Eine verstörende Collage

Über Rabea Edels Buch „Ein dunkler Moment“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rabea Edel widmet sich in ihrem zweiten Roman „Ein dunkler Moment“ der Faszination des Bösen und der Macht, die der Zufall über das menschliche Schicksal ausübt. Der Plot klingt entsprechend verheißungsvoll nach einem Psychogramm menschlicher emotionaler Abgründe: Am 5. April 1998 tötet der 17jährige Billy in einer amerikanischen Kleinstadt seine Eltern und die kleine Schwester mit einem Baseballschläger. Danach ruft er selbst telefonisch die Polizei und lässt sich widerstandslos festnehmen. Unterdessen verbringt seine andere Schwester Amanda – gemeinsam mit dem von ihr erschlagenen Familienhund – die Nacht in den Feldern vor der Stadt und kommt erst nach seiner Tat ins gemeinsame Elternhaus zurück. Ebenso wie Billy wirkt sie wortkarg und teilnahmslos.

Viele Jahre später wird in einem Vorort von Rom eine junge Frau ermordet. Seltsamerweise hat deren Mörderin mit ihrem Opfer, dem sie zum Verwechseln ähnlich sieht, die Kleider getauscht. Während der darauf folgenden mehrtägigen Odyssee der Mörderin durch die Stadt, kreuzen sich ihre Wege zufällig ausgerechnet mit dem Mann, der mit der Obduktion der Toten beauftragt ist. Wie bereits ihr Bruder, stellt sich auch Amanda, die die Mörderin ist, selbst der Polizei, während der Pathologe Andrea Landolfi, der selbst ein nicht gerade ungetrübt-professionelles Verhältnis zu seinem Job hat, auf Hinweise zur Kindheit der Mörderin und auf die Ereignisse im April 1998 stößt.

Angeregt von zwei realen Kriminalfällen erzählt die Berliner Autorin Rabea Edel in einer mitunter an die Filme von Lars von Trier oder David Lynch erinnernden Collage aus vermeintlich zufälligen Ereignissen die Geschichte eines Mordes und seiner späten Folgen. Doch wer hier einen spannenden Thriller oder eine intensive psychologische Studie erwartet, wird in seiner Hoffnung enttäuscht. Edel ergeht sich mehr in Andeutungen und indirekten Hinweisen auf mögliche Motive und Hintergründe, als dass sie die verschiedenen Versatzstücke ihres Romans wirklich zu einem Ganzen zusammenfügt.

Somit kann auch nicht jeder uneingeschränkt in den Lobgesang einstimmen, in den die deutschsprachige Kritik mehr oder weniger unisono verfallen zu sein scheint und von sprachlicher Brillanz sowie einem Höchstmaß an Spannung tönt. Allzu prätentiös und gewollt bedeutungsschwanger kommt der Roman daher, als dass der Leser bis zum Ende gewillt wäre, den schemenhaften Figuren auf ihrer Reise durch Zeit und Raum zu folgen (was eigentlich bei unter 200 Seiten Länge normalerweise nicht so schwierig wäre) – geschweige denn, dass ihn die eher beliebig wirkenden Elemente der Erzählung so in ihren Bann schlagen, dass dies quasi von selbst geschieht. Der Leser wird hier zum Rätselraten verdammt, ohne dass ihn irgendein Aspekt der düsteren Figuren und der Schilderungen ihrer befremdlichen Handlungen und Beziehungen untereinander wirklich animierte oder neugierig darauf machte, sich näher mit ihnen zu beschäftigen. Schade, denn sowohl der Stoff des Romans als auch das durchaus bemerkenswerte handwerkliche Können Rabea Edels, die bereits mehrere Preise und Stipendien erhielt, darunter 2006 den Kunstpreis Literatur Berlin-Brandenburg für ihr Romandebüt „Das Wasser, in dem wir schlafen“, hätten das Zeug zu mehr gehabt.

Titelbild

Rabea Edel: Ein dunkler Moment. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2011.
190 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873381

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