Interregnum

Große Krisen im Vergleich

Von Frank DeppeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Deppe

1.

In den Jahren 2008/2009 – als die Immobilienkrise sich zur Weltfinanzkrise steigerte und die Lehman Brothers Bank am 15. September 2008 in die Insolvenz ging – stand der globale Finanzmarktkapitalismus am „Rande des Abgrunds“.

Im „Wall Street Journal“ wie in der „FAZ“ wurden sogar mit der Frage gespielt, ob der Kapitalismus – der noch Anfang der 1990er-Jahren des vergangenen Jahrhundert als der große „Sieger der Geschichte“ gefeiert worden war – nicht doch in ein krisenhaftes Endzeitstadium eingetreten sei. Die verbliebenen Intellektuellen der marxistisch orientierten Linken konnten kaum ihre Triumphgefühle zügeln[1]. Vielfach wurde davon gesprochen, dass sich das Zeitalter des Neoliberalismus verabschiedet habe, dass nunmehr die sozialen und politischen Konflikte in den Vordergrund treten, dass der Klassenkampf an Intensität gewinnen und die Linke eine neue historische Chance (wie „Phönix aus der Asche“, so ein Titel in der Zeitschrift „Monthly Review“) erhalten wird. Nur zwei Jahre später waren  solche Hoffnungen durch einen nüchternen Blick auf die Verhältnisse gezügelt. Zumal in Deutschland weidet sich die herrschende Meinung (die, wie Karl Marx früh erkannte, die Meinung der Herrschenden ist) geradezu in Glücksgefühlen: die Krise sei vorbei, hieß es; der Aufschwung (plus 3,7 % für 2010) und die Entwicklung der Beschäftigung (weniger als 3 Mio.- Arbeitslose) galten bereits als ein neues „Wunder“.

Gleichwohl sind sich die Experten einig, dass die Krise, die 2007 begann, keineswegs überwunden ist. Sie verläuft nur anders, als es 2008 noch erwartet wurde. Als globale Krise verläuft sie höchst ungleichzeitig und ungleichmäßig: während die Schwellenländer (BRIC-Staaten), allen voran die VR China, schnell zu hohen Wachstumsraten zurückgekehrt sind und davon wiederum Deutschland als Exportökonomie profitiert, gelingt es den USA – nach wie vor Zentrum und Motor des globalen Finanzmarktkapitalismus – nicht, aus der Stagnation und der Arbeitsmarktkrise herauszukommen und sich von den Fesseln einer gigantischen Schuldenökonomie zu befreien. Erst jetzt kommt die Krise in der Gesellschaft an: das Volk muss für die Schulden haften und mit der Austeritätspolitik müssen weitere Einschnitte bei den Sozialleistungen sowie bei den öffentlichen Leistungen (etwa in den Kommunen) hingenommen werden. Gleichzeitig geraten immer mehr Staaten als Folge ihrer Überschuldung – auch innerhalb der Europäischen Union (EU) – an den Rand der Zahlungsfähigkeit. Die Kreditaufnahme auf den Kapitalmärkten durch die Regierungen der  (fast) „failed states“ wird zum Spekulationsobjekt der Finanzmärkte.

Die Programme zur Rettung durch (EU und IWF) drücken diese Länder weiter in die Armut und Stagnation, reproduzieren neue Konflikte innerhalb der EU (vor allem die Kritik an der Position und dominanten Rolle von Deutschland). In Osteuropa und Südosteuropa (ganz zu schweigen von den klassischen Armutsregionen an der Peripherie und in den Slums der Megastädte) hat sich im Gefolge der Krise (und der Austeritätspolitik) die Armut weiter ausgebreitet. Die Sanierung der Banken und des Finanzsektors durch die Regierungen hat die Bedingungen dafür geschaffen, dass dort wieder „Business as Usual“ betrieben wird. Damit wächst gleichzeitig die berechtigte Angst vor neuen Spekulationskrisen und einem erneuten Einbruch der Weltkonjunktur.

Für die Linke haben diese beiden Jahre die – für einige höchst enttäuschende – Erkenntnis vermittelt, dass  a) das Krisenmanagement der Regierungen kurzfristig relativ erfolgreich war, und dass b) die politischen Reaktionen auf die Krise (zum Beispiel bei den Wahlen) in vielen Ländern eher nach rechts als nach links tendieren. Der neue Rechtspopulismus, der überwiegend aus der „Angst (der Mittelklasse) vor dem Absturz“ gespeist wird, leitet die Ängste und die Erfahrung  sozialer Unsicherheit bei den breiten Massen der lohnabhängigen Bevölkerung in rassistische Aggressionen gegen „Ausländer“ (Migrantinnen und Migranten, vor allem aus der islamischen Welt) um. Die Hoffnung auf eine Linksverschiebung (die sowohl die politische Kontrolle über den Finanzsektor zurückgewinnt als auch eine Umverteilung von oben nach unten einleiten könnte) wurde mit der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten der USA (2009) kurzfristig gestärkt. Inzwischen haben die Erfolge der Tea Party Bewegung und des rechten Flügels der Republikaner solche Hoffnungen zerstört[2].

Mit anderen Worten: die Krise ist längst nicht bewältig. Es handelt sich vielmehr um eine jener „Großen Krisen“, die im Kontext länger andauernder Stagnationsperioden („lange Wellen“ mit stagnativer Grundtendenz) stehen und in denen sich gleichzeitig eine bestimmte historische Formation des Kapitalismus erschöpft[3]. Im 20. Jahrhundert gehört dazu die Weltwirtschaftskrise nach 1929, sowie die Fordismus-Krise der 1970er-Jahre (das Ende des „Golden Age“). Diese zeichnen sich – wie die Regulationstheorie formuliert – dadurch aus, dass die Kohärenz von Akkumulationsregime und Regulationsweise, die für die vorangehende Prosperitätsperiode charakteristisch war, sich auflöst. Der Übergang zu einer neuen Formation hängt von mehreren Variablen ab: Profitrate im produktiven Sektor, neue Technologien (Produktivkraftentwicklung) auf der einen, Rolle des Staates – aber auch die Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen im Ergebnis des Klassenkampfes (und dabei wiederum die Rolle beziehungsweise Transformation des Staates in diesen Auseinadersetzungen). Diese niemals exakt zu prognostizierende politische Dimension der Großen Krisen wird noch dadurch verstärkt, dass sich in ihnen die Machtgewichte innerhalb des Weltmarktes und der Weltpolitik verschieben. Diese Prozesse, die sich oftmals über längere Zeiträume –  gleichsam unter der Oberfläche  der bestehenden Machtkonstellationen – entwickeln, führen zu zwischenstaatlichen Konflikten  beziehungsweise zu offenen Machtauseinandersetzungen zwischen Staatenblöcken – mit enormen Rückwirkungen auf die Innenpolitik[4].

2.

In der Geschichte des modernen Sozialismus und Marxismus – vor allem in der II. und III. Internationale – ist die von Marx nachgewiesene Tendenz der kapitalistischen  Produktionsweise, periodisch  Überakkumulationskrisen zu reproduzieren, immer wieder als Zusammenbruchstendenz, als Ausdruck der historischen Schranken der kapitalistischen Produktionsweise („letztes Stadium“) sowie als Ursache für die Radikalisierung des Klassenkampfes  („Todeskrise“) gedeutet worden[5]. In der neuesten Ausgabe des Socialist Register 2011 eröffnen Leo Panitch und Sam Gindin ihren Beitrag zu „Capitalist Crisis and the Crisis this Time“ mit einem Hinweis auf die Korrespondenz zwischen Marx und Engels während der „Großen Krise“ im Jahre 1857/58, als Marx „die amerikanische Krise – von uns … 1850 vorhergesagt“ – als „beautiful“ bezeichnete (MEW 29: 198)[6]. Die Gründe für immer wiederkehrende historische Fehleinschätzungen der Großen Krisen sehen Panitch und Gindin vor allem darin, dass diese ökonomistisch beschränkt blieben und meist die Rolle des Staates – nicht nur für die Reproduktion des Kapitals im allgemeinen, sondern insbesondere für die Bearbeitung der Großen Krisen – ignorierten. Diese Mängel auf dem Gebiet der marxistischen Staatstheorie – allgemeiner der politischen Theorie des Marxismus (auf die schon in den 1970er-Jahren Ralph Miliband aufmerksam machte[7]) – erklären zum Teil politische Fehleinschätzungen der politischen Kräfte der Arbeiterbewegung.

Dennoch, die Großen (oder die strukturellen) Krisen sind immer auch „Wendepunkte“, Momente eines Übergangs zum „Neuen“, der seinerseits in hohem Maße von der Fähigkeit der kapitalismuskritischen Kräfte abhängt, nicht nur die Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu artikulieren, sondern auch die Massen für das Programm einer sozialökonomischen und politischen Alternative zu mobilisieren.

Antonio Gramsci – immerhin Vorsitzender einer kommunistischen Partei der III. Internationale – setzte sich nach 1926 im Gefängnis  mit der Erfahrung vom zwei Krisen auseinander: mit der revolutionären Nachkriegskrise (1917–1923), die mit dem Sieg des Faschismus in Italien endete, und (jetzt im Kerker, als härteste Konsequenz dieser Niederlage) mit der Weltwirtschaftskrise nach 1929, die in Deutschland mit dem Sieg des Faschismus (Gramsci spricht vom „Cäsarismus“)  endete. Er wendet sich gegen deterministische und ökonomistische Krisendeutungen. Jede Krise ist in komplexe historisch-politische Zusammenhänge eingebettet. „Es wird nötig sein, jeden zu bekämpfen, der eine einzige Definition dieser Ereignisse geben oder, was dasselbe ist, eine einzige Ursache oder einen einzigen Ursprung finden will. Es handelt sich um einen Prozess mit vielfältigen Erscheinungsformen“. Dann weist er darauf hin, dass die Weltwirtschaftskrise, die 1929 in den USA mit dem Zusammenbruch der Banken einsetzte, im Zusammenhang der „Nachkriegskrise“ gedeutet werden muss[8].

Die Krise bietet stets die Chance für die Reorganisation des „herrschenden Blockes“ beziehungsweise für eine „passive Revolution“, das heißt für ökonomische, gesellschaftliche Umwälzungen, um die Herrschaft des Kapitals und der Bourgeoisie neu zu stabilisieren. Der herrschende Block reagiert damit a) auf die Widersprüche der Kapitalakkumulation, die die Krise hervorgebracht haben, und b) auf das Kräfteverhältnis der Klassen, das in den sozialen und politischen Kämpfen um die Überwindung der Krise zum Ausdruck kommt. In diesem Sinne bilden die Großen Krisen Wendepunkte in der Geschichte der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Gramsci spricht von einer „Autoritätskrise“ beziehungsweise von einem „Interregnum“: „Wenn die herrschende Klasse den Konsens verloren hat, d.h. nicht mehr ‚führend‘, sondern einzig ‚herrschend‘ ist , Inhaberin der reinen Zwangsgewalt, bedeutet das gerade, dass die großen Massen sich von den traditionellen Ideologien entfernt haben, nicht mehr an das glauben, woran sie zuvor glaubten usw. Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen“. Der „Tod der alten Ideologien“, so fügt er hinzu, eröffnet zugleich günstige Bedingungen für die „unerhörte Ausbreitung des historischen Materialismus“[9]. An anderer Stelle bezeichnet Gramsci die Autoritätskrise („organische Krise“) als „Hegemoniekrise oder Krise des Staates in seiner Gesamtheit“. Angesichts der „tödlichen Gefahr“ (das wäre die proletarische Revolution) schließen sich alle Parteien und Gruppen des (alten) herrschenden Blocks „unter einer einzigen Führung“ zusammen, „die als einzige für fähig gehalten wird, ein existentiell dominantes Problem zu lösen und eine tödliche Gefahr anzuwenden“. In diesem Zusammenhang verweist Gramsci auf den „18. Brumaire des Louis Bonaparte“ von Marx, also auf den Zusammenhang von Bonapartismus und Faschismus[10].

Von Gramsci ist mithin zu lernen, dass es keinen Mechanismus gibt, der die ökonomische Strukturkrise des Kapitalismus in eine revolutionäre Krise überführt. Im Gegenteil, solche Krisen beinhalten stets auch die Möglichkeit der „passiven Revolution“, das heißt der Reorganisation bürgerlicher Herrschaft, zum Beispiel. auf der Basis einer Neubestimmung des Verhältnisses von Markt und Staat. Allerdings weisen alle Großen Krisen gemeinsame Strukturmerkmale auf: „strukturelle Überakkumulation“ (David Harvey)[11], Strukturkrisen in bestimmten Branchen (etwa der Bergbau, oder der Textil- und Automobilindustrie); Landwirtschafts- und Ernährungskrise; spekulative Aufblähung des Immobilien- und Finanzsektors als „Vorgeschichte“ der Großen Krise; die Tiefe des Einbruchs beim Wirtschaftswachstum; der Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und der Massenarmut und so weiter In allen Krisen werden – entsprechend den Interessen der Kapitalbesitzer und Vermögenden – die Folgen und die Kosten der Krise überwiegend auf die Arbeitklasse und die Mittelklasse abgewälzt.  Gleichzeitig spitzt sich die Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten auf dem Weltmarkt und in der Weltpolitik zu – bis hin zur Vorbereitung Großer Kriege[12].

3.

Die Weltwirtschaftskrise, die 1929 durch den Zusammenbruch der New Yorker Banken („Schwarzer Freitag“, Oktober 1929) ausgelöst wurde, bildete den ökonomische Tiefpunkt des „Zeitalters der Katastrophen“ (Hobsbawm), der langen Welle der Stagnation und der Krisen zwischen dem Beginn des Ersten (1914) und dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945.  Sie war – vor allem in Europa – überdeterminiert durch die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges („Versailles“) sowie – aus der Sicht der Herrschenden – durch die „tödliche Gefahr“ (Gramsci) einer proletarischen Revolution im Gefolge des russischen Oktober 1917.  Die Arbeiterbewegung war seit dem Weltkrieg gespalten, hatte aber in den entwickelten kapitalistischen Staaten enorm an Kraft gewonnen. Die Auseinandersetzungen um die Folgen der Krise führten durchgängig zu einer Aufwertung des Interventionsstaates, der freilich ganze unterschiedliche Formen und Funktionen annahm: von der terroristischen Diktatur des Faschismus (Deutschland) über den Staatssozialismus (Sowjetunion) bis zum New Deal (USA).  Gleichzeitig verschärften sich die zwischenstaatlichen Konflikte bis zum erneuten Weltkrieg ab 1939, in dem das Deutsche Reich seine Niederlage im Ersten Weltkrieg korrigieren wollte. Nach 1945 – in der sogenannten „Golden-Age-Periode“ bis in die frühen 1970er-Jahre – war das Bündnis von Liberalismus und Reformsozialismus (und der damit verbundene Siegeszug des wohlfahrtsstaatlichen Keynesianismus) auch eine Antwort auf die krisenhaften Erfahrungen der Zwischenkriegsperiode (John Kenneth Galbraith: „We have been blessed by the fruits of caution“).

Das Epizentrum der weltweiten Krise befand sich in den USA, die in den frühen 1920er-Jahren einen Aufschwung der industriellen Produktion („Fordismus“) erlebten – verbunden mit einem Aufblühen des Immobiliensektors, der privaten Verschuldung (Ratenkauf) auf der einen und einer Strukturkrise der Landwirtschaft auf der andere Seite. Die USA waren seit dem Ersten Weltkrieg der „Weltbankier“, das heißt Gläubiger gegenüber den vom Krieg hoch verschuldeten alt-imperialistischen Staaten in Europa; der Niedergang des British Empire setzte sich fort. Überakkumulation und Finanzspekulation gingen dem Einbruch von 1929 voraus: in den USA fiel der Index der Industrieproduktion (1913 = 100) von 153 (1929) auf 108 (1932); im gleichen Zeitraum stieg die Arbeitslosigkeit von 3,4 Mio. auf 12,8 Mio. In Deutschland reduzierte sich die Industrieproduktion (1913 = 100) von 117 (1929) auf 70 1932); die Arbeitslosigkeit explodierte von 1,9 Mio. (1929) auf 6 Mio. (1932).

Die Krise von 1929 – so der Wirtschaftshistoriker Charles P. Kindleberger –  war „so allgemein, so schwer, so anhaltend […], weil das internationale Wirtschaftssystem destabilisiert wurde durch die Unfähigkeit Englands und die Abgeneigtheit der USA, die Verantwortung für seine Stabilisierung in drei besonderen Punkten zu übernehmen: Erhaltung eines relativ offenen Marktes für Krisenprodukte, antizyklische Bereitstellung langfristigen Kapitals und Diskontgewährung bei Krisen […] Als jedes Land sich auf die Wahrnehmung seiner  nationalen Privatinteressen beschränkte, ging das Gemeinwohl der Staatengemeinschaft in die Binsen und mit ihm die nationalen Belange aller“[13].  Es gab, so Gilbert Ziebura, „einen engen Kausalnexus zwischen dem Zerfall von Weltwirtschaft und Weltwährung einerseits, der gravierenden Verschlechterung der zwischenstaatlichen Beziehungen  andererseits, und zwar gleichzeitig sowohl zwischen den USA und Deutschland als auch zwischen den ehemaligen Alliierten“[14]. Damit waren die Weichen für den Krieg gestellt, der nach 1933 von dem faschistischen Regime in Deutschland systematisch vorbereitet wurde.

Die Entwicklung in Deutschland war vor allem durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg, die Folgen der Novemberrevolution sowie durch die Nachkriegskrise (bis 1924) bestimmt. Die Krise nach 1929 beendete eine kurze Konjunktur- beziehungsweise Erholungsphase zwischen 1925 und 1928. Sie begann im Finanz- und Banksektor und dehnte sich schnell auf den Niedergang der industriellen Produktion aus. Dieser wurde durch den Niedergang der Weltkonjunktur, die Verstärkung protektionistischer Maßnahmen (Zölle, Devisenkontrolle et cetera) als auch durch die Massenarbeitslosigkeit sowie durch die Austeritätspolitik der Regierung (Kürzung der Beamtengehälter, der Transfereinkommen wie Arbeitslosenunterstützung, Abbau staatlicher Leistungen und so weiter) beschleunigt. Angesichts der Reparationsforderungen aus dem Ausland ging es der Regierung auch darum, nicht nur Inflation zu verhindern, sondern die Zahlungsunfähigkeit des Reiches zu demonstrieren. Da es in Deutschland eine starke sozialdemokratische und kommunistische Arbeiterbewegung gab und der herrschende Block  ab 1930 eine Radikalisierung der Klassenkämpfe nach links befürchten musste, akzeptierte er schließlich die Übertragung  der Macht an den Faschismus, der nicht nur die Republik zerschlug, sondern sogleich seine Politik der Vernichtung gegenüber der Arbeiterbewegung und den Juden ins Werk setzte und mit seiner Wirtschaftspolitik nicht nur die Arbeitslosigkeit abbaute, sondern systematisch die militärische Aufrüstung betrieb und den Krieg vorbereitete.

4.

Die Zwischenkriegskrise endete auch in den USA erst mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg und der forcierten militärische Aufrüstung, in der sogleich die gewaltigen Potenziale zum Ausdruck kamen, die der US-amerikanische Kapitalismus inzwischen akkumuliert hatte. Am Ende des Krieges war das alte europäische Zentrum der Welt (seit 1500) geschwächt; die USA auf der einen, die UdSSR auf der andere Seite wurden Führungsmächte im bipolaren Weltsystem der Nachkriegszeit. Die Sowjetunion galt auch vielen nicht-kommunistischen Beobachtern in den 1930er-Jahren – als der erste Fünfjahrplan und die Kollektivierung der Landwirtschaft umgesetzt wurden – als durchaus erfolgreiches, nicht-kapitalistisches  Entwicklungsmodell[15]. Gleichzeitig steigerte sich in den 1930er-Jahren – unter dem Regime Stalins – die Repression und der Terror gegen die „alte bolschewistische Garde“. Trotz des Sieges über den Nationalsozialismus (1945) und des Aufstiegs zur Weltmacht wurde auf diese Weise der Sozialismus irreparabel beschädigt.

Die Lehren der Großen Krise nach 1929 wurden nach dem Krieg in den Kapitalmetropolen des Westens durch die Anerkennung des Keynesianismus,  den Aufbau des Wohlfahrtsstaates, die Anerkennung der sozialdemokratischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung (Verstaatlichung von Teilen der Wirtschaft, Einführung von Elementen der Wirtschaftsdemokratie) gezogen. Auf der Basis eines außergewöhnlichen Wirtschaftswachstums wurde die Arbeitslosigkeit reduziert; die Arbeits- und Lebensverhältnisse (etwa in Form von Arbeitszeiten oder der Lohn- und Konsumentwicklung) verbesserten sich deutlich im Übergang zum Konsumkapitalismus nach US-amerikanischem Vorbild, der sich unter der „Glocke“ der Systemkonkurrenz und der atomar-militärischen Hochrüstung („Warfare Capitalism“) vollzog.

5.

Die Krise der 1970er-Jahre beendete das sogenannte „Goldene Zeitalter des Kapitalismus“[16]. Seit den späten 1960er-Jahren hatten sich die Zuwachsraten verringert – im Übergang zu den 1970er-Jahre nahm die Inflation zu („Stagflation“). Das Währungssystem von Bretton Woods (mit seinen festen Wechselkursen) wurde von den USA aufgelöst: der Dollar wurde zur (privaten) Weltwährung. Die Ölpreiserhöhungen seit 1972 wurden vielfach als „Schock“ empfunden. Die Weltwirtschaftskrise von 1974/75 deutete diesen epochalen Wandel im Wachstum der Weltwirtschaft, verbunden mit einem kontinuierlichen Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit und der Staatsverschuldung an[17].

Das Epizentrum der Krise befand sich erneut in den USA, worin sich die dominante Position des „American Empire“ (Panitch / Gindin) innerhalb des kapitalistischen  Weltsystems im 20. Jahrhundert widerspiegelte. Die Wachstumsdynamik war in den USA schon in  den 1960er-Jahren zurückgegangen. Der Vietnam-Krieg und die Kosten des Programms für innere Sozialreformen, das durch die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen erkämpft worden war, verschlangen enormen Summen. Die USA gingen in den 1970er-Jahren dazu über, ihre – mit dem Dollar als Weltgeld verbundene – privilegierte Position auf dem Weltmarkt im eigenen nationalen Interesse voll auszuschöpfen (Übergang von der Hegemonie zur Dominanz, vom „wohlwollenden“ zum „bösartigen Hegemon“, Robert Gilpin). Vor allem Anfang der 1980er-Jahre setzten die USA durch ihre Zinspolitik und mit dem Dollarkurs andere Länder unter massiven Druck. Auf diese Weise wurde – mit der schrittweisen Liberalisierung der globalen Finanzmärkte – der Übergang zum Finanzmarktkapitalismus eingeleitet; auf der anderen Seite wurden die Probleme der strukturellen Überakkumulation, die die Krise der fordistischen Formation des Nachkriegskapitalismus[18] begründete, nicht gelöst[19]. Der Zusammenhang von Produktivität, Profit und Realeinkommen der Lohnarbeiter – also zwischen  Akkumulation und Regulation – war für das Kapital nicht mehr zu halten, zumal die Gewerkschaften in den Kapitalmetropolen im  Übergang von den 1960er- in die 1970er-Jahre einen Aufschwung erlebten, die Streiktätigkeit enorm zunahm und Reallohnlohnsteigerungen wie Sozialreformen (des Arbeitsmarktes sowie der betrieblichen Mitbestimmung) durchgesetzt wurden, die aus der Sicht des Kapitals als zusätzliche Kosten erscheinen mussten („profit squeeze“). Erst mit der Anwendung der „mikroelektronischen Revolution“, der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wurden sowohl in der Industrie als vor allem im Dienstleistungssektor enorme Produktivitätsgewinne erzielt. Bei relativ stagnierenden (beziehungsweise bereits übersättigten) Märkten führte dies allerdings zur Steigerung der Arbeitslosigkeit sowie zur Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse im Dienstleistungssektor.

Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre kam es im Gefolge a) der weltweiten Studierenden- und Jugendrebellion („1968“) und b) des Aufschwungs der (überwiegend gewerkschaftlichen) Klassenkämpfe in Europa auch zu einer politischen Linksverschiebung (Stärkung der Sozialdemokratie, „Eurokommunismus“). Gleichzeitig fielen die Diktaturen in Südeuropa (Griechenland, Spanien, Portugal). Auch in der Dritten Welt waren antiimperialistische Kräfte auf dem Vormarsch[20]. Zunächst reagierten die Regierungen mir Reformen – vor allem im Bildungs- und Hochschulwesen, aber auch im Bereich der  Arbeitsmarktpolitik, der Sozialpolitik und der Stärkung der Gewerkschaften durch den Ausbau der Wirtschaftsdemokratie. In der Außenpolitik setzte sich bis Mitte der 1970er-Jahre die Entspannungspolitik mit der Sowjetunion (KSZE-Konferenz in Helsinki 1973) durch. Angesichts der Niederlagen (Vietnam) und der inneren Krisen in den USA (Bürgerrechtsbewegungen, Watergate, Nixon-Rücktritt) wurde der (beginnende) Niedergang des „US-Empire“ erwartet, während Japan und Deutschland (die Besiegten des II. Weltkrieges) als die Aufsteiger in der Weltwirtschaft bewundert wurden und die Sowjetunion in der Breschnew-Ära ihre militärische und weltpolitische Macht ausbaute. Die Länder der III. Welt traten in der UNO selbstbewusst auf.

Spätestens seit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 kam es – auch und vor allem als Reaktion auf diese Linksverschiebung – innerhalb der herrschenden Klassen zu einer strategischen Neuorientierung (die sich natürlich in verschiedenen Ländern ungleichzeitig durchsetzte): die Politik des keynesianisch-wohlfahrtsstaatlichen Klassenkompromisses der Golden-Age-Periode wurde durch die neoliberale Ideologie und Politik (im Geiste von Hayek und  Friedman) ersetzt. Diese verfolgte nunmehr eine Konfrontation mit den Gewerkschaften und dem Sozialstaat, die sie für die Krisen der 1970er-Jahre (Staatsverschuldung, Inflation, Arbeitslosigkeit, geringes Wachstum et cetera) verantwortlich machte[21]. Diese Strategie setzte sich mit den Siegen des Neoliberalismus seit dem Übergang zu den 1980er-Jahren in den Kapitalmetropolen durch. Die Mittelklassen und Teile der Arbeiterklasse unterstützten die Politik der Neoliberalen, die Steuersenkungen, Inflationsbekämpfung und mehr individuelle Freiheit („weniger Staat“) versprachen. Der Weg aus der Fordismuskrise war nunmehr deutlicher zu erkennen: auf der einen Seite die Herausbildung der neuen Formation des globalen Finanzmarktkapitalismus (mit dem Zentrum des „Dollar-Wall-Street-Regimes“[22] beziehungsweise des neu erholten „American Empire“[23]) ; auf der anderen Seite die Politik und Ideologie des Neoliberalismus im Innern, die am besten mit der Formel „Privatisierung (der „Commons“, also . öffentlichen Eigentums), Deregulierung (durch Steuerentlastung und den Abbau gesetzlicher Regulierungen für das Kapital), Flexibilisierung (des Arbeitsmarktes) zu charakterisieren ist. Auf der internationalen Ebene erfolgte der Schwenk zugunsten der Hochrüstungspolitik, vor allem aber der direkten Intervention gegen antiimperialistische Bewegungen und Regime (zum Beispiel in Nicaguara, Granada, Afghanistan).

Dieses Ergebnis der politischen und sozialen Kämpfe um die Bewältigung der Fordismuskrise war zugleich eine Folge der sich seit Mitte der 1970er-Jahre immer deutlicher abzeichnenden Schwäche – und der daraus folgenden Niederlagen der Linken. In Westeuropa ebbte die Welle der Klassenkämpfe seit Mitte der 1970er-Jahre ab. Vor allem die (militanten) europäischen Gewerkschaften wurden seit den 1980er-Jahren in die Defensive gedrängt[24]. Die „Kulturrevolution“ der Intellektuellen wirkte in den neuen sozialen Bewegungen nach, die sich allerdings mehr und mehr von der Kapitalismuskritik entfernten. Die politische Arbeiterbewegung geriet mit ihren Programmen der Sozialreform, die auf eine Ausweitung der Staatstätigkeit zielten,  angesichts der steigenden Staatsverschuldung mehr und mehr in die Defensive. Die Sozialdemokratie verabschiedete sich vom  Keynesianismus. Der Anstieg der Massenarbeitslosigkeit erwies sich als mächtige Waffe, mit der die Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse untergraben werden konnte. Kerntruppen der gewerkschaftlichen Kämpfe dieser Jahre (vor allem in der Automobilindustrie) wurden durch Rationalisierungsmaßnahmen, Beschäftigtenabbau und Standortverlagerungen dezimiert und passten sich (mit ihren Gewerkschaften) mehr und mehr den Anforderung eines „Wettbewerbskorporatismus“ (globale) Standortkonkurrenz an.

Schließlich begann schon in den 1970er-Jahren der ökonomische Niedergang der Sowjetunion (und ihres Staatensystems), der sich – nach der polnischen Krise am Ende der 1970er-Jahre – in den 1980er-Jahren beschleunigte – bis zur Implosion der UdSSR im Jahre 1991, der Auflösung des Warnschauer Paktes und des RGW, des Anschlusses der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik Deutschland.  Damit eröffneten sich für die räumliche Reorganisation des globalen Kapitalismus ganz neue Perspektiven – zumal auch in der Volksrepublik China seit 1978 (Deng-Xiao-Ping-Reformen) der Weg einer nachholenden – auf den Export orientierten – kapitalistischen Industrialisierung und Modernisierung beschritten worden war. Immer mehr bewegte sich die VR China – aufgrund der hohen Wachstumsdynamik – auf die Spitzengruppe der modernen (und mächtigsten) Industrienstaaten des Westens zu. Gleichzeitig stärkte diese Entwicklung das neue süd- und südostasiatische Zentrum der Weltwirtschaft (und bald auch der Weltpolitik); denn neben dem Aufstieg der sogenannten „ostasiatischen Tiger“ seit den 1970er-Jahren (Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur, Hongkong) ist auch das volkreiche Indien in einen höchst dynamischen Wachstumspfad eingeschwenkt.

Die Fordismuskrise kann – im Hinblick auf die politisch umkämpften Resultate – also in zwei Peiroden unterteilt werden: Bis Mitte der 1970er-Jahre dominierte die Linke, getragen von sozialen Bewegungen und der „Kulturrevolution“ der Intellektuellen und Studierenden. Die Hoffnung auf eine sozialistische Transformation in hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften des Westens (wie sie bei den starken sogenannten „eurokommunistischen“ Kräften zeitweilig bestand) wurde enttäuscht; auf breiter Front siegte schließlich die „neoliberale Konter-Revolution“, die mit dem Zusammenbruch der „realsozialistischen Systeme“ (im Gefolge der Oktoberrevolution von 1917) nun erst einmal keinen Gegner mehr zu fürchten brauchte. Francis Fukuyama verkündete das „Ende der Geschichte“. Für Eric Hobsbawm ging damit das „kurze 20. Jahrhundert“, das „Zeitalter der Extreme“, zu Ende[25].

6.

Die Große Krise des Finanzmarktkapitalismus seit 2007[26] wurde durch die Bearbeitung und die Resultate der Fordismuskrise in den 1970er-Jahren – vor allem durch die Entfesselung und globale Liberalisierung der Finanzmärkte – vorbereitet. Ab 2007 verband sich der Zusammenbruch relevanter Teile des Finanzsektors durch das Platzen spekulativer Blasen mit einer zyklischen Wachstumskrise in den Kapitalmetropolen, die durch Strukturkrisen in bestimmten Branchen (etwa der Automobilindustrie mit ihren weltweiten Überkapazitäten) noch verstärkt wurde. Seit 1980 hatte sich das private Finanzvermögen bis 2007 verfünffacht und  sich immer weiter von der realen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Sozialprodukt) entfernt. Schon seit den frühen 1980er-Jahren kam es immer wieder zu Krisen auf den internationalen Finanzmärkten. Seit 2007 war dagegen der Crash des Dollar-Wall-Street-Regimes, die „Kernschmelze“, selbst der Ausgangspunkt der weltweiten Krise: „Die ‚finanziellen Instabilitäten‘ spitzen sich zur Finanzkrise zu, wenn Papiere mit hoher Rendite ‚originiert‘ werden und gleichzeitig der Versuch einer Steigerung der realen Wachstumsrate an sozialen und natürlich Grenzen scheitert. Die Treiber-Software überfordert die Leistungsfähigkeit der realökonomischen Hardware. Die Krise bricht aus“[27]. Die Anhäufung, Internationalisierung und Verselbständigung der Finanzmärkte seit den 1980er-Jahren hat nach Jörg Huffschmid folgenden Hintergrund: „erstens die langfristig zunehmende Polarisierung und Ungleichheit vor allem durch die Umverteilung von Einkommen und Vermögen von unten nach oben, zweitens die zunehmende Privatisierung der Alterssicherungssysteme, und drittens die seit Mitte der 70er Jahre betriebene Liberalisierung der Finanzmärkte“[28]. Vor allem in der erfolgreichen Politik der Umverteilung von unten nach oben (beziehungsweise in der Entwicklung der Lohnquote nach unten) spiegelt sich das zugunsten der Vermögensbesitzer veränderte Kräfteverhältnisse der Klassen oder der Machtverlust, den  insbesondere die Gewerkschaften seit den frühen 1980er-Jahren hinnehmen mussten[29].

Das Krisenmanagement der Staaten konzentrierte sich in der ersten Phase der Krise (2008/9) auf die  Rettung des Finanzsektors. „Regierung und Zentralbanken von Staaten, politische Institutionen also, haben das Risiko übernommen, das die Akteure der Finanzmärkte nicht mehr tragen konnten, weil sie  sogar das Haftungskapital ihrer Institute verspekuliert hatten“[30]. Darüber hinaus wurden Mittel mobilisiert, um durch staatliche Investitionsprogramme (etwa im Bauwesen oder mit der sogenannten „Abwrackprämie“ für neue Automobile) den Einbruch des Wirtschaftswachstums und damit das Emporschnellen der Arbeitslosigkeit zu begrenzen. Vereinzelt wurden auch  arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen ergriffen (z. B. in Deutschland die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes), die in den vom Einbruch der Nachfrage und der Aufträge am meisten betroffenen Unternehmen (zum Beispiel bei den Zulieferern der Automobilindustrie) Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen verhindern sollten. Dabei wurden gewaltige Schulden aufgehäuft, die einige Regierungen bereits an den Rand des Staatsbankrotts geführt haben. Alle Regierungen sehen sich zu Sparprogrammen verpflichtet (Austeritätspolitik), die  durch Kürzung der Staatsausgaben (insbesondere im Bereich der Sozialpolitik, der Bildungs- und Wissenschaftspolitik, der Kulturpolitik und so weiter) auf der einen, Erhöhung von Massensteuern auf der anderen Seite  die  Schuldenberge abtragen sollen. Schließen hoffen sie auf erneutes Wachstum, das heißt höhere Steuereinnahmen für den Staat.

In der zweiten Phase der Krise wird international die ungleiche Entwicklung zwischen Staaten bestimmend. Besonders deutlich ist der Kontrast zwischen der Stagnation in den USA und der Rückkehr der sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) zu einem dynamischen Wachstumskurs. In der EU hat sich zum Beispiel Deutschland durch die Steigerung seiner Exporte (in die BRIC-Staaten) und die Senkung der Lohnkosten relativ schnell erholt, während andere Staaten am Rande des Bankrott stehen und durch die Rettungsmaßnahmen der EU und des IWF in ihren Wachstumsmöglichkeiten zusätzlich eingeschränkt werden. Außerdem kommt die Krise nunmehr – in dieser zweiten Phase (ab 2010) – „in der Gesellschaft“ an.

Das heißt: sowohl die Kürzung der öffentlichen Leistungen als auch die Ausweitung von Armut und Prekarität in der Krise werden für die Alltagserfahrung der Menschen (etwa in den Kommunen) immer konkreter und belastender. Die Formierung von Widerstand gegen das herrschende Krisenmanagement, das den Finanzsektor erneut stabilisiert hat, ohne dass es zu dessen wirksamer politischer Kontrolle gekommen wäre, manifestiert sich inzwischen in verschiedenen sozialen Bewegungen – Protestwellen gegen die Verkürzung des Rentenalters, Proteste der Studierenden gegen die Erhöhung von Studiengebühren, Generalstreiks gehen die Sparprogramme der Regierungen. Überall konzentrieren sich die Auseinandersetzungen auf die Frage, wer für die Krisen verantwortlich sei und wer für die Kosten (also die Schulden) der Krise zu bezahlen habe.

Die Klassendimension des Krisemanagements macht daran deutlich, das die breite Masse der lohnarbeitenden Bevölkerung, der Arbeitslosen und des Prekariats für die Kosten der Krise aufzukommen hat. Der Staat, der in den vergangenen  Jahrzehnten aus Wirtschaft und Gesellschaft zurückgenommen werden sollte, ist als Retter des Finanzmarktkapitalismus zurückgekommen und aufgewertet. In den Schwerpunkten dieser Rettungsprogramme (Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Finanzsektors) verifiziert sich nicht allein die allgemeinen Funktionsbestimmung des kapitalistischen Staates, sondern auch die Kräftekonstellation der Klassen. Die linkskeynesianischen Forderungen von Ökonomen wie Joseph Stiglitz und Paul Krugman werden (nicht nur in den USA) von der Macht der Finanzmarkt-Lobby erfolgreich abgewehrt, während die Gewerkschaften und linke Parteien, die sich diesen Forderungen anschließen, zu schwach sind, um Mehrheiten für ihre Umsetzung (bei Wahlen oder durch außerparlamentarischen Druck) zu gewinnen.

Die Spezifik der Großen Krise des globalen  Finanzmarktkapitalismus[31] reflektiert sich nicht allein in der Dominanz des Finanzsektors gegenüber der „Realökonomie“, sondern auch in der Unterordnung der Politik unter die Macht der mit diesem Sektor verbundenen Eliten (aus der Wirtschaft, der Politik sowie der internationalen Institutionen wie dem IWF beziehungsweise der EU oder der EZB), die die Drehbücher des Krisenmanagements und die Vorlagen für die Gesetzentwürfe verfassen. Darüber hinaus zeichnet sich diese Krise durch drei Besonderheiten aus, die für die Politik des Krisenmanagement und deren mögliche Resultate bedeutsam sind.

Seit 2007 zeichnet sich ab, dass der Verlauf der Krise durch das Ineinandergreifen verschiedener Krisenprozesse bestimmt wird, die oftmals einer eigenen Logik folgen: die erste Phase wurde durch den Übergang von der Finanz- zur Wachstumskrise bestimmt, bei wiederum die Strukturkrisen in einzelnen Branchen (etwa Automobile) eine eigene Geschichte haben. In den globalen Dimensionen verbindet sich die Ernährungskrise mit den Wirkungen der Finanz- und Wachstumskrise – aber auch diese Dimension der globalen Krise wurde nicht durch die Große Krise erzeugt, sondern nur verstärkt. Schließlich weitet sich der Zusammenhang von ökonomischen und ökologischen Krisenprozesse immer mehr zu einer allgemeinen Zivilisationskrise aus. Die Politik des Krisenmanagements muss sich also daran messen lassen, wie sie nicht allein die Probleme der Verschuldung, der Verelendung und des Wachstums löst, sondern dabei zugleich Weichenstellungen für eine „ökologische Wende“ (in der Verkehrspolitik, beim Energieverbrauch, bei den Emissionen, bei der Mobilität et cetera.) vornimmt. Dieser Umbau „muss Produktions- und Lebensweise auf neue Grundlagen stellen, so dass nur noch ein Bruchteil der bisherigen Stoff- und Energieflüsse und diese zudem weitgehend aus regenerativen Quellen erfolgen und die Produkte nach ihrer Nutzung ebenfalls weitgehend wieder in Produktions- und Naturkreisläufe eingehen“[32].

Die Linke ist am Anfang des 21. Jahrhunderts – sowohl in den entwickelten kapitalistischen Staaten als auch auf der Ebene der Weltpolitik – sehr viel schwächer als in der Zwischenkriegsperiode oder in  den 1970er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese Schwäche ist Resultat der Niederlagen und Zusammenbrüche (der Sowjetunion und anderer Systeme) im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts – Niederlagen, die (im Westen) vor allem die traditionellen Organisationen der Gewerkschaften sowie der sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung getroffen haben. Das sozialistische Projekt (Vergesellschaftung, demokratische Planung, Basisdemokratie; Solidarität; Bildung für alle) ist daher zutiefst diskreditiert – Meinungsumfragen belegen, dass bei weiten Teilen der Bevölkerung die Kritik an den herrschenden Verhältnissen (Finanzkapitalismus, Neoliberalismus, politische Klasse, parlamentarisches System) zunimmt und politisch oftmals vom Rechtspopulismus aufgegriffen wird – dass sich diese Kritik aber gleichzeitig mit Ohnmachtbekundungen („man kann ja eh’ nichts ändern“; „es gibt ja keine Alternative“) verbinden. Die Linke steht daher in der gegenwärtigen Krise nicht nur vor der Aufgabe, Widerstand und Protest zu organisieren, sondern zugleich die „Linke“ neu zu gründen, das heißt die Programmatik und Perspektive einer demokratischen Überwindung der bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnisse neu ins Werk zu setzen[33].

Schließlich werden auch solche Herausaforderungenn durch Veränderungen in der Weltordnung überdeterminiert. Während in den beiden Großen Krisen des 20. Jahrhunderts die USA ihre hegemoniale Position ausbauen und erhalten konnten, deutet sich am Anfang des 21. Jahrhunderts an, dass die Große Krise die Position der USA weiter schwächen wird und gleichzeitig die Verschiebung des Kraft- und Machtzentrums der Weltwirtschaft nach Ostasien (und in die sogenannten Schwellenländer) immer deutlichere Konturen gewinnt. Ob das American Century tatsächlich im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zu Ende geht, ist nach wie vor umstritten. Auf jeden Fall werden jedoch die internationalen Konflikte, die mit diesen Verschiebungen (und mit den ökologischen Herausforderungen sowie dem sogenannten „Oil-Peak“) verbunden sind, auf die Politik des Krisenmanagements (und auf die schließlichen Resultate der Bewältigung der Großen Krise des Finanzmarktkapitalismus in der Zukunft) zurückwirken.

7.

Gramscis These von der Großen Krise als „Interregnum“ erweist sich mithin auch in der  gegenwärtigen Konstellation als zutreffend. Die finanziellen, die ökonomischen und die ökologischen Krisenprozesse setzen sich auf der Ebene des  Bewusstsein der Betroffenen und der Politik keineswegs in eine soziale und politische Gegenbewegung um, die den „herrschenden Block“ mit einer systemischen Alternative konfrontieren könnte. Gramscis Kritik des „Ökonomismus“ gilt nach wie vor. Die Niederlagen der „alten Linken“, die gesellschaftlichen Strukturveränderungen und die Mechanismen der Kontrollgesellschaft (nicht nur von oben, über den Sicherheitsstaat, sondern auch über den Arbeitsmarkt und die Angst vor dem sozialen Abstieg) wirken unter anderem an dieser Blockade mit. Allerdings ist die „Hegemonie“ des Neoliberalismus, die sich auf den Konsens durch die Beherrschten stützen könnte, längst einem Regime des „disziplinären Neoliberalismus“[34] gewichen. Auch fordert die Große Krise zur Anerkennung einer kritische Kapitalismusanalyse heraus – mit anderen Worten: die Bedingungen für die Ausbreitung der Ideen des „historischen Materialismus“ (wie Gramsci) formulierte, haben sich deutlich verbessert: „das Alte stirbt, aber das Neue kann noch nicht zu Welt kommen“.

Gleichzeitig deutet sich in Europa mit der Zunahme von Streikbewegungen und Massendemonstrationen gegen die Austeritätspolitik, also gegen die Abwälzung der durch den Staat angehäuften Schulden (zur Rettung des Finanzsektors) auf das Volk eine mögliche Veränderung an: die Krise und ihre Folgen werden nicht mehr passiv und ohnmächtig hingenommen, sondern dieser Widerstand verbindet sich einerseits mit der Programmatik einer Umverteilung des Reichtums zugunsten der „Subalternen“, einer ökologischen Wende und einer Entmachtung  des Finanzmarktkapitalismus (etwa durch die Vergesellschaftung großer Teile des Bankensektors und die Einführung internationaler Kapitalverkehrskontrollen sowie einer neuen Währungsordnung).

Andererseits verbinden sich diese Formen des Widerstandes mehr und mehr mit anderen sozialen und politischen Bewegungen in der Welt, „who work constantly to produce a different future to that which capitalism protends […]. The political unfication of diverse struggles within the labour movement and among those whose cultural as well as political-economic assets have been dispossessed appears to be crucial for any movement to change the course of human history. The dream would be a grand alliance of all the deprived and dispossessed everywhere. The aim would be to control the organsiation, production and distribution of the surplus product for the long-term benefit of all” [35].

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst in Frank Deppe / Wolfgang Meixner / Günther Pallaver (Hrsg.): Widerworte. Philosophie, Politik, Kommunikation. Festschrift für Jörg Becker. Innsbruck 2011. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.

[1] Das wichtige Buch von Karl-Heinz Roth, Die globale Krise, Hamburg 2009, beginnt mit den folgenden Sätzen: „In den vergangenen beiden Jahren haben sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse grundlegend verändert. Nichts ist mehr wie vorher. Die Weltwirtschaftskrise hat sich mit ungeheurer Wucht ausgebreitet und Gewissheiten über den Haufen geworfen, Doktrinen zertrümmert und unter den herrschenden und besitzenden Klassen  Panik ausgelöst … Nichts und niemand scheint bis jetzt die Spirale nach unten aufhalten zu können, auch wenn der vollständige Zusammenbruch der Finanzmärkte verhindert wurde“ (S. 9).

[2] Vgl. dazu Ingar Solty, Die Tea-Party-Quittung. Das Scheitern des Obama-Projekts und die US-Zwischenwahlen 2010, in: Sozialismus, 12/2010, S. 42–47.

[3] Der von Martijn Konings herausgegebene Band „The Great Credit Crash“ (London / New York 2010) konstatiert: “The Great Credit Crash will go into history as the most serious crisis of global capitalism since the Crash of 1929 and the Great Depression of the 1930s. Even if the crisis has bottomend out …. it has already fundamentally changed the contours of American and global capitalism” (p. ix).

[4] Joachim Hirsch (Weltwirtschaftskrise 2.0 oder Zusammenbruch des neoliberalen Finanzkapitalismus, in: www.links-netz.de) hat die Geschichte der „großen Krisen“ und der Abfolge der verschiedenen Formationen des Kapitalismus folgendermaßen skizziert: „Von der großen Depression in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts bis zur ersten Weltwirtschaftskrise des 20. dauerte es über 50 Jahre. Der drauf folgende Fordismus währte bis Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, also nur noch knapp 5 Jahrzehnte. Auf seine Krise folgte die als Globalisierung bezeichnete Etablierung des neoliberalen Finanzkapitalismus, auch Postfordismus genannt. Der ist, etwa dreißig Jahre später, ebenfalls am Ende und wieder verschieben sich damit die globalen ökonomischen und politischen Machtverhältnisse … Beim neoliberalen Finanzkapitalismus handelt es sich durchaus um eine eigene historische Formation des Kapitalismus, die auch eine spezifische Krisendynamik aufweist. Die aktuelle Krise unterscheidet sich ganz wesentlich von der des Fordismus oder auch der der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts … Die Art und Weise, wie die Krise des Fordismus (seit den 70er Jahren) bewältigt wurde, hat also die Wurzeln dafür gelegt, dass der globale Kapitalismus heute knapp vor dem Zusammenbruch steht“.

[5] Marx selbst hatte – ohne die Krisentheorie systematisch auszuarbeiten – diesen Zusammenhang immer wieder einmal hergestellt. „Überproduktion von Kapital heißt nie etwas anderes als Überproduktion von Produktionsmitteln – Arbeits- und Lebensmitteln –, die als Kapital fungieren können, d.h. zur Ausbeutung der Arbeit zu einem gegebenen Exploitationsgrad angewandt werden können; indem das Fallen dieses Exploitationsgrades unter einen bestimmten Punkt Störungen und Stockungen der kapitalistischen Produktionsprozesses, Krisen, Zerstörung von Kapital hervorruft. Es ist kein Widerspruch, dass diese Überproduktion von Kapital begleitet ist von einer mehr oder minder großen relativen Überbevölkerung. Dieselben Umstände, die die Produktivkraft der Arbeit erhöht, die Massen der Warenproduktion vermehrt, die Märkte ausgedehnt, die Akkumulation des Kapitals, sowohl der Masse wie dem Wert nach, beschleunigt und die Profitrate gesenkt haben, dieselben Umstände haben eine relative Überbevölkerung erzeugt und erzeugen sie beständig, eine Überbevölkerung von Arbeitern, die vom überschüssigen Kapital nicht angewandt wird wegen des niedrigen Exploitationsgrades der Arbeit, zu dem sie allein angewandt werden könnte, oder wenigsten wegen der niederen  Profitrate, die sie bei gegebenem Exploitationsgrad abwerfen würde“. Karl Marx, Das Kapital. Dritter Band, MEW 25, Berlin 1964, S. 266. In den „Grundrissen“ (Berlin 1953, S. 636) schreibt Marx: „Hence the highest development of productive power together with the greatest expansion of existing wealth will coincide with the depreciation of capital, degradation of the labourer, and a most straightened exhaustion of its vital powers. These contradictions lead to explosions, cataclysms, crises, in which by momentaneous suspension of labour and annihilation of a great portion of capital the latter is violently reduced to the point, where it can go on. Diese Widersprüche, of course, führen zu Explosionen, Krisen, worin momentane Aufhebung aller Arbeit und Vernichtung von großem Teil des Kapitals es gewaltsam wieder auf den Punkt zurückführen, worin es is enabled fully employing its productive powers without committing suicide. Yet, these regularely recurring catastrophes lead to their repetition on a higher scale, and finally to its violent overthrow”.

[6] Leo Panitch / Sam Gindin, Capitalist Crisis and the Crisis this Time, in: Socialist Register 20100, ed. By Leo Panitch et al., London / New York 2010, S. 1–20; vgl. Auch Greg Albo / Sam Gindin / Leo Panitch, In and Out of Crisis. The Global Financial Metldown and Left Alternatives, Oakland 2010.

[7] Ralph Miliband, Marxism and Politics, Oxford 1977.

[8] Antonio Gramsci, Kerkerhefte, Hamburg 1991 ff., S. 1716/17.

[9] Ebd. S. 354.

[10] Ebd. S. 1578/79.

[11] David Harvey, The Limitis to Capital (1982), London / New York 2006; ders., The Enigma of Capital, London 2010.

[12] Der 92 Jahre alte Eric Hobsbawm – der großartige marxistische  Gesellschaftshistoriker des 19. und 20. Jahrhunderts, der in der großen Krise des Kapitalismus nach 1929 Mitglied der kommunistischen Bewegung wurde – geht im Interview mit dem Stern (13.5.2009) auf die Dramatik der gegenwärtigen Krise ein und schließt dabei auch die Möglichkeiten bevorstehender Katastrophen und Kriege nicht aus: „Alles ist möglich. Inflation, Deflation, Hyperinflation. Wie reagieren die Menschen, wenn alle Sicherheiten verschwinden, sie aus ihrem Leben hinausgeworfen, ihre Lebensentwürfe brutal zerstört werden? Meine geschichtliche Erfahrung sagt mir, dass wir uns – ich kann das nicht ausschließen – auf eine Tragödie zu bewegen. Es wird Blut fließen, mehr als das, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde – zwischen den USA und China“.

[13] Charles O. Kindleberger, Die Weltwirtschaftskrise 1929–1939, München 1973, S. 304/305.

[14] Gilbert Ziebura, Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1922/24–1931, Frankfurt / Main 1984, S. 157; vgl. auch Frank Deppe, Die kapitalistische Weltwirtschaft zwischen den Kriegen, in: ders., Politisches Denken zwischen den Weltkriegen, Hamburg 2003, S. 118–155.

[15] In seiner Autobiografie erinnerte Eric Hobsbawm – angesichts der seit 1991 herrschenden Meinung, dass es zur Gesellschaft des individualistischen Kapitalismus und zum politischen System der liberalen Demokratie  überhaupt keine Alternative gebe – daran, dass „während des größten Teils des 20. Jahrhunderts […] solche Annahmen wenig plausibel erschienen. Der Kapitalismus selbst schien am Rand des Abgrunds zu stehen. So abwegig es heute klingen mag, zwischen 1930 und 1960 nahmen vernünftige Beobachter an, das staatlich gelenkte Wirtschaftssystem der Sowjetunion unter dem Fünfjahresplan, den noch die wohlwollendsten Besucher primitiv und ineffizient finden mussten, stelle eine globales Alternativmodell zum westlichen ,freien Unternehmertum‘ dar. Damals wurde in das Wort ‚Kapitalismus‘ ebenso wenig Zustimmung gelegt wie heute in das Wort Kommunismus. Nüchterne Beobachter waren der Meinung, dieses System werde auf die Dauer den Kapitalismus in seiner Produktionsleistung überflügeln. Ich bin gar nicht überrascht, mich wieder einmal ein einer Generation zu finden, die dem Kapitalismus skeptisch gegenübersteht, obwohl sie an unsere Alternative auch nicht glaubt‘“ (Eric Hobsbawm, Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, München  2002, S. 466).

[16] Vgl. u.a. Andrew Glyn u.a., The Rise and Fall of the Golden Age, in: Stephen A. Marglin / Juliet B. Schor (Eds.), The Golden Age of Capitalism, Oxford 1991, S. 39–135.

[17] Vgl. Frank Deppe, Politisches Denken im Kalten Krieg. Teil 1: Die Konfrontation der Systeme, Hamburg 2006, S.179 ff.

[18] Glyn u.a. (a.a.O., S. 70 f.) haben die wichtigsten Merkmale des fordistischen Akkumulationsregimes folgendermaßen zusammengefasst: „Im Muster der Golden-Age-Entwicklung erzeugte die Ausweitung des tayloristischen Systems der Arbeitsorganisation, verbunden mit einer schnell fortschreitenden Mechanisierung, enorme Produktivitätsgewinne. Diese waren insbesondere in den Zweigen der Massenproduktion wichtig, die dauerhafte Konsumgüter herstellten. Probleme der ‚Unterkonsumtion‘ oder der zurückbleibenden Nachfrage wurden durch die beständige Erhöhung der Reallöhne vermieden, die schnell genug vor sich ging, um einen Markt zu schaffen, aber nicht so stark anstieg, dass sie die Profite beeinträchtigte. Die Ausweitung kollektiver Verhandlungen und von wohlfahrtsstaatlichen Ausgaben gewährleistete diesen Anstieg der Nachfrage, reflektierte zugleich das Ausmaß des sozialen Konsensus  und sicherte die Integration der Arbeiter auf der Ebene des Produktionsprozesses selbst. Die Erwartung von hohen Profiten sowie von expandierenden Märkten  rechtfertigte die hohe Investitionsrate. Vor dem Hintergrund eines kohärenten Welthandels und Zahlungssystems schien dieses System sehr stabil zu sein und erforderte nur eine geringe nationale politische Regulation in bezug auf die Löhne und die Kreditpolitik“.

[19] Vgl. dazu Robert Brenner, Boom & Bubble. Die USA in den Weltwirtschaft, Hamburg 2003.

[20] Der faschistische Militärputsch in Chile gegen den sozialistischen Präsidenten Allende im Jahre 1973 war der Anfang einer „Gegenrevolution“, die erst ab Ende der 1970er-Jahre – mit der Wahl von Margaret Thatcher in GB und von Ronald Reagan in den USA – sich voll entfaltete. „The first experiment with neoliberal state formation […] occurred in Chile after Pinochet’s coup on the ,little September 11th‘ of 1973 […], promoted by domestic business elites […] (and) backed by US corporations, the CIA, and US Secretary of State Henry Kissinger”. (David Harvey, A Brief History of Neoliberalism, Oxford 2005, p.7).

[21] Zur Geschichte und Vor-Geschichte der „neoliberalen Konterrevolution“ vgl. Richard Cockett, Thinking the Unthinkable. Think-Tanlks and the Economic Counter-Revolution, 1931–1983, London 1995.

[22] Dieser Begriff wurde geprägt von dem (leider früh verstorbenen) Peter Gowan, The Global Gamble. Washington’s Faustian Bid for World Dominance, London / New York 1999.

[23] Leo Panitch / Sam gindin, Global Capitalism and Amercan Empire, in: Socialist Rdgister 2004, ed. By L. Paniotch and C. Leys, London, 2003, S. 1–42.

[24] Vgl. z. B. Andrew Martin / Geroeg Ross (Eds.), The Brave New World of European Labour. European Trade Unions at the Millenium, New York/Oxford 1999.

[25] Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 200. Jahrhunderts (1994), München 1998.

[26] Wichtige Texte: Joachim Bischoff, Globale Finanzkrise, Hamburg 2008; Karl Heinz Roth, Die globale Krise, Hamburg 2009; Jörg Huffschmid, Das Ende des Finanzmarktkapitalismus? In: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 78 / Juni 2008, S. 37 – 51; Elmar Altvater, Der große Krach, Münster 2010; Paul Krugman, The Return of the Depression Economics and the Crisis of 2008, Harmondsworth 2008; Robert Skidelsky, Keynes. The Return of the Master, New York 2010; Martijn Konings (Eds.), The Great Credit Crash, London / New York2010; Leo Panitch et al. (Eds.), The Crisis This Time. Socialist Register 2011, Lodnon / New York / Halifax 2010; Greg Albo / Sam Gindin / Leo Panitch, In and Out of Crisis. The Global Fi0nancial Meltdown and Left Alternatives, Oakland 2010..

[27] Elmar Altvater, Im Schlepptau der Finanzmärkte. Wie sich die Politik dem Diktat der Krisenverursacher unterwirft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2010, S. 55–65, hier S. 59.

[28] Jörg Huffschmid, a.a.O., S. 38,

[29] David Harvey (The New Imperialism, Oxford 2003, S. 137 ff.) hat daher die „Akkumulation durch Enteignung“ als das zentrale Merkmal des „neuen Imperialismus“ bezeichnet.

[30] Elmar Altvater, Im Schlepptau…, a.a.O., S. 55.

[31] Die Spezifik aller Großen Krisen besteht natürlich vorab in der Spezifik der gesellschaftlich-geschichtlichen Konstellation, in der diese Krisen sich ereignen. Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich in den  Gesellschaften des entwickelten Kapitalismus tiefgreifende Prozesse des sozialen Wandels und der Modernisierung vollzogen (in der Sozialstruktur, in den Familienstrukturen, in den Institutionen des Bildungssystems, im Mediensektor, in der Kommunikation, die etwa durch die „neuen Medien“ völlig verändert wurde et cetera). Die Prozesse der „Individualisierung“, die die Soziologie seit Ulrich Becks „Risikogesellschaft“ diskutiert hat, illustrieren solche Prozesse der Modernisierung und des Wandels. Dieser Wandel  bedeutet, dass die Krisenprozesse und das Krisenmanagement nicht in der gleichen Weise wahrgenommen und verarbeitet (oder durch politische Organisationen angerufen und  interpretiert wird) wie in der Zeit nach 1929 oder in den 1970er-Jahren.

[32] Ralf Krämer, Wachstumskritik oder sozialistische Politik? In: Supplement der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg), 7-8/2010, S. 1–23, hier S. 12.

[33] Vgl. dazu Frank Deppe, Sozialismus im 21. Jahrhundert? In: ders., Politisches Denken im Übergang ins 21. Jahrhundert, Hamburg 2010, S. 305–411; ders., Socialism in the 21st Century. More than a Utopia?, Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, Policy Paper, Nr. 4/2010.

[34] Stephen Gill, Theoretische Grundlagen einer neo-gramscianischen Analyse der europäischen Integration, in: Hans-Jürgen Bieling / Jochen Steinhilber (Hrsg.), Die Konfiguration Europas. Dimensionen einer kritischen Integrationstheorie, Münster  2000, S,23 – 50.

[35] David Harvey, The Engima of Capital. Asnd the Crisis of Capitalism, London 2010, S. 259 und 247.