Freiheit statt Kapitalismus oder Freiheit des Kapitalismus?

Über Sahra Wagenknechts Buch „Freiheit statt Kapitalismus“

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Quintessenz von Sahra Wagenknechts „Freiheit statt Kapitalismus“, nämlich: mehr Staat im Wirtschaftsgeschehen zur Anhebung des gesellschaftlichen Allgemeinwohls und zur Kontrolle von unproduktiven und an reinem Eigenprofit orientierten Familiendynastien, resultiert vermutlich aus einem politisch-gesellschaftlichen Sozialisierungsprozess, obwohl gerade das Thema der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR peinlich genau verschwiegen wird. Wagenknecht betont in ihrer Analyse das Primat des Staates vor dem der Familie, was die gesellschafts- und ordnungspolitischen Ansichten der DDR im Unterschied zu denen der BRD widergibt. Galt in der DDR das Kollektiv als primäres Gut, so in einer liberal orientierten Gesellschaft wie der BRD die Familie. Man sollte jedoch nicht den biografistischen Fehlschluss begehen und Wagenknechts Geringschätzung der Familie hinsichtlich der ökonomischen und gesellschaftlichen Motivation aus ihrem Lebenslauf heraus erklären – auch wenn es dafür auf den ersten Blick Anhaltspunkte gäbe.

Unabhängig vom politischen Standpunkt kommt man nicht umhin, der Autorin Respekt für eine scharfsinnige Wirtschaftsanalyse, einen geschliffenen Stil und ein hohes Maß an Intellektualität zu zollen. Wagenknecht rekonstruiert kongenial zahlreiche Wirtschaftstheorien unterschiedlicher Provenienz und vermag mit ihnen kunstvoll zu jonglieren.

An manchen Stellen reibt sich der Leser verwundert die Augen und fragt sich, ob er tatsächlich ein Werk der als kommunistische Hardlinerin gefürchteten Abgeordneten der Partei „Die Linke“ liest. Unter Verweis auf die wirtschaftspolitischen Gründungsväter der Bundesrepublik wie Erhard und Müller-Armack macht Wagenknecht deutlich, dass der Staat und die Politik eine stärkere Rolle im Wirtschaftsgeschehen besitzen muss, um größeres Allgemeinwohl zu verbürgen, das insbesondere durch die Profitgier und das Zocker-Verhalten der Banken gefährdet ist.

Nun sind die Zeiten seit Gründung der BRD andere geworden und Wagenknecht erweitert das „back to the roots“-Plädoyer durch den so genannten kreativen Sozialismus. Leider bleiben in diesem Teil des Buches, der ja eigentlich das Herzstück der Analyse sein sollte, die Ausführungen seltsam unterspezifiziert und lassen die ansonsten vorhandene Trennschärfe vermissen. Vielmehr kritisiert Wagenknecht in diesem Teil weiter vehement die Tendenzen des Neoliberalismus, ohne dabei in der Lage zu sein ein konkretes theoretisches Gegenmodell zu entwerfen. Dies scheint eine „linke“ Schwäche zu sein, denn zwar mag die scharfsinnige Analyse bestimmter Kritikpunkte zutreffend sein, aber man ist nicht in der Lage, einen positiven Gegenentwurf zu konstruieren.

Einige wenige Anhaltspunkte für ein Gegen-Wirtschaftsmodell lässt sie dennoch anklingen: Verstaatlichung zentraler Wirtschaftsbereiche – Verstaatlichung jeglichen Familienvermögens ab 1 Million Euro im Falle der Vererbung – Staatliche Kontrolle des gesamten Finanz- und Bankensektors – Erhöhung der Produktqualität in der Breite zur Ressourcenschonung – Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Hier fehlt die einheitliche theoretische Linie. Einerseits gilt der Staatssozialismus Chinas als Vorbild, andererseits sollen kleine Start-up-Unternehmen mit innovativen Ideen gefördert werden. Mit Forderungen der 100%-Besteuerung von Familien-Erbschaften mag man bei der Hartz-IV-Empfänger-Klientel punkten, der gesellschaftliche Nutzen dieser Maßnahme mag aber bezweifelt werden; vermutlich auch von der Autorin selbst.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass „Freiheit statt Kapitalismus“ auf dem Missverständnis basiert, dass die Politik unter dem Primat des Finanzkapitals stünde. Vielmehr gilt nach wie vor, dass die Politik ein Parameterset errichtet, in welchem die Wirtschaft zu agieren hat. Ist es darüber hinaus nötig, in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen, so tut dies der Staat auch, wie die Bankenrettungs-Aktionen und Aktivitäten bezüglich des Euro-Rettungsschirms deutlich belegen. Insofern müsste das Buch zutreffender „Die Freiheit des Kapitalismus“ heißen. Dass diese Freiheit von der typischen Wählerschaft Wagenknechts nicht nur als positiv empfunden wird, versteht sich beinahe von selber. Ob ein kreativer Sozialismus aber eine tatsächliche Verbesserung der Lebensqualität dieser Wählerschaft bedeuten würde, darf an dieser Stelle bezweifelt werden.

Titelbild

Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
365 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783821865461

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