerträglichem Ton daher. Damit kehren sich das Täter-Opfer-Verhältnis und die realen Ereignisse um. Wisnewski hatte sich bereits in den 1990er-Jahren der Lächerlichkeit preis gegeben, als er behauptete, dass es die 3. RAF-Generation nicht gebe und Geheimdienstleute die Attentate verübten, um missliebige Wirtschaftseliten zu eliminieren.

„11.9. – Zehn Jahre danach – Der Einsturz eines Lügengebäudes“ besitzt genau dieselbe Stoßrichtung, übt sich aber vergleichsweise in vornehmer Zurückhaltung. Bröckers und Walther, verlegen sich auf die Formulierung von Suggestivfragen. Wie konnten die Attentäter so unbemerkt von den Geheimdiensten agieren? Wie sind die fliegerischen Glanzleistungen zu erklären? Wie kommt es, dass am 11.9.2001 Militär-Manöver unvorstellbaren Ausmaßes in den USA stattfanden? Was die Autoren dabei jedoch nicht liefern können und wollen, ist eine kohärente These, wie die von ihnen aufgeworfenen Fragen zu einer widerspruchsfreien Darstellung zusammengefügt werden können.

Jesse Venturas Buch „Die amerikanische Verschwörung“ beschäftigt sich in nur einem Kapitel mit 9/11. Der Autor möchte nachweisen, dass die USA einer Verschwörung nach der anderen ausgeliefert sind – meistens durch die eigene Regierung. Beispiele sind Kennedy, King, Malcolm X, Watergate, CIA-Crack, Wahlbetrug und Börsen-Crashs.

Wohl dem, der derartigen Humbug glauben mag: Die Welt soll eine riesige Verschwörung sein, in der wir unsichtbaren Mächten (also unhinterfragbaren Residualkategorien wie dem internationale Finanzkapital) ausgeliefert seien. Der aufrechte, mündige Bürger werde unterdrückt und nur durch das Allheilmittel Verschwörungstheorie könne er Aufklärung erlangen. Skandalös ist, auf wessen Rücken diese derart verschrobenen Theorien ausgetragen werden: auf denen der Terror-Opfer und eines der treuesten Verbündeten, die Nachkriegsdeutschland jemals besaß: den Vereinigten Staaten von Amerika, der Wiege der Demokratie und dem Staat Israel.

Titelbild

Mathias Bröckers / Christian C. Walther: 11.9. - Zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes.
Westend Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
320 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783938060483

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

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Bernd Greiner: 9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
280 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406612442

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Michael Butter / Birte Christ / Patrick Keller (Hg.): 9/11. Kein Tag, der die Welt veränderte.
Schöningh Verlag, Paderborn 2011.
169 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783506770974

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Jesse Ventura / Russel Dick: Die amerikanische Verschwörung. 9/11 und andere Lügen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt.
Heyne Verlag, München 2011.
379 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783453601901

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Elmar Theveßen: Nine Eleven. Der Tag, der die Welt veränderte.
Propyläen Verlag, Berlin 2011.
347 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783549073810

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Gerhard Wisnewski: Operation 9/11. Der Wahrheit auf der Spur.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2011.
480 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783426784365

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