„Ich spüre selbst, dass ich mich verändere“

Zartbissige Essays von Evgenij Zamjatin gewähren ganz nebenbei Einblicke in das nachrevolutionäre Russland

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die vorliegenden Essays aus den Jahren 1919-1921 sind bislang noch nicht in die deutsche Sprache übersetzt worden. Überhaupt waren über Jahrzehnte hinweg Leben und Werk des russischen Schriftstellers Evgenij Zamjatin (1884-1937) in der deutschen Rezeption unverdientermaßen niemals angemessen wahrgenommen worden. Die sowjetische Zensur so wie die Bücherverbrennung der Nazis hatten ebenso das ihre dazu getan, wie die Verdammung als „weißgardistischer Emigrant“ oder die versuchte Vereinnahmung als antikommunistischer Visionär während des Kalten Krieges.

Die Essays sind von Peter Urban nicht nur in der gewohnten Art kongenial übersetzt, sondern auch mit einem Vorwort sowie einem kompetenten Anmerkungsapparat versehen worden.

Der studierte Schiffsbauingenieur Zamjatin hatte sich früh der Literatur zugewandt. Seine Sprachkraft und Stilistik ließen ihn bald einen eigenen Stil entwickeln, den er als „Synthetismus“ bezeichnete. Eine erneuerte Epik hatte nach seiner Meinung gerade auch die aktuellsten wissenschaftlichen Errungenschaften zu berücksichtigen. Er setzte sich somit von einer althergebrachten realistischen Schreibweise ebenso ab, wie von einer abstrahierenden, sich mit sich selbst beschäftigenden Moderne.

Wie sein Vorbild Alexandr Blok hatte Zamjatin die russische Oktoberrevolution zunächst begrüßt und war zu einer Zusammenarbeit bereit gewesen. Doch schon bald konnte Zamjatin sein Hauptwerk, den Roman „Wir“, in der Sowjetunion nicht mehr veröffentlichen. Luzide war in dieser unverblümten Antiutopie die Problematik der Persönlichkeit vor dem Hintergrund einer verbindlichen kollektiven Identität herausgearbeitet.

Bereits 1920 spricht Zamjatin in „Ich fürchte …“ Vorgänge in der sowjetischen Kulturpolitik an, wobei er den verheerenden Irrwitz einer allumfassenden Zensur geradezu hellsichtig vorauszusehen scheint: „Ich fürchte, wahre Literatur wird es bei uns nicht geben, bevor man nicht aufhört, den russischen Demos als Kind anzusehen, dessen Unschuld bewahrt werden soll.“

Dabei hat Zamjatin nicht etwa technische oder ökonomische Schwierigkeiten des nachrevolutionären Russlands wie Papiermangel oder die Verteilung von Essensmarken im Auge, sondern die Geflissenheit jener flinken Schriftsteller, die sich problemlos im vorauseilenden Gehorsam den jeweiligen politischen Konjunkturen anpassen. Zamjatin vergleicht derlei „Hofpoeten“ seiner süffisanten Sprache entsprechend mit „vergoldeten Sesseln“ einer alten, vergangenen Zeit. Beide „sind so graziös und küssen so zärtlich jedes Hinterteil“.

Zamjatin macht seinen Lesern nichts vor: „Die Hauptsache ist, daß wahre Literatur nur dort leben kann, wo sie nicht von zuverlässigen Vollzugsbeamten gemacht wird, sondern von Wahnwitzigen, Abtrünnigen, Ketzern, Träumern, Aufständigen, Skeptikern“. Mit derlei Einlassungen katapultierte sich Evgenij Zamjatin in die diametral entgegengesetzte Richtung eines offiziell eingeforderten Nützlichkeitsgedankens der Literatur im Sinne einer sozialistischen Erziehung der Volksmassen.

In seinen „Erinnerungen an Blok“ entfaltet Zamjatin seine poetische Fähigkeit, genaueste Beobachtungen auch an scheinbar nebensächlichen Kleinigkeiten mit einfühlsamer Intuition zu verbinden. Blok und er hatten in Petersburg gemeinsam ihre Zeit an Schriftsteller-Sitzungen verbracht und Pläne wie auch Hoffnungen geteilt. „Ich sagte: – Sie haben sich sehr weit entfernt von dem, der Sie vor einem Jahr waren. Sie verändern sich. Die Antwort: – Ja, ich spüre selbst, daß ich mich verändere“.

In einer punktierten Art von Erinnerung notiert Zamjatin Begegnungen und Gesprächsfetzen, wobei er die konkreten Zeit- und Lebensumstände nicht ausblendet. Die Stadt war erschöpft und ausgeblutet nach Revolution und Bürgerkrieg „und Blok versuchte beharrlich, Wasser in Wein zu verwandeln“.

Zamjatins „Erinnerungen an Blok“ konnten in der Sowjetunion 1924 noch erscheinen, waren allerdings vermutlich der Grund für die Einstellung der Zeitschrift „Der russische Zeitgenosse“.

1929, als das Mitglied des Politbüros Nikolaj Bucharin wegen „Rechtsabweichung“ seine politischen Ämter abgeben musste, verschärfte sich das kulturpolitische Klima auch gegenüber Schriftstellern wie Boris Pilnjak oder Evgenij Zamjatin. Maksim Gorkij verfügte noch über die notwendigen Kontakte zur Staatsmacht, um Zamjatin 1931 die Ausreise nach Frankreich zu ermöglichen. Längst hatten sich Zamjatins Befürchtungen bewahrheitet.

Titelbild

Evgenij Zamjatin: Ich fürchte. Essays 1919-1921.
Übersetzt aus dem Russischen von Peter Urban.
Friedenauer Presse, Berlin 2011.
31 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-13: 9783932109676

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