Schluss mit Aura

Hans-Michael Koetzle stellt ein Fotografen-Kompendium vor und versteht es als Pantheon der Fotografie. Und was folgt daraus?

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch die Aufschlüsselung einer Kunstform, deren wichtigste Repräsentanten aus den konkreten und profanen Anwendungen kommen, wird über ihre Autorinnen und Autoren unternommen. Fotografen-Lexika gibt es deshalb bereits einige, Hans-Michael Koetzle und Reinhold Mißelbeck haben sich 2002 an einem solchen Lexikon versucht. Mit unterschiedlichem, wenngleich in beiden Fällen vorzeigbarem Ergebnis.

Nun legt Koetzle mit einem großformatigen und repräsentativen Band bei Taschen nach, in dem er eine Art Pantheon der Fotografie zusammengestellt haben will. Alles, was in der Geschichte der Fotografie des 20. Jahrhunderts Rang und Namen hat, das heißt erwähnenswert ist, soll demnach in diesem Band, der den selbstgewissen Titel „Fotografen A-Z“ führt, aufgenommen sein. Es sind rund 380 Fotografen, die in der Regel auf zwei, in wenigen Fällen auf vier Seiten vorgestellt werden.

Als Aufmacher druckt Koetzle den Titel eines Fotobuchs, gelegentlich einer Zeitschrift, der eine oder zwei exemplarische Abdrucke aus dem Innenteil folgen. Den Abbildungen sind neben den bibliografischen Angaben eine Kurzbiografie des Fotografen, eine Auswahl der wichtigsten Ausstellungen und Publikationen und ein wohl für den Fotografen und sein Werk als typisch empfundenes Zitat beigegeben.

Die Fokussierung auf die gedruckte Werkbiografie begründet Koetzle mit der engen Beziehung der Fotografie mit dem Buchdruck und den Illustrierten, wobei der Schwerpunkt bei den Fotobüchern liegt. Kein Lexikon der Reportagefotografie also, sondern eines der Kunstfotografie, die eben auch gelegentlich Reportageeigenschaften aufweisen darf. Die Grenzen sind auch in der Alltagspraxis fließend, jedenfalls fließender als in der Bildenden Kunst, die sich von ihrem Praxisteil, dem Design, deutlicher abgrenzt. Was letzteren nicht daran hindert, fröhlich dem eigenen Geniekult zu huldigen.

Ein deutlicher Schwerpunkt liegt auf dem frühen 20. Jahrhundert, in der die Fotografie sich als Kunstform durchsetzte, wobei die Gegenwartsfotografie keineswegs unterrepräsentiert ist. Aber dem Bewertungsproblem, das die Zeitgenossenschaft mit sich bringt, entgeht man gut genug, wenn man sich aufs Gesicherte verlegt und von den Unsicheren nur einige Kandidaten weniger präsentiert. Allerdings wäre auch eine weitere Ausdünnung bei den Fotografen des frühen 20. Jahrhunderts kaum möglich gewesen. Und so wird man mit der Auswahl einigermaßen zufrieden ein können, zumal sie wunderbarer Weise als eine Art Orientierungshilfe, zur Not auch Einkaufsliste dienen kann, wenn man sich denn auf die Fotografie als Thema oder gar Sammelgebiet verlegt.

Damit wird der Fokus allerdings zugleich weg vom Originalabzug des Fotografen, dem vintage print, hin zum gedruckten Foto im weitesten Sinne befördert. Nun gilt die Fotografie sowieso als eher preiswerte Möglichkeit, in die Kunstsammlerei einzusteigen, die Orientierung auf das Fotobuch würde dies noch weiter erleichtern, da das Fotobuch generell kaum einmal die Schmerzgrenze von 1.000 Euro übersteigt. Der Katalog einer Fotobuchauktion im September 2011 bei Bassenge in Berlin blieb in der Regel sogar deutlich darunter, auch bei renommierten Fotografen: Blossfeldts „Urformen der Kunst“ für 270 Euro? Riefenstahl für 220 Euro? Wem das Heroische gefällt. Bernd und Hilla Bechers „Anonyme Skulpturen“ für 900 Euro ist da schon teuer. Aber auch das lässt man sich schon einmal gefallen, zumal ein Abzug Blossfeldts, Riefenstahls oder der Bechers nur in einer anderen Preisklasse zu finden ist. Die aber ist mit der der Bildenden Künstler derselben Zeit und desselben Renommees nicht zu vergleichen. Für Blossfeldt muss ich sparen, Schwitters kann ich mir nicht leisten.

So gesehen ist Koetzles „Fotografen A-Z“ eben nicht nur eine hübsch aufgemachte Präsentation einer ganzen Reihe von guten Fotografinnen und Fotografen, der Band ist – gegen seine Aufmachung und Selbstpositionierung – auch ein Plädoyer für die Fotografie in ihrer Alltagspraxis, im Druck, im Buch und in der Zeitschrift. Er plädiert für einen unaufgeregten, wenn auch respektvolle Umgang mit der Fotografie, die im 20. Jahrhundert zu einer der zentralen Vermittlungsmedien geworden ist. Er plädiert eben auch für weniger Aura und für mehr Aufmerksamkeit für den Wert der Reproduktion. Nicht dem alleinstehenden Werk, sondern dem Werk in seiner Reihung, in der Vervielfältigung und in seinem profanen Niederschlag gehört die Aufmerksamkeit dieses Bandes.

Und auch wenn Koetzle und Verlag sich die größte Mühe geben, ihre Fotografen möglichst repräsentativ und schön, ja auratisch zu präsentieren (sogar der „Fotograf des Führers“ Heinrich Hoffmann bekommt eine gut anzuschauende Seite zugestanden), sie fördern vor allem die weitere Entauratisierung der Fotografie als Kunst. Das wird nicht ohne den Versuch einer auratischen Wiederaufladung abgehen, aber dennoch: Die demokratische Kunstform Fotografie findet gerade in solchen Präsentationen zu ihrem Kern. Dafür braucht es nicht viel Text und es ließen sich auch die lästigen Zitate streichen. Dafür reichen Bilder.

Titelbild

Hans-Michael Koetzle: Fotografen A-Z.
Taschen Verlag, Köln 2011.
439 Seiten, 49,99 EUR.
ISBN-13: 9783836511070

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