Die Drei Kritiken

Robert Gernhardts nachkantische Komik-Kritik

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zweihundert Jahre nach Erscheinen der dritten und letzten großen Kritik Immanuel Kants, der "Kritik der Urtheilskraft" (Berlin 1790), hat Robert Gernhardt 1988 seine "Drei Kritiken" vorgelegt, die "Kritik der Komiker", die "Kritik der Kritiker" und die "Kritik der Komik". Die Neuausgabe seiner augenzwinkernden Anspielung auf Kant, den wohl kein Zeitgenosse jemals lachen sah, ist für Gernhardt-Fan und für jeden, der sich mit Komik und Komik-Theorie beschäftigt, ein unbedingtes Muss. Denn Robert Gernhardt ist in seinem kritischen Tun immer auch komisch; er will überrumpeln, überwältigen und lachen machen, er zielt hoch, um in die Klötze zu treffen, er hat Lust am Komischen, und diese Lust überträgt sich auf seinen Leser. Man merkt es jeder Glosse, jeder Buch- oder Filmkritik, jedem sorgfältig ausgewählten "Lieblingswitz", jeder Anekdote oder auch der Kollegen- und Kritikerschelte an, dass hier jemand schreibt, um der komischen Sache zu dienen.

Robert Gernhardt war zehn Jahre lang der Hauptverfasser der unter dem Namen "Hans Mentz" laufenden Humor-Kolumne des Satiremagazins "Titanic". Das Hans-Mentz-Konterfei, das Monat für Monat ebendort abgedruckt wird, stellt übrigens niemand anderen dar als Theodor W. Adorno (mit Ziegenbart). Womit wir wiederum bei der Philosophie wären, zumal bei der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, und Gernhardt gehört als Mitglied der Neuen Frankfurter Schule zum Kreis derer, die in der Tradition dieser Theorie, aber mit ganz eigenen, sprich komischen Mitteln, deren Aufklärungsarbeit fortsetzen wollen. Ohne Häme und Menetekel, dafür "ernsthaft" im Sinne von munter, engagiert und kenntnisreich, souverän, unkompliziert und informativ hat er in der Mentz-Rubrik - jahrelang federführend und koordinierend - zahllose Einzelkritiken geschrieben, die sich in der nun vorliegenden Sammlung als eine Poetik des Komischen lesen lassen. Was aber leistet diese Komik-Kritik?

"Sie teilt mit, dass es ein - in diesem Fall komisches - Produkt gibt. Sie versucht, das Produkt zu benennen. Sie erinnert sich: Gab es dergleichen anderswo? Sie versucht, die angestrebte Wirkung herauszufinden und stellt einen Bezug her zwischen dem Gewollten und dem Erreichten. Sie wertet, rät zu oder rät ab - sie, die Komik-Kritik verfährt also genau so wie andere Kritik auch: Sie gibt sich nicht zufrieden mit der schieren Wirkung [...], sondern nimmt die Anstrengung auf sich, nach den Gründen zu fragen." Mit Lubitsch fragt sie weiter: "Wie wurde das bisher erzählt? Wie kann man es anders erzählen? Wie kann man es besser erzählen?"

Alle Arbeiten stammen aus einer Zeit, als ihr Verfasser noch ausschließlich auf Komik aus war. Quasi mit allen Fasern seines Daseins hat er Komik produziert und kritisiert, sie ermuntert und begleitet. Deshalb sind auch Briefe in diese Sammlung eingegangen, etwa an Eckhard Henscheid, der kritischen Begleitschutz für seinen ersten Roman "Die Vollidioten" bekommt. Als Komik-Produzent ist Gernhardt zum Komik-Kritiker geradezu prädestiniert. Es ist eben ein Glücksfall, wenn Leute vom Fach und von Verstand zur Sache gehen: so, wie Truffaut einen Hitchcock analysiert hat oder Alfred Polgar einen Charles Chaplin, so analysiert Gernhardt seinen Wilhelm Busch, seinen Robert Crumb oder seinen Loriot. Er hat sich viele Jahre lang an internationalen Komik-Standards orientiert und sie bald schon mitformuliert, er hat erleben dürfen, wie seine besten Arbeiten Volksgut geworden sind, seine Urteilskraft kann ermessen, ob etwas "alter Hut", Plagiat oder originäre Neuschöpfung ist, er kennt die Ursprünge des Komischen in der Malerei (von Barlach über Bernini, Burne-Jones, de Chirico, Feininger, Goya, Juan Gris, Klee, Manet, Monet, Nolde, Picasso bis hin zu Dante Gabriel Rossetti), in der Zeichnung (von Wilhelm Busch über Daumier, André François, Olaf Gulbransson, Th. Th. Heine, Maurice Henry, Adolf Oberländer bis hin zu Saul Steinberg), er kann sogar einige sehr seltene Beispiele für die komische Plastik nennen (Peter Fischli, David Weiss). Die ganz große Bandbreite der Namen und Sachtitel gibt uns Gelegenheit, den Haffmans-Verlag für sein schönes, nicht ganz lückenloses Register zu loben.

Das Komische ist für Robert Gernhardt mit Lachen korreliert, er hat nach Gründen für das Lachen bzw. für dessen Ausbleiben gesucht und eine "Feldtheorie der Komik" formuliert. Er hat sich die naheliegende Frage gestellt, weshalb bei uns das Komische so schlecht angesehen ist, weshalb immer nach dem sittlichen Wert oder dem ästhetischen Rang des Objekts gefragt werden muss, wenn einfach nur das lustbetonte Lachen intendiert ist.

"Der Komiker", so lautet einer der Befunde, "ist gemein und macht sich gemein." Sein Rezipient lässt sich verführen, empfindet dann jedoch Scham, weil seine Affektkontrolle nicht funktioniert und er womöglich unter seinem Niveau gelacht hat. Man hat sich gehen lassen, ist peinlich berührt und muss - kalt und rational - nach einer Legitimation für den Ausrutscher suchen. "Es gibt kein niveauvolles Lachen", sagt Gernhardt, und der Verlust der Selbstkontrolle will schwer gebüßt sein - dem Lachen folgt die Strafe auf den Fuß. All das läuft mehr oder weniger unbewusst ab und ist das Ergebnis einer fast stereotyp ablaufenden Individuation. Bei "jungen Menschen" ist, laut Robert Gernhardt, die Lachlust noch ungetrübt, man kann ihnen - per "Sesamstraße" - selbst die ewig und grundlos lachende Lilo Pulver (fehlt im Index) vorsetzen, ohne dass sie irritiert wären und die unerforschlichen Quellen dieser Lachlust ergründen wollten, doch wenn der Ernst des Lebens beginnt, nimmt die Bereitschaft ab, sich verführen zu lassen, es sei denn, dass sich ein höheres ethisches Ziel damit verknüpfen ließe.

Zum Schluss sei an dieser Stelle noch ein "Lieblingswitz" kolportiert, um den Leser wenigstens einmal aus der Reserve zu locken und für seine Geduld zu belohnen: "Wie viele Inseln gibt es im Ägäischen Meer, und wie heißen sie?" - "Es gibt viele Inseln im Ägäischen Meer, und ich heiße Robert Gernhardt."

Titelbild

Robert Gernhardt: Was gibt´s denn da zu lachen?
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 2000.
496 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3251004921

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