Zu dieser Ausgabe

Und schon wieder Buchmesse, also auch Buchpreis-Verleihung: Vor einiger Zeit hat man noch die Nase gerümpft über dieses neue, marktorientierte Literaturbetriebsphänomen, und nun kommt es einem schon längst vor wie das Selbstverständlichste von der Welt. Worum geht’s denn diesmal so, in den Romanen, die auf der Shortlist gelandet sind?

Guck an: Sowohl die „Süddeutsche Zeitung“ als auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ meinen, Jan Brandt habe den Preis verdient, mit seiner fast 1.000-seitigen Provinzprosa über einige dubiose Figuren aus der zweiten Nachkriegsgeneration in Ostfriesland: „Gegen die Welt“ heißt der Roman, und einer seiner Protagonisten „Penis“. Edo Reents von der „F.A.Z.“ zieht sogar Vergleiche zu Dostojewski, Thomas Mann, Uwe Johnson und – da horcht man doch gleich noch mal ganz besonders auf – Frank Schulz!

Schlagen wir das derart gelobte Buch doch einfach mittendrin auf. Da steht zu lesen: „Onno stellte das Bier ab und stand auf, wobei der Hocker, auf dem er gesessen hatte, umfiel und auch die Flasche daneben zu Fall brachte. Auf dem Teppich breitete sich ein dunkler Fleck aus und vermischte sich mit anderen, beständigeren dunklen Flecken. Er kümmerte sich nicht darum. Stattdessen zog er Master of Puppets aus dem Regal, nahm die Platte aus der Hülle und legte sie auf. Er schob den Starthebel nach links, setzte die Nadel mitten in Welcome Home (Sanitarium) ab und drehte den Lautstärkeregler bis zum Anschlag.“

Das haut natürlich gleich ziemlich rein: Wenn einen nur einige, zufällig gelesene Sätze gleich so sehr an Szenen aus der eigenen Gitarren-Teenie-Zeit in den späten 1980er-Jahren erinnern, wie diese hier, ist man zugegebenermaßen gefesselt. Stimmt ja, das haben damals wirklich die meisten begeistert gehört, lange vor Lady Gaga und Rihanna, als in den Musiksendungen im TV noch Rock-Musik-Videos liefen und es den Leuten etwas bedeutete, wenn einer so was eigenhändig nachspielen konnte:

Sleep my friend and you will see
that dream is my reality
They keep me locked up in this cage
can’t they see it’s why my brain says Rage

Sanitarium, leave me be
Sanitarium, just leave me alone

Wir wären also mit der „F.A.Z“- und der „S.Z.“-Bewertung auf Anhieb voll und ganz einverstanden – und vielleicht gewinnt Brandts Roman ja wirklich. Literaturkritik.de bemüht sich derweil, alle für die sogenannte Long- und die Shortlist nominierten Romane zeitnah rezensieren zu lassen: Wie immer haben wir für Sie eine Extra-Seite eingerichtet, auf der Sie alle Titel auf einen Blick finden und unsere Besprechungen, falls schon vorhanden, anklicken können – unsere Rezensenten geben sich Mühe!

Bleibt noch daran zu erinnern, dass das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse Island heißt. Das freut das Team von literaturkritik.de natürlich auch besonders: Setzt sich der harte Kern der Redaktion doch aus einem erfahrenen Island-Wanderer und einem weiteren Mitarbeiter zusammen, der auch schon immer einmal dorthin wollte und deshalb neuerdings mit dem Gedanken spielt, bei der nächsten Gelegenheit von Kiel aus mit der Fähre dorthin aufzubrechen – hoffentlich nicht auf Nimmerwiedersehen! Last but not least hat unser eigener Verlag literaturwissenschaft.de einen mitreißenden Longseller im Programm, der von einer berühmten Island-Reisenden handelt, die dort auf tragische Weise ihren Verlobten verlor.

Noch Fragen? Dann lese Sie doch bitte einfach in unserer Oktober-Ausgabe nach! Denn dort finden Sie eine beachtliche Auswahl wichtiger Titel dieses Herbstes besprochen, und zwar auch solche, die nicht in die engere Auswahl des Buchpreises gekommen sind. Schließlich gibt es auch noch eine literarische Welt außerhalb dieser Hype-Maschinerie.

Mit den besten Grüßen aus Marburg
Ihr
Jan Süselbeck