Nach der WM ist vor dem Spiel

Bücher rund um die Frauen-Fußballweltmeisterschaft. Eine Sichtung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrer Ausgabe vom 9. Juli diesen Jahres meldete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Auch Frauen können sich benehmen wie Männer. Sie erobern damit ein letztes Stückchen Normalität, das bisher fehlte.“ Es war die Zeit, in der die Fußballweltmeisterschaft der Frauen in Deutschland ausgetragen wurde. So nahmen Meldungen und Kommentare zum sportlichen Großereignis des Jahres drei Wochen lang in so ziemlich allen Medien bis hin zur BILD-Zeitung einen Spitzenplatz ein. Auch in dem FAZ-Artikel war von ihm die Rede: „Man sieht Spielerinnen, die auch schon mal auf den Platz spucken, sich umhauen oder einander mit dem Ellenbogen ins Genick springen.“

Also gerade so wie die Männer. Dass Frauenfußball-Teams, denen es an spielerischen Vermögen mangelt, zu der im Männerfußball gepflegten Untugend rüder Fouls greifen, ist unbestritten und ließ sich im Spiel Nigerias gegen Deutschland 90 Minuten lang beobachten. Ob das allerdings ein Grund zur Freude ist, lässt sich mit Fug und Recht bezweifeln. Jedenfalls aber reiht sich die Zeitung mit der Rede von der weiblichen Eroberung der Normalität durch männliches Foulen und Spucken in eine zwar durchaus nicht gute, dafür aber umso ältere maskulinistische Tradition ein, der zufolge der Mann die Norm bildet, der Frauen bestenfalls nacheifern können.

Interessierte sich die FAZ ebenso wie die anderen Gazetten noch bis zum Beginn der Weltmeisterschaft herzlich wenig für kickende Frauen, so sah das auf dem Büchermarkt erfreulich anders aus, wie jüngst die von Jürgen Schiffer „kommentierte Bibliografie zu wissenschaftlichen Aspekten des Frauenfußballs“ mit ihren 612 Einträgen auf beeindruckende Weise deutlich macht. Aus den zahlreichen Wissenschafts- und Forschungsgebieten, die Untersuchungen zum Frauenfußball hervorgebracht haben, stechen zwei Themenbereiche quantitativ besonders hervor. 108 Dokumente verweisen auf medizinische Publikationen und 45 behandeln „Gender-Aspekte“. Zurecht weist Schiffer im Vorwort darauf hin, dass sich die traditionellen Geschlechterverhältnisse „gerade im Fußball hartnäckig halten“ und die Sportart „nach wie vor eine wichtige Funktion im Prozess der Aufrechterhaltung hegemonialer Männlichkeit inne hat“. Etwas fragwürdig ist allerdings seine Feststellung, dass dieser Sport „zumindest innerhalb der etablierten Fußballnationen nach wie vor eine wichtige ‚Bastion der Männlichkeit‘ darstellt“.

Denn in einer der größten Fußballnationen, die zwei Weltmeisterschaften und drei (von bislang vier vergebenen) olympischen Goldmedaillen gewonnen hat, gilt Fußball dezidiert als Frauensportart, was auch Schiffer nicht entgangen ist. Dieses Wissen kleidet er jedoch in einen alten misogynen Topos, der Frauen und Kinder engführt. Immerhin räumt er ein, dass „Fußball und Männlichkeit nicht von Natur aus zusammengehören“. Wer hätte das gedacht.

Dass die – nicht nur wissenschaftliche – Buchproduktion zum Frauenfußball im Vorfeld der Weltmeisterschaft einen besonderen Schub erfuhr, versteht sich. Überraschender ist da schon die Vielfalt der Textsorten und Genres, denen die Publikationen angehören. Sie reicht von wissenschaftlichen Monografien über Handbücher und Trainingsanleitungen, Bücher für Fans des Nationalteams und fußballbegeisterte Mädchen bis hin zu einem Bildband über Frauenteams in Ägypten, der Türkei, Palästina und Berlin. Selbst eine Krimianthologie ist zu finden. Rebecca Gablé und Thomas Hoeps haben sie unter dem doppeldeutigen Titel „Scharf geschossen“ herausgebracht und es ist nicht übertrieben, wenn letztere konstatiert, dass die zwölf Kurzkrimis „den Frauenfußball und die Frauen-Fußball-WM auf beeindruckend abwechslungsreiche Weise zum Thema machen“. Sie spielen vor und während der WM, gehen sogar zurück in die Zeit, als die „Dick Kerr Ladys“ das runde Leder traten, während ihre Männer in den Schützengraben des Ersten Weltkriegs starben; sie spielen in den Großstädten des Austragungslandes, in den Slums eines afrikanischen Teilnehmerlandes und vor bundesdeutschen Fernsehgeräten. Die AutorInnen lassen ihre Fantasie in den abwegigsten Geländen des Unwahrscheinlichen streunen oder greifen reale Skandale auf, welche die Vorfreude auf die WM trübten. Fans stalken durch die Stories, der Frauenhass mordet und Klischees werden ohne die geringste Chance auf „Ballkontakt“ getunnelt. Es kann sogar geschehen, dass eine Story nicht mit der Aufklärung eines Mordes endet, sondern mit seiner Ausführung. Abwechslungsreich sind sie also tatsächlich. Sonst aber beeindrucken durchaus nicht alle, ebenso wie auch nicht alle Spiele der WM beeindruckten. Unter den Stories finden sich kreuzbrave, ganz nette, wirklich witzige und fast richtig spannende. So spannend aber wie die Verlängerungen der Viertelfinale während der WM ist keine von ihnen. Das können sie auch gar nicht sein. Dazu fehlt ihnen als Kurzgeschichten der lange Atem.

Den schärfsten Kontrast zu dem Krimibändchen dürften die diversen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Frauenfußball bilden. Oder das ebenfalls pünktlich zur Weltmeisterschaft erschienene „Handbuch Frauenfußball“ von Martina Voss-Tecklenburg, die noch wenige Monate vor der WM als Trainerin beim FCR Duisburg in Diensten stand und in der neuen Saison die Frauen des FF USV Jena in der hohen Kunst des Balltretens vervollkommnen wird. Anders als der Titel vermuten lassen könnte, richtet sich ihr Handbuch nicht an Frauenfußballinteressierte im Allgemeinen, sondern ausschließlich an TrainerInnen von Frauenteams, denen es „Technik und Taktik“ und „moderne Trainingsplanung“ vermittelt sowie Tipps zum Training bietet. Voss-Tecklenburg, die den FCR Duisburg im Jahre 2009 zum Gewinn des UEFA Women’s CUP und im gleichen sowie im Folgejahr zum DFB-Pokal führte, hat das Buch gemeinsam mit Wiltrud Melbaum-Stähler geschrieben. In der Erwartung, dass die Weltmeisterschaft ein „erneuter Startschuss für eine weitere kontinuierliche, positive Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland“ sein und „die Zahl der fußballspielenden Frauen und Mädchen“ ansteigen lassen werde, möchten die Autorinnen den (künftigen) TrainerInnen aufstrebender Frauen- und Mädchenmannschaften eine „allgemeine Orientierung über die Grundprinzipien des Trainings einer Frauenfußball-Amateurmannschaften“ an die Hand geben. Denn in den „vielen tausend Amateurfußballerinnen“ erkennen sie zurecht „das Herzstück des deutschen Frauenfußballs“.

Nicht weniger vielfältig als die Krimis der erwähnten Anthologie sind die wissenschaftlichen Neuerscheinungen zum Thema Frauenfußball. Eine Aufsatzsammlung mit – oft mehr schlecht als recht erfülltem – wissenschaftlichem Anspruch haben Alexandra Martine de Hek, Christine Kampmann, Marianne Kosmann und Harald Rüßler herausgegeben, in dem sie die „Ergebnisse aus einem Lehrforschungsprojekt“ über „Fußball und der die das Andere“ vorstellen. Es handelt sich um den ersten Band einer neuen Reihe mit dem Titel „Gender and Diversity“. Entsprechend befasst sich einer der drei Beiträge mit Fußballerinnen. Es handelt sich um die „überarbeitete Fassung“ einer Diplomarbeit, die Christine Kampmann unter den Titel „Frauen in einer Männerdomäne“ an der Fachhochschule Dortmund einreichte. Die Wissenschaftlichkeit des Textes lässt jedoch in mancher Hinsicht zu wünschen übrig. So ist dem Text ein Zitat von Simone Laudehr, einer deutschen Nationalspielerin und Weltmeisterin von 2007, vorangestellt. Allerdings mit einer falschen Quellenangabe. Denn es ist nicht wie angegeben einer Ausgabe der Zeitschrift „11 Freunde“ entnommen, sondern tatsächlich deren Beilage „11 Freundinnen“.

Im Literaturverzeichnis tauchen weder die Zeitschrift, noch ihre Beilage auf. Auch scheut sich Kampmann nicht, zweifelhafte Quellen wie „Wikipedia“ heranzuziehen, etwa um sich über die UEFA Women’s Champions League zu informieren oder deren „Definition“ des Begriffs Tomboy zu übernehmen, die sich allerdings wie das gesamte sich als Enzyklopädie gerierende Internetprojekt bekanntlich ständig ändert. Auch zeichnet sich ihr Beitrag nicht eben durch einen gendersensiblen Sprachgebrauch aus. Im Gegenteil. Obwohl sie sich bewusst ist, dass im Fußball von Gleichberechtigung „nicht die Rede sein kann“ und sie dies etwa daran fest macht, dass er, „wenn er von Frauen gespielt wird, immer noch die geschlechtliche Beschreibung benötigt“. Hingegen würde „niemand auf die Idee kommen, von Männerfußball zu sprechen.“

Letzteres ist bekanntlich ein Irrtum. Doch selbst wenn es tatsächlich so wäre, wäre es höchste Zeit, damit zu beginnen. Statt dessen aber folgt die Autorin bewusst der „üblichen Diktion“ und benutzt „die Begriffe Fußball (für Männerfußball) und Frauenfußball“, ohne sich weiter daran zu stören, dass sie damit einen Sprachgebrauch fortführt, der nicht nur den Genderbias in diesem Sport zementiert, sondern überhaupt die Vorstellung vom Mann als Norm und der Frau als (minderwertiger) Abweichung perpetuiert.

Anders als Kampmanns aus einer Diplomarbeit destillierter Aufsatz zeichnet sich die „sporthistorische Promotion“ von Carina Sophia Linne neben anderen Vorzügen durch eine akribische Recherchearbeit aus. Im WM-Jahr begibt sich die Autorin zurück in die Zeit, als „Frauenfußball im geteilten Deutschland“ gespielt wurde. Dazu hat sich Linne tief in alle möglichen Archive vergraben. Dementsprechend ist ein hochinformatives Buch entstanden. Als Manko könnte man allenfalls ansehen, dass sie sich weit mehr für den Frauenfußball in der DDR interessiert als für denjenigen der in der alten BRD gespielt wurde, was sich sowohl im Text wie in der Auswahl der Abbildungen niederschlägt. Linne erklärt denn auch klipp und klar: „Im Zentrum der Arbeit steht der Frauenfußball in der DDR, allerdings stets mit einem vergleichenden Blick ‚über die Mauer‘“. Einigermaßen gerechtfertigt ist die Schwerpunktsetzung allerdings dadurch, dass in bisherigen (nicht nur) wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema „der DDR-Fußball zumeist – gewollt oder ungewollt – nur als ‚Exkurs‘ abgehandelt wurde.“

Bibliografien, Krimis, Handbücher und wissenschaftlichen Untersuchungen haben – so unterschiedlich sie auch sein mögen – doch alle eines gemeinsam: Auch wenn das eine oder anderen Werk Illustrationen enthält, so überwiegt doch stets der Textteil. Dies gilt auch für Voss-Tecklenburgs Handbuch, dessen Übungseinheiten und Spielzügen oft erläuternde Bilder und Graphiken beigegeben sind.

Dass der Fotoband „Schuhgrösse 37“ sich in dieser Hinsicht eklatant von den anderen hier vorgestellten Werken unterschiedet, versteht sich. Doch hebt ihn noch etwas anderes aus der Masse der Publikationen hervor – und dies betrifft den Textteil des Buches, das nicht nur Fotoband sondern auch Ausstellungskatalog ist. Es zeichnet sich als einziges durch eine dezidiert gender-sensible Sprache aus. Ein Wort wie „Frauenmannschaft“, das in den anderen Büchern gang und gäbe ist, wird man hier vergeblich suchen. Das heißt, wenn man einmal von dem Grußwort des DFB-Präsidenten und bekennenden Frauenfußballfans Theo Zwanziger absieht, bei dem es zumindest anklingt, wenn er meint „die besten 16 Mannschaften“ seien zur Frauen-WM zusammengekommen. Noch in einer weiteren Hinsicht sind die Wortbeiträge des Bandes bemerkenswert: Sie sind viersprachig: Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch. Die Auswahl der Sprachen erklärt sich dadurch, dass der Band (anhand von rund 100 Farbfotos) Einblicke in den „Frauenfußball in Ägypten, der Türkei, Palästina und Berlin“ bietet. Dass er mit der Zusammenstellung der Berliner Multikulti-Truppe von Türkiyemspor und Fußballerinen aus drei islamisch geprägten Ländern aus dem nahöstlichen Mittelmehrraum allerdings die „Faszination“ ins Bild setzt, die der Fußball „in aller Welt“ hervorruft, wie Bettina Luise Rürup und Urban Überschär von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Vorwort meinen, ist denn doch übertrieben. Ebenso zweifelhaft ist es, wenn sie die Geschlechterverhältnisse der Länder nivellierend erklären, „in Ägypten, Palästina und der Türkei etabliert sich der Frauenfußball – wie in Deutschland – gegen ein traditionelles Frauen- und Geschlechterrollenbild“. Sollte da nicht vielleicht doch der eine oder andere nicht ganz so belanglose Unterschied zwischen den Geschlechterrollen hierzulande und in den drei muslimisch geprägten Staaten auszumachen sein? Auch fällt auf, dass manche Textbeiträge und Bildunterschriften allzu rosig ausfallen und beispielsweise allen Ernstes behauptet wird, „ein Kopftuch stellt keine Behinderung beim Fußball dar“.

Auch in einem anderen Buch spielt das islamische Symbol eine Rolle, und zwar nicht eben eine Geringe. Die junge Semra nimmt es auf sich, „das blöde Kopftuch“ zu tragen, weil sie dann von ihren Eltern weniger kontrolliert wird, was ihr wiederum die Möglichkeit eröffnet, heimlich im Mädchenteam ihrer Schule zu kicken, dem „1. FC Ohne Jungs“, der auch den Titel für eine Reihe um eben diese Mädchenelf stiftet. Sie ist auf vier Bände angelegt, von denen bislang drei erschienen sind. Sie richten sich an Leserinnen im Alter der Protagonistinnen und wurden von Claudia Ondracek und Martina Schrey verfasst. In jedem der Bücher steht eines der Mädchen einer vierköpfigen Freundinnen-Gruppe im Mittelpunkt – ohne dass die anderen allerdings zu sehr in den Hintergrund geraten würden. Sie alle treten für den „1. FC Ohne Jungs“ an.

Dummerweise haben sie mit Mike Munk einen Lehrer als Trainer vor die Nase gesetzt bekommen, der von kickenden Frauen und Mädchen ebenso wenig hält, wie sie von ihm. Nicht umsonst nennen sie ihn hinter vorgehaltener Hand „Mega-Macho“. Mit sehr viel mehr Begeisterung trainiert er auch das Jungsteam „SV King Kong“, das nicht nur auf dem Platz mit den Mädchen konkurriert, sondern auch einige Spieler beherbergt, von denen die eine oder andere Kickerin außerhalb des Platzes durchaus angetan ist, was im übrigen auf Gegenseitigkeit beruht. Es geht also durchaus nicht nur um die Lust und Last des Trainings, um Siege und Niederlagen sowie um Abwerbe-Versuche durch andere Teams, sondern ebenso sehr um die ersten Liebesgefühle, darum mit der Trennung der Eltern zurecht zu kommen – oder eben um das elterliche Machtwort strenggläubiger muslimischer Eltern, Fußball zu spielen, dem Semra im zweiten Band der Reihe unterworfen wird. Doch nicht nur sie soll nicht spielen dürfen, auch Paula soll es untersagt werden, wenngleich aus ganz anderen Gründen.

Neben der Freundschaft verbindet die vier Mädchen nicht nur ihre Fußballleidenschaft, sondern auch gerade ihre so unterschiedlichen Charaktere und familiären Hintergründe, die natürlich auch für manche Reibereien sorgen. Doch „zusammen überwinden sie körperliche, emotionale, kulturelle und zwischenmenschliche Schranken“, wie Silvia Neid, die Trainerin des deutschen Frauenfußball-Nationalteams in einem Vorwort kurz, knapp und treffend zusammenfasst. Und eine von ihnen trägt sogar den gleichen Vornamen wie die berühmte Mia Hamm. Allerdings muss die fiktive Mia auch für das Klischee des schönen Mädchens herhalten, das keine Ahnung von Mathematik hat. Immerhin ist sie aber nicht auf den Mund gefallen. Und schließlich ist auch nicht jeder Junge ein mathematisches Genie, wie ihr Mitschüler Julius unfreiwillig beweist. Bedenklicher ist, dass der erfahrene ältere Bruder seiner Schwester anrät, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, um bei einem Jungen, auf den sie ein Auge geworfen hat, zu landen, oder der Kulturrelativismus einer ansonsten klugen und einfühlsamen Lehrerin, die ihren Schülerinnen zu erklären versucht, dass Mädchen aus religiösen Gründen Fußball spielen verboten werde, sei „nicht besser oder schlechter“ als es ihnen zu erlauben, sondern nur „ungewohnt“.

Semra, das Mädchen aus einer muslimischen Familie sieht das selbstverständlich ganz anders und bleibt trotz aller Widerstände der Eltern „am Ball“. Schließlich geht dann auch alles gut aus. Die Cracks der Jungsmannschaft müssen anerkennen, dass die Mädchen „in den letzten Monaten verdammt gut kicken gelernt“ haben, was sie keineswegs von allen im eigenen Team behaupten können. Und selbst der Trainer erweist sich als gar nicht so übel wie gedacht. Ausgerechnet er, der sie zunächst wegen des Kopftuchs aus dem Team werfen wollte, verhilft Semra dazu, doch weiter Fußball spielen zu können. Dazu sucht er einen islamischen Hodscha auf, der ihre Eltern darüber belehrt, dass schon Mohamed meinte, Frauen sollten viel Sport treiben – so lange sie „immer lange Kleidung und ein Kopftuch“ tragen. So einfach löst sich alles in Wohlgefallen auf. Im Buch zumindest. Im wirklichen Leben sieht das alles ein wenig anders aus, wie unlängst die iranische Nationalelf der Frauen leidvoll erfahren musste.

Neben der Reihe um den „1. FC Ohne Jungs“ richtet sich noch ein weiteres Buch an Mädchen, die darin auch gerne schon einmal direkt angesprochen werden. Es handelt sich um das Buch zur WM, dem der größte Publikumserfolg beschieden ist. Schon wenige Wochen nach seinem Erscheinen musste eine große Papierrolle für die zweite Auflage in die Druckpresse geschoben werden. Die ehemalige Bundesligaspielerin Shary Reeves hat es geschrieben. Bekannt geworden ist die Autorin allerdings nicht als Fußballerin, sondern vor allem durch die von ihr mitmoderierte kindgerechte Wissenssendung „Wissen macht Ah!“ und vielleicht noch als Aktrice in dem einen oder anderen Film. Nun agierte Reeves weder als Moderatorin noch bei als Schauspielerin alleine vor der Kamera. Und auch das vorliegende Buch hat sie nicht alleine geschrieben.

Mit wem sie es nun allerdings gemeinsam verfasst hat, bleibt ein wenig dunkel. Mit der „Frauen-Nationalmannschaft“ wie Einband und Titelblatt behaupten, oder unter „Mitarbeit von Anja Kunick“, wie ihre Danksagung und auch der Inhalt vermuten lassen? Wohl doch eher letzteres. Dass das Nationalteam als Autorinnenkollektiv mitgenannt wird, dürfte hingegen in der hiervon erhofften Werbewirksamkeit begründet sein. Zielgruppe sind jedenfalls die „lieben Mädels“, denen Reeves anhand von „ganz persönlichen Geschichten und Erfahrungen“ einiger Nationalspielerinnen die frohe Botschaft vermitteln möchte: „Das könnt ihr auch!“ Mag es auch vielleicht nicht bei jeder der Leserinnen wirklich bis in die Nationalelf reichen, so ist der emanzipatorische Impetus doch zu begrüßen.

Reeves stellt jedoch nicht nur erfolgreiche Spielerinnen vor, sondern geht auch tief in die Historie des Frauenfußballs zurück. Genau gesagt, bis zu dessen Anfänge Ende des 19. Jahrhunderts, als in England auch schon einmal 10.000 Menschen zusammenströmten, um ein Spiel zu verfolgen. Und nicht zuletzt verrät sie, warum es schlicht mehr Spaß macht Frauenfußball zu schauen: Die Spiele der Männer „werden oft durch Fouls unterbrochen, sodass man sie kaum genießen kann. Anders ist das beim Frauenfußball. Dort wird zwar auch auf einem sehr hohen athletischen Leistungsniveau gespielt, das Tempo und die Taktik sind jedoch mit bloßen Auge einfacher zu verfolgen. Und genau das ist der Grund, weshalb die Menschen in die Stadien ziehen.“ Der Zuspruch, den die Frauenbundesliga bislang genießt, ist tatsächlich aber denkbar gering. Ob sich dies nach der WM wesentlich ändern wird, bleibt abzuwarten.

Nicht nur aufgrund der Ernüchterung angesichts des frühen Ausscheidens der deutschen Elf hinterlässt die von Reeves – wie bekanntlich auch von anderen – vorab versprühte Euphorie über deren zu erwartende Erfolge einen zwiespältigen Eindruck. Reeves fantasiert sich die Schlussphase eines Endspiels zwischen Deutschland und den USA herbei, in der die Gastgeberinnen 2:1 führen und Inka Grings in der Nachspielzeit das erlösende dritte Tor für Deutschland erzielt.

Doch hat das Buch auch mehr als nur einige positive Seiten zu bieten. So enthält es etwa durchaus reflektierte Abschnitte über „Niederlagen“ und sonstige „harte Prüfungen“ wie Verletzungen, die eine langwierigen Heilungsprozess erfordern, oder über die „öffentliche Wahrnehmung“ des Frauenfußballs. Reeves Haltung zur Erotisierung seiner Akteurinnen als „Marktingstrategie“ muss man allerdings nicht unbedingt teilen. Zwar seien „gerade wir Frauen immer darauf bedacht, uns so authentisch wie möglich zu verkaufen“ und möchten „lieber an Leistung und Glaubwürdigkeit gemessen werden.“ Leider zeige ein „Realitätscheck“ aber, dass nur ein „Hauch Erotik“ die „notwendigen Medienwirksamkeit“ und das „öffentliche Interesse“ zu wecken vermöge. So bedauerlich es daher auch sei, man müsse „diesen Weg“ leider beschreiten, „weil er Erfolg versprechend für die Vermarktung“ sei. Im wohlverstandenen Interesse des Frauenfußballs aber wäre es gerade, diese Realität zu ändern. Andernfalls werden sich Fußballerinnen früher oder später ein ähnlich ‚sexy‘ Outfit verpassen lassen müssen, wie dies den Beachvolleyballerinnen geschah. Immerhin aber steht bei Reeves, anders als bei Okka Gundel, die in ihrem Buch zur WM auf „Geschichten unter den Trikots“ setzt, stets der Sport im Mittelpunkt.

Und indem sie den Imperativ „elf Freunde müsst ihr sein“ demontiert, kritisiert sie zudem – zumindest implizit – den Titel von Gundels Buch, der die Rede von den „11 Freundinnen“ beschwört. Ein Topos, der nicht auf den früheren Bundestrainer Sepp Herberger, sondern auf Richard Girulatis zurückgeht, der ihn bereits 1920 in seinem Buch über „Theorie, Taktik, Technik“ des Fußballs prägte, wie sich der Rezensent gerne von Reeves belehren ließ. Der Propaganda der elf Freunde setzt die Autorin nun in einem Abschnitt mit dem ironisch zu lesenden Titel „Das Freundschafts-Gen“ einige Überlegungen zum Begriff eben der Freundschaft entgegen, die sie zu dem überzeugenden Schluss führen, in einem Fußballteam sei nicht Freundschaft wichtig, sondern vielmehr „Respekt und die Bereitschaft, für die Schwäche der anderen einzustehen, Fehler wettzumachen und sich hundertprozentig einzubringen“.

In einer anderen Hinsicht langt sie aber – nicht nur sprachlich – kräftig daneben. Es geht um das, wie sie schreibt, „leidliche Monatsthema“. Nun hat ihr da sicher der Tippfehlerteufel einen Streich gespielt und es sollte wohl „leidiges Monatsthema“ heißen. Das macht die Sache, oder besser gesagt die Rede von ihr aber keineswegs besser. Gemeint ist damit jedenfalls „nicht gerade der Zeitraum, in dem wir unfassbar flexibel mit uns umgehen lassen“, wie die Autorin formuliert, die „allmonatliche Phase“ also, „in der wir uns selbst am wenigsten leiden können“. All dies gibt die Autorin nun auch noch mit quasi erhobenem Zeigefinger und den Worten „Mädels, nun mal die Ohren gespitzt!“ zum Besten. Bleibt nur zu hoffen, dass es die jungen Leserinnen da schon aufgeklärter sind.

Wenige Zeilen später macht sich Reeves allerdings auch schon wieder für eine Forderung stark, die sich ohne weiteres unterschreiben lässt: „Nur wir Frauen selbst können unseren Fußball glaubwürdig und selbstbewusst weiblich nach außen hin verkaufen. Das bewegt den Frauenfußball in Richtung Unabhängigkeit. Also: Trainerinnen, Spielerinnen, und Schiedsrichterinnen braucht das Land!“

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Shary Reeves: Eine für alle, alle für eine. Das Leben ist ein Mannschaftssport.
Ariston Verlag, München 2011.
239 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783424200577

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Jürgen Schiffer: Frauenfußball-Literatur. Eine kommentierte Bibliografie zu wissenschaftlichen Aspekten des Frauenfußballs.
Sportverlag Strauß, Köln 2011.
552 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783868841510

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Carina Sophia Linne: Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland.
Bebra Verlag, Berlin 2011.
314 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783937233895

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Claudia Ondracek / Martina Schrey: Freistoß für Paula. 1. FC Ohne Jungs. Band 1.
Kosmos-Verlag, Stuttgart 2011.
128 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783440126448

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Marianne Kosmann / Harald Rüßler (Hg.): Fußball und der die das Andere. Ergebnisse aus einem Lehrforschungsprojekt.
Centaurus Verlag, Freiburg 2011.
165 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-13: 9783862260508

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Martina Voss-Tecklenburg / Wiltrud Melbaum-Stähler: Handbuch Frauenfussball.
Meyer & Meyer Verlag, Aachen 2011.
295 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783898994521

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Claudia Ondracek / Martina Schrey: Jule sieht rot. 1. FC Ohne Jungs. Band 3.
Kosmos-Verlag, Stuttgart 2011.
128 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783440126462

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Rebecca Gablé / Thomas Hoeps (Hg.): Scharf geschossen. Die Krimi-Anthologie zur Frauen-Fußball-WM 2011.
KBV Verlags- und Medien-GmbH, Hillesheim 2011.
216 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-13: 9783942446105

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Claudia Wiens: Schuhgröße 37. Frauenfußball in Ägypten, der Türkei, Palästina und Berlin.
Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2011.
131 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783801204259

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Claudia Ondracek / Martina Schrey: Semra bleibt am Ball.
Mit Vorwort von Bundestrainerin Silvia Neid.
Kosmos-Verlag, Stuttgart 2011.
128 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783440126455

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