Der imaginierte Raum der Rumänen

Die Romanisten Klaus Bochmann und Heinrich Stiehler haben eine konzise Einführung in die Geschichte rumänischer Sprache und Literatur geschrieben

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die rumänische Sprache und Literatur wird oft zu den „kleinen“ gezählt, wobei dieses eher fragwürdige Epitheton in diesem Falle besonders wenig aussagekräftig ist. Drückt sich in dieser Qualifizierung nicht lediglich die Überheblichkeit desjenigen aus, der sie ausspricht? Andererseits verweist Heinrich Stiehler darauf, dass die rumänische Literatur selbst zahlreiche Äußerungen bis hin zu dem Dramatiker Eugen Ionescu kennt, die aus einer Art Inferioritätskomplex heraus die eigene Kultur als „klein“, „unbedeutend“ und „verachtet“ beschreiben. Wie auch immer – die Kenntnis der spezifischen rumänischen Kultur ist im deutschen Kulturbetrieb recht begrenzt. Im universitären Bereich in Deutschland erschien, wie die Autoren des Bandes festhalten, seit 1967 „kein sprach- und literaturwissenschaftliches Kompendium für Studentinnen und Studenten der Rumänistik mehr“. Höchste Zeit also, ein solches vorzulegen.

Der renommierte Leipziger Romanist Klaus Bochmann – unter anderem  Herausgeber der „Quaderni del carcere“ (Gefängnishefte) Antonio Gramscis – und der Wiener Literaturwissenschaftler Heinrich Stiehler – seinerseits Autor einer Panait Istrati-Biografie und Herausgeber einer deutschen Übersetzung der Werke Istratis – haben sich der gestellten Aufgabe konzise und kenntnisreich entledigt. Bochmann behandelt die faszinierende Sprachgeschichte des Rumänischen, die eng mit der Geschichte der Bevölkerungsentwicklung an der unteren Donau verbunden ist. Er zeichnet die Diskussionen um die Frage nach, wo das Rumänische entstand und inwiefern diese Frage mit der Herausbildung der rumänischen Nation zu tun hat. So reicht die Tatsache, dass das Römische Reich seinen Einfluss ausübte, allein nicht aus, um die gesamte Sprachentstehung des auf lateinische Basis zurückgehenden Idioms zu erklären. Auch die Politisierung dieser Diskussion im Nationalkommunismus Ceauşescus kommt hier zur Sprache. Man versteht, warum das Rumänische für Linguisten besondere Anziehungskraft besitzt, wenn man die Diskussionen um die möglichen Einflüsse durch die anderen balkanischen Sprachen oder eine möglicherweise vorher vorhandene thrakische Substratsprache verfolgt. Ebenso sind die Fragen nach dem Dialekt oder der eigenen Sprache des Istrorumänischen, Aromunischen und Meglenorumänischen von großer Relevanz in der linguistischen Diskussion. Aus dieser Perspektive spielen in der Linguistik des Rumänischen auch Periodisierungsfragen eine wichtige Rolle.

Die größten Einschnitte bildeten in der Moderne der Wechsel von der kirchenslawischen Schrift zur lateinischen und die Orientierung an westlichen Sprachen wie dem Französischen, die das Rumänische im Zeitalter der Nationalstaatsbildung nach jahrhundertelanger Oberhoheit durch das osmanische Reich wieder stärker zu einer romanischen Sprache machten. (Es finden sich heute immer noch eine große Zahl an türkischen Lexemen, vor allem im Bereich des Kulinarischen und Alltagslebens.) Durch Bochmanns Anlage einer an den Sprechern orientierten Sprachgeschichte werden die spannenden Beziehungen zwischen der Sprache und der soziografisch-politischen Entwicklung sehr plastisch.

Der bei Bochmann impliziten Problematisierung der räumlichen Situierung des Rumänischen gibt Heinrich Stiehler durch die Frage nach der möglichen Abkoppelung der rumänischen Literatur von ihrer Sprache eine eigene Wendung. Seine Darstellung der literarischen Entwicklung setzt mit einer Reflexion über den Raum ein, die dessen Einheitlichkeit in Frage stellt und ähnlich Bochmann die in der rumänischen Geschichte nicht seltenen Grenzveränderungen und Migrationen thematisiert. Kritisch gegenüber einigen Aspekten der rumänischen Eigensperspektive entwickelt Stiehler eine offene Skizze der Literaturgeschichte, in der die Sicht auf die osmanischen, griechischen, russischen und schließlich französischen und deutschen Einflüsse als Spezifikum der Geschichte der rumänischen Literatur deutlich hervortreten. Ausgehend von den Mythen und Märchen der mittelalterlichen Frühzeit („Mioriţa“ und „Meşter Manole“) als oralen Formen der Literatur beschreibt Stiehler knapp die Verschriftlichungsprozesse an ausgewählten Beispielen (von 1559 ist das erste in rumänischer Sprache gedruckte Buch überliefert – in kirchenslawischer Schrift.) Ein Brief aus der transkarpatischen Moldau an den deutschen Bürgermeister von Braşov (Kronstadt) 1521 zählt zu den frühen Zeugnissen der rumänischen Sprache und ihrer Gestaltung – interessanterweise im Spannungsfeld der protestantischen Reformation, die sich bei den Siebenbürger „Sachsen“ durchsetzte. In ihr war auch der erste Drucker, der Diakon Coresi in Braşov, aktiv.

Die Literarisierung machte sich dann zunehmend auch außerhalb von Kirche und Verwaltung bemerkbar. Stiehler führt die sich abzeichnenden literarischen Bewegungen und Haltungen in einer bewegten und vielgestaltigen, oft von „außen“ (Aufklärung, Liberalismus, Nationalidee) beeinflussten Geschichte bis ins 20. Jahrhundert, wo mit der Beschreibung des rumänischen Exils am Ende der kommunistischen Ära die Darstellung abbricht. Entscheidende Funktion für die Moderne – die rumänische Avantgarde kommt hier möglicherweise etwas kurz – wird dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Topos von der rumänischen identitären Zerrissenheit und dem Ungenügen an hohen Ansprüchen zugeschrieben, wonach die rumänische Kultur zwischen Nachahmung und verschütteter Originalität sich zermartere. (An diesem von dem ,Nationaldichter‘ Eminescu und der literarischen Gesellschaft „Junimea“ mit dem Präzeptor Titu Maiorescu im 19. Jahrhundert begründeten Topos von den „Formen ohne Grund“ ist später allerdings ein gutes Maß an Koketterie nicht zu übersehen.) Es ist erstaunlich, den Wechsel der literarischen Bewegungen und Texturen zu verfolgen, aber ebenso, wie lange sich einige der frühen Selbstbeschreibungen bis heute erhalten haben.

Nicht nur durch die Bezugnahme beider Autoren dieser knappen, aber reichhaltigen Einführung auf Vorgänge der Verschriftlichung und die rumänische Betonung einer eigenständigen Kultur ergeben sich willkommene thematische Überschneidungen, die beide Buchteile miteinander verweben. Der Band erfüllt damit seine Funktion einer Heranführung an die rumänischen Sprach- und Literaturentwicklungen aufs Beste. Weiterhin veranschaulichen eine Reihe von Landkarten im Anhang den räumlichen Bezug der Darlegungen vor allem in der linguistischen Abteilung.

Titelbild

Klaus Bochmann / Heinrich Stiehler: Einführung in die rumänische Sprach- und Literaturgeschichte.
Romanistischer Verlag Dr. Hillen, Bonn 2010.
263 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783861431916

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