Nicht Diskretion, sondern Übersteigerung, wo es nur möglich ist

Birgit Oberger zeigt eine weitgehend unbekannte Elfriede Jelinek. Sehenswert, aber unscharf

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ordentlich verhoben hatte Jelinek sich ja mit einer ihrer ersten Übersetzungsarbeiten, Thomas Pynchons Mammutwerk „Gravity’s Rainbow“, dem Jelinek aber zumindest den schönen deutschen Titel „Die Enden der Parabel“ gab. Unstimmigkeiten mit dem Verlag und ihrem Co-Übersetzer führten schließlich sogar dazu, dass Jelinek von der größten literarischen Enttäuschung ihres Lebens sprach. Offensichtlich aber keine völlig entmutigende Erfahrung, wie ihre vielen anderen, gattungsübergreifenden Übersetzungsarbeiten zeigen: neben Prosa erstaunlicherweise auch spanische Lyrik, vor allem aber Theaterstücke, aus dem englischen (Wilde, Marlowe) und französischen (Feydau, Labiche).

Wildes „The importance of Being Earnest“ (von Jelinek und ihrer Mitübersetzerin Karin Rausch griffig übertragen mit „Ernst ist das Leben“) und Marlowes „Der Jude von Malta“ („The Jew of Malta“, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Karin Rausch) waren beides Auftragsarbeiten für das Wiener Burgtheater: Peter Zadek bat Jelinek 2001 für seine Inszenierung um eine Neuübersetzung von Marlowes Stück, die Wilde-Übersetzung folgte vier Jahre später für eine Inszenierung durch Falk Richter.

Birgit Oberger interessiert sich im ersten Teil ihrer Untersuchung aber weniger für die konkreten Übersetzungen, als für die Rezeption dieser Arbeiten. So bleibt es lediglich bei Andeutungen. Jelineks Übersetzung der Wilde’schen Dialoge soll unter die Gürtellinie gehen, die Schauspieler genössen es aber durchaus, sprachlich die Hosen runter und die Sau rauszulassen. Klingt spannend, erschließt sich bei Oberger aber nur über diverse Kritiken der Inszenierungen aus österreichischen und deutschen Zeitungen, in denen meist auch Jelineks Übersetzungsarbeit thematisiert wird. Fazit des Feuilletons: Zadeks Inszenierung ist misslungen, Jelineks Übersetzung („angestrengt flapsig“) auch, während bei Wilde die Sprachspielkünstlerin Jelinek (Karin Rausch wird in meisten Rezension gar nicht erst erwähnt) in ihrem Element sei. Jelinek bringe den Wilde vom Kopf auf den Po, vom Hirn auf den Unterleib, von der Pointe auf den Pimmel, so ein Rezensent. Anders formuliert: Was Wilde nur andeuten konnte, wird von Jelinek beim Namen genannt. Nicht Diskretion, sondern Übersteigerung, wo es nur möglich ist, lautet nicht zufällig auch die selbstformulierte Maxime der Übersetzerin Jelinek: warum leichtes Mädchen sagen wenn man doch auch Hure brüllen kann?

Jelineks Übersetzung von Marlowes „The Jew of Malta“ ist aber der eigentliche Untersuchungsgegenstand von Oberger, dem sie sich allerdings über den ermüdenden Umweg einiger übersetzungstheoretischen Vorbemerkungen annähert. Warum nur? Im Hauptteil ihrer Arbeit, dem Vergleich zweier deutscher Übersetzungen (Erich Fried und Jelinek/Rausch, beide natürlich immer im Kontext des englischsprachigen Original) spielen die zuvor dargestellten Theorien (Skopostheorie, Theorien zur Dramenübersetzung) kaum eine Rolle. Detailarbeit steht dafür im Vordergrund, ein Satz-für Satz-Vergleich im Hinblick Rhythmik, Metrik, Auslassungen, Hinzufügungen, fremd sprachiger Repliken. Die Ergebnisse sind kaum überraschend, aber sorgfältig herausgearbeitet. Die Fassung von Jelinek/Rausch verzichtet auf den Blankvers, den Fried möglichst beizubehalten versucht. Sie ist metrisch freier, eine Art rhytmisierter Prosa, zudem pflegen Jelinek/Rausch einen freieren Umgang mit der Vorlage: Ihre Sprache ist salopp, nicht zuletzt durch Modernizismen und umgangssprachliche Konstruktionen. Allerdings greifen Jelinek/Rausch, so die Autorin, nicht in die Intention Marlowes ein, sondern stellen jede Figur gemäß ihres Ausgangtextes dar. Soll heißen: Jelinek und ihre Mitübersetzerin übernehmen die Figurencharakterisierung und versuchen nicht, den latent antisemitischen Tenor des Stückes rabiat zu ändern. Vielmehr wird, durch den interpretatorischen Akt des Übersetzens (inklusive einiger Auslassungen und Ergänzungen) die Thematik für die heutige Zeit aktualisiert. Ein zwar nachvollziehbares, wenn auch (allein schon durch das heikle Sujet Antisemitismus) nicht sehr befriedigendes Fazit.

Dennoch ist es fast schon eine Pionierarbeit, die Birgit Oberger geleistet hat. Ihr Buch schließt eine kleine Forschungslücke, lässt aber auch vieles offen. Die Frage nach der Intention der sprachlichen Übersteigerungen und Zuspitzungen, gerade im Kontext von Jelineks Romanwerk beispielsweise. Und ist es generell sinnvoll, die Übersetzerin Jelinek strikt von der Schriftstellerin Jelinek zu trennen, wie es Oberger macht? Sowohl bei Marlowe (Antisemitismus) als bei Wilde (Sexualität) geht es schließlich um zentrale Jelinek-Themen, mit denen sie sich in ihrem kompletten Prosawerk quasi ständig auseinandersetzt. Auch will nicht so recht einleuchten, warum ausgerechnet „Der Jude von Malta“ einer vergleichenden Detailuntersuchung unterzogen wird – warum nicht Wildes Stück?

Eine Einführung (so der Untertitel des Buches) auf relativ engen Raum schreiben zu wollen, lässt sich ohne Verknappungen und Auslassungen wohl auch nur schwerlich realisieren. So gesehen eine brauchbare Einführung.

Titelbild

Birgit Oberger: Elfriede Jelinek als Übersetzerin. Eine Einführung.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
137 Seiten, 30,50 EUR.
ISBN-13: 9783631564578

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