Das Anti-Werk

Ingeborg Bachmanns Skripte für die Radio-Serie „Die Radiofamilie Floriani“ liegen ein halbes Jahrhundert nach ihrer Ausstrahlung gedruckt vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Texte, die ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben und als verschollen gelten, überraschend entdeckt und veröffentlicht werden, kommt gelegentlich schon einmal vor. Weit seltener aber ist es, dass sie ein großes – und fast ausnahmslos positives – Echo in den Feuilleton- und Rezensionsstuben hervorrufen. Dies gelingt derzeit Ingeborg Bachmanns Skripten für die in den 1950er-Jahren in Österreich ausgestrahlte Radio-Serie „Die Radiofamilie Floriani“, von der zwischen 1952 und 1960 über 330 Folgen ausgestrahlt wurden. Bachmann, die nur in den ersten Jahren für die Serie tätig war, trug allerdings nicht mehr als die 15 Skripte bei, die nun von Joseph McVeigh herausgegeben wurden.

Bei den Florianis handelt es sich um ein Wiener Ehepaar aus bürgerlichen Kreisen, das mit einer pubertierenden Tochter und einem 12-jährigen Sohn gesegnet ist. Beigesellt sind den vieren einige Verwandte und Bekannte, unter denen insbesondere Guido, der Halbbruder des Familienvaters heraussticht, ein Luftikus mit tausend Ideen, einiger Überzeugungskraft und keinerlei Fähigkeiten. Zudem lastet auf ihm der Schatten seines Mitläufertums während des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland.

Die von Bachmann beigesteuerten Episoden handeln von den Geldsorgen eben dieses Halbbruders, den unwägbaren Fährnissen einer Geburtstagsfeier, Besuchen von Theateraufführungen und Kunstausstellungen, dem einen oder anderen Geschwisterzwist, Schwärmereien der Tochter, ihren Jungmädchengesprächen, die mit dem Bubengeplauder ihres Bruders kontrastiert werden, und nicht zuletzt von der patriarchalischen Familienordnung, die sich etwa darin ausdrückt, dass Herr Floriani seiner Frau nach einem Gespräch mit dem Filius über dessen schwache schulische Leistungen bescheidet, das sei „eine Sache, die ich nicht mit dir erörtern möchte“.

Manche dieser Dialoge sind auch heute noch einigermaßen unterhaltend, mindestens ebenso viele aber wirken reichlich angestaubt. Stammten die Radio-Skripte nicht von der großen Lyrikerin und Autorin des unvollendet gebliebenen „Todesarten“-Projekts, wäre ihnen der durch den Blätterwald rauschende Feuilleton-Erfolg schwerlich beschieden; vermutlich hätten sie es nicht einmal bis zur Druckpresse geschafft. Denn so bedeutend die Autorin auch ist, so unbedeutend sind die Skripte, für die der Herausgeber das Wort „Anti-Werk“ erdachte. Mag das Feuilleton die Texte auch noch so loben, für ein breiteres Lesepublikum dürften sie kaum von Interesse sein. Etwas anders sieht es hingegen hinsichtlich der Bachmannforschung aus, gewähren sie doch durchaus Einblicke in einen bislang wenig, wenn nicht unbekannten Aspekt von Bachmanns frühem Schaffen. Mehr aber auch nicht.

Der Herausgeber allerdings versucht, die Forschungsrelevanz der Radioskripte möglichst hoch zu hängen und neigt dabei zu mancher Übertreibung. Mit seiner Herausgabe von Bachmanns Beitrag zu der Hörspielserie, so versichert er, sei ein „erster Schritt zu einem neuen Verständnis der Dichterin und ihres Werkes in den frühen fünfziger Jahre[n]“ getan, denn mit ihnen habe er der Forschung „einen wertvollen Schlüssel zur Neubewertung dieser in der Biographie Ingeborg Bachmanns zu Unrecht vernachlässigten Periode“ überreicht.

Zwar räumt McVeigh ein, dass es Bachmann bei der Mitarbeit an der Hörspielserie nicht so sehr um künstlerisch-literarische Betätigung, sondern vor allem um die Absicherung ihrer „materiellen Existenz“ ging, doch liegt der „literarische Wert“ der Skripte McVeighs zufolge „zuvorderst in den zahlreichen Bezügen zum Leben und zum übrigen Werk der Dichterin“. Obgleich der Herausgeber die Floskel bemüht „Parallelen zwischen der Dichterin und ihren Frauenfiguren“ bemüht, seien diese „nur mit Vorbehalt zu ziehen“, befleißigt er sich eines zweifelhaften Biografismus, der darauf beharrt, dass in Bachmanns Skripten „zahlreiche Bilder und Motive“ vorkommen, „die verschlüsselt und mit unterschiedlicher Ernsthaftigkeit auf Aspekte ihres privaten Lebens hinweisen“. Mehr noch: McVeigh schreibt der Arbeit an ihnen eine therapeutische Funktion für die Verfasserin zu, und meint beispielsweise, „der Humor“, mit dem sie die komische Figur Guido behandelt, habe „wohl auch die Funktion, das für Bachmann emotionell aufgeladene Thema“ Nationalsozialismus „zu entschärfen“. Außerdem nehme die Figur Guido „Aspekte der Vater-Figur in ‚Malina‘ vorweg, allerdings mit positivem Vorzeichen“. In anderen Szenen wiederum glaubt der Herausgeber ein „leises Echo“ von „Bachmanns Enttäuschung über ihre gescheiterte Liebesbeziehung zu Hans Weigel und Paul Celan“ zu hören. Ist es schon fragwürdig, Bachmanns so unterschiedliche Verhältnisse zu den beiden Männern unter diesem einen Begriff zu vereinen, so ist der Singular „Liebesbeziehung“ gänzlich fehl am Platz.

„Bachmanns öffentliches Schweigen über ihre Mitarbeit an der populären Sendereihe“ ist dem Herausgeber zufolge „fraglos ein Indiz dafür, dass sie diese Texte als eine Art Experiment mit Themen und Motiven betrachtet hat“. So fraglos, wie McVeigh meint, ist das allerdings keineswegs. Es ist sogar nicht einmal sonderlich plausibel. Nachvollziehbarer ist da schon Ina Hartwigs jüngst in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ geäußerte Vermutung, Bachmann habe sie verheimlicht, weil sie fürchtete, ihre Mitwirkung bei der Zubereitung solch leichter Unterhaltungskost könnte ihrem Ruf als ernsthafter Dichterin schaden. Tatsächlich hätte der damalige Kulturbetrieb, der noch weit strenger zwischen ‚bloßer Unterhaltung‘ und ‚ernsthafter Kunst‘ unterschied, der aufstrebenden Lyrikerin wohl schwerlich den Broterwerb mittels massentauglicher Hörspielproduktionen verziehen.

Titelbild

Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie.
Herausgegeben von Joseph McVeigh.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
411 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783518422151

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