Ästhetik der Präsenz, der Ware, der Hybridität und der Gewalt

Neues zur Poetik Rolf Dieter Brinkmanns in einem Sammelband von Markus Fauser

Von Jennifer ClareRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jennifer Clare

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rolf Dieter Brinkmann gehört zweifelsohne zu den Autoren, die sich viel und ausführlich zu ihrem Schaffen geäußert haben und ihre Akte der Selbstreflexion umfangreich kommentiert und dokumentiert haben. Allerdings sind im Falle Brinkmanns viele dieser Kommentare und Quellen bislang wenig untersucht worden – wiederentdeckte Dokumente seines Frühwerks, neue Aspekte seiner schriftstellerischen Selbstdarstellung und vor allem Verbindungen zu schriftstellerischen Vorbildern und zu anderen ästhetischen und philosophischen Programmen wollen reflektiert und in Beziehung gesetzt werden. Hier sieht nun Herausgeber Markus Fauser den Ansatzpunkt und die Zielrichtung seines Sammelbandes: „Gerade die Stellung“, heißt es in der Einleitung, „zwischen dem immer wieder verweigerten Traditionsbezug und der intensiven Auseinandersetzung mit kanonisierten Beständen, das Hin und Her zwischen Anschluss und Verweigerung, die Erneuerung der Moderne bei gleichzeitigem Abstand zu ihrer reinen Selbstbezüglichkeit, die Übernahme poetischer Verfahren der Avantgarde bis hin zum erfundenen Zitat, die bis zum Überdruss wiederholte Abkehr von der verhassten ‚Kultur‘, […] schließlich die noch vielfach im Dunkeln liegenden Anfänge des Werks, […] fordern neue Zuwendung.“

In der Tat ist der in der kulturwissenschaftlichen Reihe „lettre“ des transcript-Verlags erschienene Band zu Rolf Dieter Brinkmann vor allem eine poetologische Studie. Es geht um eine Neubewertung von Einflüssen anderer Autoren und auch anderer Medienformate auf Brinkmanns Schreiben, um das schwierige Verhältnis zwischen Bild und Text in seiner Lyrik, um Brinkmanns stetiges Ringen mit dem „Nichts“ und der „Leere“, seine Affinität zur Oberfläche, zur Gegenwärtigkeit, seine Ambivalenz zu den „Dingen“, den „Waren“ und dem „Alltag“. Wie beschäftigt sich Brinkmann genau mit Konzepten wie dem Realismus und dem Existentialismus, mit schreibenden Leitfiguren der Moderne wie Baudelaire und Rimbaud, mit Zeitgenossen wie Kerouac? Wie sieht die differenzierte Auseinandersetzung des oft als „ersten Popliteraten“ bezeichneten Brinkmann mit Warenästhetik und Populärkultur aus? Und wann kann man überhaupt von einer Aussage des „realen“ Autors Brinkmann ausgehen, wenn sich Autorpoetik und Fiktion, Selbstinszenierung als Autor und Spiel mit verschiedenen Rollen-Ichs in seinem Schreiben permanent durchziehen und durchaus widersprechen?

Der Band enthält viele außerordentlich starke Beiträge zu diesen und weiteren Facetten des Schreibens Rolf Dieter Brinkmanns. Der zuerst etwas sperrig anmutende Titelbegriff der ‚Medialität‘ wird zunehmend plausibel integriert und wirkt sich damit zumindest nicht störend aus – findet doch jeder Beitrag seine eigene und meist sehr passende Terminologie für seinen jeweiligen Aspekt der Poetik Brinkmanns.

Einer dieser Aspekte der Brinkmann’schen Poetik, den gleich mehrere Beiträge differenziert herausarbeiten, ist deren Affinität zum Spiel mit Bewegung/Unruhe und Stillstand/Stille beziehungsweise mit Bewegungsrichtungen wie etwa Kreisförmigkeit versus Linearität – sowohl auf der inhaltlich-erzählerischen Ebene als auch auf Diskurs- und Formebene. Andere Beiträge, wie etwa der hochinteressante Aufsatz des Herausgebers, untersuchen den erst vor wenigen Jahren wiederentdeckten Vechtaer Teilnachlass, der unveröffentlichte Werke Brinkmanns aus seiner frühesten Schaffensphase (vor seiner ersten Publikation) enthält. Markus Fauser verfolgt hier Brinkmanns frühe Auseinandersetzungen mit Elementen der existentialistischen Philosophie und des expressionistischen Schreibens sowie Brinkmanns schreibendes Ringen um eine Emanzipation von seinen großen Vorbildern und um eine eigene poetologische Positionierung.

Wenn der Band eines deutlich macht, dann die Tatsache, dass Brinkmann ein Autor war, der in rastlosem Studium und permanenter Selbstreflexion die Brüche, Paradoxien und Inkonsequenzen seiner Poetik aufzuspüren suchte, unermüdlich arbeitete und experimentierte. Fast alle seiner Arbeiten tragen mehr oder weniger deutlich den Zug eines ständigen Gefühls des Nicht-Hinreichenden, des Kreisens und des Eingeschränkt-Seins. Die Autorinnen und Autoren des Bandes gehen Brinkmanns legendärer Wut, seinem destruktiven, aber gleichzeitig im höchsten Maße schöpferisch-kreativen Schreibimpetus, seinen radikalen Sonderformen der Intermedialität und auch seinem nicht ganz eindeutigen schriftstellerischen Selbstbild nach.

Insgesamt ist mit dem Band ein in vielen Aspekten bereichernder Beitrag zur Brinkmann-Forschung gelungen. Einziges kleines Manko ist das leider etwas nachlässige Lektorat, was Tippfehler und Interpunktion angeht. Inhaltlich bringt er jedoch eine Vielzahl neuer und starker Thesen in die Diskussion ein, die zu weiterführenden Überlegungen und Studien anregen. Anschlussfähig könnten etwa detaillierte Studien zur posthumen Rezeption Brinkmanns sein oder auch die bislang selten gestellte Frage, ob und wie sich Brinkmann und seine Poetik im Kontext der deutschen Studentenbewegung verorten lassen.

Titelbild

Markus Fauser (Hg.): Medialität der Kunst. Rolf Dieter Brinkmann in der Moderne.
Transcript Verlag, Bielefeld 2011.
286 Seiten, 31,80 EUR.
ISBN-13: 9783837615593

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