Eine schlaffe Wohlstandsgesellschaft

Leif Randt stellt in „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ die beste aller Welten vor

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen Ort wie CobyCounty gibt es sonst nirgends auf der Welt. Wer in CobyCounty lebt, lebt gerne hier, vor allem wenn der Frühling bevorsteht, und die Zeit der ausschweifenden Parties und der sommerlichen Romanzen. Doch „das macht es nicht leichter“, munkelt der 26-jährige Wim Endersson. Der beste Ort der Welt stimmt ihn längst müde und melancholisch. Bei Wim und seinen Freunden kommt keine rechte Euphorie mehr auf. Als ob es diesen Frühling nicht alle Jahre wieder gäbe. Der Zwiespalt stimmt ihn nachdenklich – doch um Widerstand zu leisten, ist Wim viel zu gut erzogen. In CobyCounty achtet man auf Stil und Individualismus, das politische System glänzt durch beständige Einhelligkeit.

CobyCounty ist ein utopischer Ort am Meer jenseits von Europa und Amerika, fürsorglich verwaltet und von hedonistischen Menschen bewohnt, die nirgendwo sonst leben möchten. Selbst kleine Reisen in äußere Territorien werden beargwöhnt – geschweige denn Auswanderungsgelüste. Mit Ausnahme der stürmischen Wintermonate zeigt sich das Wetter stets angenehm und sonnig, so dass die Touristen förmlich hierher strömen, um sich rund um die Uhr zu vergnügen. Dennoch fühlt sich Wim schlaff und uninspiriert.

Wim ist von Beruf Literaturagent, mit Abschluss an der School of Arts and Economics. Viele seiner Freunde haben diese Schule abgeschlossen. CobyCounty ist vor allem ein Paradies für Freiberufler, die auch unter den Touristen die Mehrzahl ausmachen. Die Behörden versuchen sogar aktiv, Familien und Alte von einer Reise ins Freizeitparadies abzuhalten. Wim arbeitet in einer Agentur. Er hat den untrüglichen Blick für die leichte Muse, die literarisch am meisten gefragt ist. Daher ist es ihm einerlei, wenn die internationale Kritik immer wieder mal nörgelt, dass den Texten aus CobyCounty „der Bezug zu existentieller Not fehle“. Draußen herrscht eine andere Welt. „In Wahrheit wollen die Menschen aber noch viel mehr über gute Zeiten in CobyCounty erfahren“, weiß er mit Sicherheit.

Leif Randts Roman (sein zweiter nach „Leuchtspielhaus“, 2010) entwirft eine ideale Welt, in der alles in glücklicher Harmonie ausbalanciert wirkt. Der Ich-Erzähler Wim beschreibt seinen ruhigen Alltag mit zurückhaltender Akkuratesse, überzeugt, in der bestmöglichen Welt zu leben. „Vor meinem inneren Auge kann ich mich in jedem bisherigen Alter mit einem Eisteeglas in der Hand sehen.“ So ist er mit dem Bestehenden zufrieden – anders gesagt fürchtet er sich vor jeglicher Veränderung. Selbst belanglose Entscheidungen rauben ihm die Ruhe. Wim ist ein Ausbund an Korrektheit, auch gegenüber seiner Freundin Carla, nachdem sie eben per SMS mit ihm Schluss gemacht hat. Er weint ein bisschen, fasst sich aber sogleich wieder, denn allzu viel Emotionen würden die heitere Balance stören.

Genau darin aber steckt der tiefe Widerspruch, der ihn unterschwellig beunruhigt. Während seine Eltern mit 60 aktiv und vital sind und ein „fantastisches Leben“ führen (so die Mutter), gibt sich der jugendliche Wim sonderbar erwachsen und abgeklärt. „Ich habe einen Zustand erreicht, in dem ich mir eigentlich keine Fragen mehr stelle“, hält er fest. Derart verkehren sich die Dinge ins komische Gegenteil, denn „so mitreißend und energetisch“ wie seine Eltern hofft Wim gar nie zu werden, auch wenn er stetig die eigene Jugendlichkeit beschwört. Selbst ein kleiner Ausbruchsversuch endet bereits nach einem Tag wieder zuhause.

Dieses emotionale Gleichmaß beschreibt Leif Randt mit listigem Mimikry. Hinter der melancholischen Maskerade sind die Abgründe nur zu erahnen. Randt hat für seinen Roman eine wunderbar stoische Sprache gefunden, die die Lektüre einlullt, bis die scheinbare Emotionslosigkeit ins Verdächtige kippt. Unter der glatten Oberfläche tickt irgendwo die Zeitbombe! Zwischen den Zeilen knistert eine unterschwellige, doch gefährliche Ironie. Wims Erzählungen gleichen einem Gang auf unsicherem Eis, das jederzeit einbrechen kann.

„Schimmernder Dunst über CobyCounty“ ist ein ganz und gar eigentümliches Buch, das sich vordergründig gegen die Aufgeregtheit der zeitgemäßen Literatur stellt. Gerade indem es sich davon abhebt, holt es das Zeitgemäße ein. Es sendet eine utopisch verkleidete Flaschenpost aus einer idealisierten Wohlstandsoase, in der sich Menschen im einheitlichen Individualismus behaglich eingerichtet haben, um den Preis, dass vorab bei den Jungen das existentielle Aufbegehren erlahmt, bevor es je ausbrechen könnte – oder wollte. Die Jungen sind schlaff geworden, ihnen fehlt der Antrieb zu irgendwas. In dieser Gleichform des Lebens werden drohende Gefahren ignoriert, wider besseres Ahnen. Die Mutter von Wesley, Wims Freund, deutet sie einmal an, wie Wesley berichtet: „Sie glaubt, dass uns etwas abhandenkommt, dass da eine innere Gefahr herangewachsen ist, in den allermeisten von uns.“ Sind der gigantische Sturm, der über die Stadt herzuziehen droht, oder der sensationelle Sieg des oppositionellen Kandidaten für das Bürgermeisteramt bereits Vorboten des beschworenen Niedergangs?

Leif Randt lässt vieles subtil in der Schwebe. Solange wie möglich halten seine Protagonisten die heitere Illusion aufrecht, an die sie unbedingt glauben wollen. Doch mit Fortdauer der Handlung fragt man sich als Leser immer mehr, wo hier denn der Haken liegt, wann das Verschwiegene aufbricht, wie diese Prosa aus der Fassung geraten könnte. Es steckt alles drin, in diesem Buch, aufgehoben in einer feinen Spannung voller Zwischentöne und gebunden an eine bedächtige, zuweilen fast altbacken wirkende Sprache. „Ich mache mir manchmal Gedanken“, sagt Carla. Ihr tut es Leif Randts Roman auf gewitzte, auch höchst vergnügliche Weise nach. Und lässt dabei tief blicken.

Titelbild

Leif Randt: Schimmernder Dunst über CobyCounty. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2011.
192 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783827010278

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