Wie du mir, so ich Dir?

Iris Därmann hat eine Einführung zu „Theorien der Gabe“ vorgelegt

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist eine Gabe? Ein uneigennütziges Geschenk, das die Zirkulation des Warenstroms unterbricht? Steht die Gabe dem scheinbar universellen Selbst-Interesse und der Nutzenmaximierung des ökonomisch handelnden Subjekts gegenüber? Oder ist sie immer auch der Anlass zur Gegengabe, die den Empfänger zum Schuldner macht und den Strom der materiellen und symbolischen Güter mithin nicht etwa unterbricht, sondern im Fluss erhält? Ist die Gabe Bestandteil, Widerpart oder supplementierendes Gegenstück des vorherrschenden Wirtschaftssystems? Gibt es die Gabe noch in unserer modernen Kultur oder ist sie eine archaische Gegebenheit? Fragen wie diese stehen im Mittelpunkt theoretischer Auseinandersetzung über den schillernden Begriff der Gabe, in die Iris Därmanns Buch einführen möchte.

Wenn es die Gabe gibt, dann ist sie zweifellos eines der erstaunlichsten wirtschaftsanthropologischen Phänomene und allemal wert, in kulturwissenschaftlichen Debatten breit diskutiert zu werden, zumal sich im Diskurs über die Gabe unter anderem soziologische, ethnologische, theologische, politische und philosophische Aspekte verschränken. Ein Blick auf die intellektuellen und fachspezifischen Standorte der Theoretiker, die Därmanns Buch vorstellt – Marcel Mauss, Georges Bataille, Claude Lévi-Strauss, Jacques Derrida und Michel Serres –, lässt die Breite des Feldes erahnen.

Die Gabe ist kein beliebiges Phänomen menschlicher Kulturen, sondern geradezu Bedingung der Möglichkeit menschlicher Interaktion und friedlicher Koexistenz. Sie verbindet den Gebenden mit dem Empfänger, stellt Hierarchien und Verpflichtungen her, strukturiert soziale Gefüge und wirkt durch die mit dem Gabentausch verbundene Fremderfahrung gesellschaftsbildend. Der Ausgangspunkt jeder Gabentheorie ist die Schilderung des „Potlatschs“ durch den französischen Soziologen Marcel Mauss (1872-1950), also des Systems des rituellen Gabentauschs und der durch Gaben erreichten antagonistischen Verpflichtungen in vormodernen Kulturen.

In Därmanns Einführung werden die Theoretiker nach Mauss allesamt kritisch dargestellt, indem nicht nur die Kerngedanken der Theorien, sondern auch deren Mängel und Inkohärenzen aufgezeigt werden. Dies nimmt gelegentlich Ausmaße einer Fundamentalkritik an, wenn beispielsweise das Kapitel über Lévi-Strauss den Anspruch erhebt, „die Fassade des linguizistischen und tauschorientierten Strukturalismus auf Risse“ zu untersuchen. Dass dieser Anspruch im Guten wie im Bösen weit über das hinausgeht, was ein Leser ohne allzu erhebliche Vorkenntnisse von einer Einführung erwarten darf, wird von Därmann offenkundig ebenso wenig als Problem erachtet wie die sich in solchen Sätzen offenbarende Parteinahme der Autorin.

Das Buch will „eine Gabentauschgeschichte der Gabentheorien selbst“ skizzieren. Diese Absicht zeigt bereits, dass es nicht um die isolierte Darstellung unterschiedlicher Gabentheorien ohne Bezug zueinander geht, sondern um die theoriegeschichtlichen Anleihen, Pfände und Austauschbewegungen zwischen den einzelnen Theorien. Das hat allerdings zur Folge, dass letztlich immer Mauss im Zentrum der Überlegungen steht, der gleichermaßen vor seinen Kritikern und Bewunderern gerettet werden soll. Bisweilen wird mehr Gewicht auf die von Därmann für adäquate befundende Mauss-Lesart und die vermeintlichen hermeneutischen Verfehlungen der vorgestellten Theoretiker gelegt als auf deren originelle Weiterführungen und Abwandlungen der Grundgedanken. So wird etwa bei der Vorstellung von Jacques Derridas zentralem Text „Falschgeld. Zeit geben“ zwar ausgeführt, wo Derrida von Mauss abweicht – was bei Därmann stets als Mangel des diskutierten Autors erscheint –, welche Aspekte der Gabentheorie Derrida aber vermittels seiner ausführlichen Charles Baudelaire-Lektüre gewinnt, wird überhaupt nicht erwähnt. Die auf Mauss zentrierte Präsentation von Gabentheorien lässt Aspekte, die nicht auf ihn zurückzuführen sind, zu kurz kommen.

Mauss wird dabei geradezu die Rolle einer unhinterfragbaren Autorität zugeschrieben. Die einzelnen Kapitel, die scheinbar eine Einführung in die Theorien des jeweiligen Autors darstellen, kreisen immer wieder um Mauss und dessen Beschreibung des Potlatschs. Im Kapitel zu Georges Bataille beispielsweise ist ein mehrseitiger Mauss-Exkurs eingefügt, während die vor allem am „blutigen Opfer“, der Verschwendung, der Zerstörung und der ruinösen Maßlosigkeit des Gebens interessierte Theorie Batailles in den Hintergrund gerückt wird.

Dennoch sind die kulturtheoretisch stets fundierten Ausführungen häufig anregend und wecken das Interesse einer weiterführenden Beschäftigung mit dem Gegenstand im Allgemeinen und den einzelnen Autoren. Eine Stärke des Buches ist zweifellos, dass nicht allein eine historische Rekonstruktion klassischer Theorien geleistet, sondern auch eine „ordinary culture theory“ der Gabe in der modernen Gesellschaften skizziert wird, bei der Därmann plausibel macht, dass noch in unseren Geschenkpraktiken die grundlegenden Vorstellungen des Potlatschs zu erkennen sind. Um derlei Versatzstücke des Gabenphänomens in unserer Lebenswelt zu erkennen und theoriegeschichtlich angemessen reflektieren und einordnen zu können, ist dieser Band eine willkommene Ergänzung zur bewährten Junius-Reihe.

Titelbild

Iris Därmann: Theorien der Gabe. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2010.
192 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783885066750

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