Those were the days …

Zsuzsa Bánk erzählt in ihrem Roman von „hellen Tagen“ mit dunklen Schatten

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit ihrem grandiosen, zu Recht mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichneten Roman „Der Schwimmer“ (2002) hatte man wenig von Zsuzsa Bánk gehört. Ihr Erzählband „Heißester Sommer“ (2004) war kein großer Hit, und danach widmete sich die 1965 geborene Frankfurter Autorin erst einmal ihrer Familie. In den letzten dreieinhalb Jahren jedoch entstand ein neuer Roman: „Die hellen Tage“ erzählt von drei Kindern, die sich in den 1960er-Jahren des letzten Jahrhunderts in einer unweit des Neckarstroms gelegenen Kleinstadt namens Kirchblüt zusammenfinden und im Laufe der Jahre so etwas wie Freunde fürs Leben werden. Auf ihrer hellen Kindheitswelt aber liegen von vornherein dunkle Schatten. Das Thema, das die Autorin umtreibt, formuliert ihre Ich-Erzählerin so: „Ich habe mich oft gefragt, wann wir begonnen haben, die zu werden, die wir als Erwachsene sind“. Darum geht es in diesem immer auch von einem melancholischen „memento mori“ durchzogenen Buch.

Drei Familiengeschichten werden zunächst parallel erzählt, und irgendwann greifen sie ineinander. Die spannendste ist die von Aja und ihrer Mutter, der aus einer ungarischen Artistenfamilie stammenden geheimnisvollen Évi, einer erst spät und mühsam das Lesen und das Schreiben lernenden Lebenskünstlerin, die „mit Aja anders als andere Mütter mit ihren Kindern“ umgeht. Durch sie bleibt das aus dem „Schwimmer“ bekannte Ungarn-Thema präsent. Sie leben in einer von einem wunderbaren Garten umgebenen Bruchbude am Rand des Städtchens, ohne Türschloss und mit stets schief hängendem Gartentor. Die Schatten: Aja hat seit einem Verkehrsunfall an einer Hand nur noch drei Finger. Und ihr Vater kommt nur einmal im Jahr zu Besuch, repariert das Nötigste, spielt mit seiner Tochter und verschwindet dann wieder. Wenn denn dieser Zigi, dessen Zirkuskunststücke die Kinder lieben, überhaupt Ajas Vater ist. Anders ist es bei Seri, der Ich-Erzählerin des Romans. Ihr Vater ist bereits kurz nach ihrer Geburt gestorben, ein früher Herzinfarkt nach einer Fahrradtour – die tapfere Witwe, Seris Mutter, muss und will sein Speditionsgeschäft weiterführen und ahnt noch nichts von den römischen Eskapaden ihres Mannes.

Der dritte im Bunde heißt Karl. Das sein Leben bestimmende Ereignis ist das Verschwinden seines jüngeren Bruders, einfach so, an einem hellblauen Frühlingstag – eine unfassbare Katastrophe, viel schlimmer als der Alltag mit seiner traumatisierten Mutter. Alle drei also haben ein je eigenes Schicksal zu tragen, und auf ganz andere Weise gilt das auch für die drei Mütter, die sich allmählich miteinander anfreunden. Gerade die Schatten aber sind es, die Aja, Seri und Karl fest aneinanderschmieden: „Wir haben unser Dreieck in die Länge gezogen, wir haben die Orte gewechselt und uns voneinander entfernt, wie haben die Abstände neu abgesteckt und bemessen […] Wir haben einander verloren und doch wiedergefunden, ganz gleich, wohin wir uns bewegten, wohin es uns drängte“.

Erst einmal wachsen sie heran – bundesdeutsche Provinz in prekären Friedenszeiten. Die Schwelle vom Kindsein zur Jugendzeit überschreiten sie noch relativ locker, doch als die drei Erwachsenen dann zum Studieren nach Rom gehen, wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Aja, die angehende Ärztin, Seri, die Übersetzerin, Karl, der Fotograf – in der Ewigen Stadt, auch eine Art Gegenpol zum beschaulichen Kirchblüt, wäre fast alles auseinandergekracht. Amouröse Verwicklungen und vielerlei andere Missverständnisse entstehen zwischen Ostia und Termini, ganze Lügengebäude brechen zusammen. Am Ende aber kriegt die innige Lebensfreundschaft der drei Hauptfiguren doch noch die Kurve.

Zsuzsa Bánk erzählt in einem ruhigen und beschaulichen Ton, manchmal fast ein wenig betulich und gelegentlich langatmig. Dass ihre Sprache im Vergleich zum „Schwimmer“ etwas „schneller und direkter“ geworden sei, wie die Autorin behauptet, kann man nicht erkennen. Nota bene: An der handwerklichen Seite ihrer filigran durchwirkten Prosa ist wenig auszusetzen. Aber man wünscht sich, vom Gleichmaß dieses Schreibens eingelullt, immer wieder einmal spannende und dann auch sprachlich sichtbare Kaskaden, Strudel und Nebenströmungen im gemächlich dahintaumelnden Erzählfluss. Ein respektabler Roman für die berühmten langen Abende am Kamin ist das. Aber leider nur für sehr geduldige Leser. Alle anderen könnten auf dieser langen, in ihrem Sprachduktus nicht besonders abwechslungsreichen Erzählstrecke leicht verloren gehen. Und man könnte es ihnen nicht einmal verdenken.

Titelbild

Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
543 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783100052223

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