„Krieg ist besser als ein Montagmorgen“

Peter Strassers Plädoyer für eine „alltagsliturgische Kultur“: „Was ist Glück? Über das Gefühl, lebendig zu sein“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gibt es einen genuinen Zusammenhang zwischen Glück und gutem Leben, wie Aristoteles voraussetzte? Oder könne man sich, da das Glück auch dem Bösewicht lacht, nur bemühen, sittlich gut, also möglichst glückswürdig zu sein, wie Kant einwandte? Und: Gehören sichere und menschenwürdige Lebensumstände zu den Voraussetzungen, um überhaupt glücklich sein zu können? Oder ist Glück vor allem ein innerer Zustand, der in nahezu jeder Situation möglich wäre, selbst in Auschwitz, wie Imre Kertész’ „Roman eines Schicksallosen“ erzählt?

Diesen Grundfragen der Ethik widmet sich Peter Strasser in seinem Buch „Was ist Glück?“ Es bildet nach „Die einfachen Dinge des Lebens“ (2009) und „Sehnsucht“ (2010) den Abschluss seiner „Trilogie der Lebendigkeit“. Für den österreichischen Rechtsphilosophen sind es gerade unsere im historischen Vergleich luxuriösen Lebensumstände, all unsere „Lebenserleichterungstechnologien und Sozialstaatsinstitutionen“, die die Erfahrung dessen, was Glück im Kern ausmache, nämlich „das Gefühl, lebendig zu sein“, zunehmend verunmöglichen. Wir reden uns ein, unser bisschen „Wellness“ sei schon das große Glück und ahnen doch, dass wir nur fahles Schein-Glück erleben. Lebendig fühlt sich der moderne oder postmoderne Mensch aber skandalöserweise nur noch in Ausnahmezuständen, wenn alles in Scherben zu gehen droht: „Krieg ist besser als ein Montagmorgen“, zitiert der Philosoph aus einem Roman des amerikanischen Autors Walker Percy die Reaktion der Hauptfigur auf Pearl Harbour; Strasser hätte ebenso an den europaweiten Jubel im August 1914 erinnern können.

Nicht etwa, dass Strasser sich nach Krieg oder ruppigeren Vergangenheiten zurücksehnte („Ich möchte, dass es immer so weitergeht“): Sein Bemühen, Missverständnissen vorzubeugen, nimmt in seinem Buch den größten Raum ein; auch hat er keine Scheu davor, „ich“ zu sagen, was seinem Buch den etwas abschreckenden Anstrich einer Bekenntnisschrift gibt. Vielmehr will er dazu ermuntern, uns unsere Sehnsucht einzugestehen, „uns wieder als Teil der Schöpfung, das heißt: der Welt als eines lebendigen Ganzen, zu erfahren“. Dazu schlägt er eine „alltagsliturgische Kultur“ vor, mit einer neuentdeckten Ehrfurcht vor Gott inklusive. Denn Christentum und Moderne – so Strasser unter Berufung auf den kanadischen Philosophen Charles Taylor – schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Wirklich? Spätestens hier möchte man an Strassers Landsmann Robert Musil erinnern. Dessen Figuren im „Mann ohne Eigenschaften“ suchen ebenfalls nach einer Versöhnung von Mystik und Moderne, allerdings auf einem Weg, „ohne fromm zu sein, ohne an Gott oder Seele, ja ohne auch nur an ein Jenseits und Nocheinmal zu glauben; sie waren als Menschen dieser Welt auf ihn geraten und gingen ihn als solche: und gerade das war das Beachtenswerte.“

Titelbild

Peter Strasser: Was ist Glück? Über das Gefühl, lebendig zu sein.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011.
206 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783770551422

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