Morde und Unfälle

Über Elfriede Jelineks Roman "Gier"

Von Diemut RoetherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Diemut Roether

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es war ein Unfall." Mit diesem Satz endet "Gier", der neue Roman der österreichischen Schrifstellerin Elfriede Jelinek. Die Frau, Gerti, im Roman jedoch meist nur "die Frau" genannt, verschwindet. Sie nimmt eine Überdosis Phenylbarbiturat und überlässt das, was von ihr übrig bleibt, ihr Haus, das Sparbuch und sonstigen Besitz, dem Landgendarm Kurt Janisch, der sich eigens zu diesem Zweck ihr Vertrauen und ihre Liebe erschlichen hat. Nicht, dass der fesche Landgendarm das Opfer dieser Frau wert gewesen wäre. Ihn hat von Anfang nur das interessiert, was später von ihr übrig bleiben würde: das Haus aus Ziegeln, Glas, Beton, Stahl und Gips, das Geld. Ihr Herz, das wollte er nicht geschenkt haben - wie die Männer eben so sind, in Elfriedes Welt.

"Es war Mord". Mit diesem Satz endete "Malina", der einzige Roman, den die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zu Lebzeiten vollendete und veröffentlichte. Das weibliche Ich, das in dem 1971 erschienenen Roman namenlos bleibt, verschwindet am Ende in der Wand der Wohnung ("eine alte, sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann") und überlässt ihre Wohnung, ihr Leben, dem Mann Malina, der sich sofort darin breit macht und alles, was von der Frau übrig blieb, vernichtet: "er räumt den Tisch ab, er zerreißt ein paar Briefe, er wirft mein Vermächtnis weg."

Für diese beiden Frauen war kein Platz in der Welt. Kein Zipfel vom Glück war ihnen vergönnt. Sie waren nicht lebenstüchtig. Darum haben ihre Autorinnen sie in den Tod geschickt, die eine wie die andere. Die Umstände, so unterschiedlich sie in den beiden Romanen sind, ähneln sich doch. Wie die zwei so verschiedenen Autorinnen, denen das Leiden an den Verhältnissen, als Frauen in einer Männerwelt und an einer Sprache, die andere so sicher im Munde führen wie eine Waffe, gemeinsam ist.

Tatsächlich verbindet Elfriede Jelinek, die ihren Hass auf die Männerwelt stets laut herausgeschrieen hat, und Ingeborg Bachmann, die ihr Unbehagen meist lyrisch verbrämt hat, mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Denn wenn Jelinek in einem Interview davon spricht, "dass manche einfach leben können und andere nicht", hätte dieser Satz auch von Bachmann stammen können. Das Gefühl, dass ihnen etwas fehle, was man zum Leben brauche - Jelinek nennt es "etwas Chemisches, ein Enzym oder etwas Anderes" - war beiden Autorinnen wohl vertraut.

Die Welt nach Jelinek ist dennoch eine grundsätzlich andere als die Bachmanns: In "Gier" geht es nur noch um die Jagd nach Geld, die Lust am Besitz, das unstillbare Verlangen nach Mehr. Um Sex geht es natürlich auch, wie immer bei Jelinek, doch Sex ist für Kurt Janisch nur ein Mittel, um seine Gier nach Besitz zu stillen. Die alleinstehenden Frauen, denen der Mann, "wie er uns Frauen eben gefällt", Hausbesuche abstattet, überredet er, ihn als Erben einzusetzen. "Heiratsschwindler" hätte man so einen früher genannt - nur, der Herr Janisch ist bereits verheiratet. Doch die Frauen, die sich an ihr kleines Liebesglück klammern, "das wie jedes andere auch auf Täuschung beruht", wollen eben nicht sehen, was der Kurt Janisch wirklich für einer ist. Blind und blöd sind sie, die Frauen, brutal und rücksichtslos die Männer. Hier gibt es keine Hoffnung auf Glück, keine Sehnsucht nach einer besseren Welt, nicht einmal den Versuch, zwischen zwei Menschen eine Illusion von Liebe zu schaffen, wie in Bachmanns utopischem "Ungargassenland". Elfriedes Welt ist "Menschenfresserland".

Und "Menschenfresserland" ist Österreich. Ein Sumpf. Von Bergwerken unterhöhlt, ausgeweidet, bis die Erde oben darüber einfach nachgibt und alles, was sie getragen hat, Häuser und Menschlein, mit in die Grube nimmt. Was dann noch lebt und zappelt, wird von Muren oder Lawinen begraben. Ein Land, das seinen Bewohnern offensichtlich ebenso zürnt wie die Chronistin. Eigentlich nett von dem Land, dass es der Autorin die Bilder, die sie zu seiner Beschreibung braucht, so auf dem Präsentierteller serviert, obwohl Elfriede Jelinek doch kürzlich in einem Interview gesagt hat, mit Österreich verbinde sie nur noch der Hass. Ein Hass, der sich Bahn bricht in immer neuen Büchern. Seit 30 Jahren wird sie nicht müde, ihren Hass auf dieses "SCHÖNE Land mit seinen tälern und hügeln" herauszuschreien.

Der Landgendarm Kurt Janisch ist ein typischer Bewohner dieses schönen Landes: Mitglied der "Partei der Anständigen, Tüchtigen, Fleißigen", die ihren Anhängern sagt, "dass sie unter den anderen deutlich hervorragen und alles und mehr verdienen, was sie haben und noch haben wollen". Dieser tüchtige Polizist und Familienvater ist König in seinem kleinen Reich. Wenn nur die Schulden bei der Bank nicht wären. Doch der Gesetzeshüter weiß, wie er hinter der Fassade des Anstands das Gesetz umgehen kann, ohne mit ihm in Konflikt zu geraten. So wird ihm auch der eine oder andere Mord an einer Frau, die ihm lästig wurde, nie zur Last gelegt werden.

Was Ingeborg Bachmann vor 30 Jahren nur andeutete, ist für Elfriede Jelinek zur felsenfesten Gewissheit geworden: Die Sehnsucht der Frauen nach Selbstauslöschung. Nach einem, der ihnen alles abnimmt - auch das Leben, an dem sie so schwer zu tragen haben. Deshalb, schreibt Jelinek, "sind Frauenmörder bei Frauen im allgemeinen so beliebt. Sie sind nämlich auf Frauen spezialisiert... Denke mir: Mörder üben eine zärtliche Hypnose aus, manche untersuchen und analysieren ihre zukünftigen Opfer monatelang." Und Frauen sind so hungrig nach Zuwendung, dass sie diesen Mördern Liebesbriefe ins Gefängnis schicken, wo sie ihnen nicht weglaufen können.

So etwas könnte eine interessante Geschichte abgeben, wenn Jelinek denn eine erzählen wollte. Doch was gibt es über felsenfeste Gewissheiten noch zu erzählen? Jeder Satz wird in diesem Buch zum Pflasterstein, mit dem die Autorin auf das Land und seine Bewohner zielt - und sie trifft ziemlich oft. Ihre Figuren wirft sie wie Gesteinsbrocken in die Landschaft. Hier die Menschen, die "meist einfach nur reich werden wollen", da die Frauen, die obendrein noch Liebe wollen. Kein Wunder, dass ihr dazu selbst nichts mehr einfällt: "Ich zum Beispiel habe nichts zu sagen angesichts der Figuren, die ich erschaffe, her mit den Redewendungen und drauf, und noch eine, bis sie sich unter mir winden vor Schmerz oder vielleicht auch, weil sie zuwenig Platz haben."

Dass die Autorin wütend ist auf die Welt, in der sie lebt, ist ihr gutes Recht. Ihren Hass nimmt man beim Lesen fasziniert von ihrer Sprachgewalt zur Kenntnis. Doch man bleibt ungerührt. Wie in einem Splatterfilm im Kino, wo man beim dritten oder vierten Toten nur noch lacht, weil man so viele Tote gar nicht an sich heranlassen will. Wo Bachmann noch irritierte, schockiert Jelinek nicht einmal mehr. "Auf dem Land töten die Leute gern", schreibt sie. So wird aus jedem Mord ein Unfall.

Titelbild

Elfriede Jelinek: Gier. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000.
400 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3498033344

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch