Regisseur einer gedruckten Bühne

Siegfried Jacobsohns Leben für die "Weltbühne"

Von Oliver VogelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Vogel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ist Perikles, der bei Thukydides erklärt, daß das Glück in der Freiheit bestehe, die Freiheit aber im Mut. Wenn er recht hat, bin ich überglücklich gewesen." Scharfer Verstand, Ausdauer, Widerstand gegen alle Anfechtungen, das Leben ein Kampf: "Er wußte", so Siegfried Jacobsohn über sich selbst, "den richtigen Kritiker macht der unbezwingliche Trieb, das Echte vom Falschen zu sondern; die Lust, zu erkennen, was ist und was wahr ist; der Künstlerdrang, das Erkannte in die suggestivste, klarste und schönste Form zu pressen. Es gibt Siege und Niederlagen, aber immer Kampf. Dafür opfert man jedes menschliche Verhältnis; und es ist niemals Opfer. Denn höchst wichtig bleibt es, durch drei Adjektiva haarscharf den Grad der Lust oder Unlust zu treffen, den man vor einer Leistung empfindet; aber höchst unwichtig, eine Nacht mit Max Reinhardt zusammenzusitzen." Freundschaften waren ihm wichtig und er begleitete mit Wohlwollen die eine oder andere Entwicklung. Aber er hätte nicht aus Freundlichkeit und nur, um jemanden zu schonen, etwas verschwiegen. Ein Aufklärer also, dem nichts so wichtig war wie seine Zeitschrift und die Aufrichtigkeit ihrer Kritik. Von 1905 bis zu seinem Tod leitete Siegfried Jacobsohn die "Schaubühne", die dann am Ende des Ersten Weltkriegs in "Weltbühne" umbenannt wurde.

Am Anfang seiner Karriere hätte er einen (inhaltlich unbedeutenden) Absatz eines Kollegen abgeschrieben, so wurde behauptet. Ein Skandal war die Folge, der den eben beginnenden Erfolg des jungen Kritikers zunächst jäh beendete. Er ging für einige Monate auf Reisen. Hähme und Spott musste er über sich ergehen lassen, weil er einmal den Mut zu eigenen Worten nicht aufgebracht hatte - angeblich, weil sein Gedächtnis so funktionierte, dass er sich bis in die Formulierungen hinein alles merkte, außer dass es aus fremder Feder stammte. Dieser eine Moment der Schwäche ging ihm nach bis zum Ende und hatte eine Strenge zur Folge, die eine der wichtigsten Zeitschriften des Jahrhunderts entstehen liess: Zunächst - im Berlin des beginnenden Jahrhunderts - eine Theaterzeitschrift, die bis heute kaum Nachfolger gefunden haben dürfte. "Ein Blatt, wo jeder sagen kann, was ihm die andern Blätter aus Dummheit oder Feigheit verwehren. Ich habe, glaube ich, besondere Erziehertalente, aber auch eine so wütende Sachlichkeit, dass ich nie zögern werde, Schriftsteller zu drucken, die mehr sind und mehr können als ich. Herrlich denk' ich's mir, nach meinem Geschmack jede Woche gewissermaßen ein Haus zu bauen, in immer neuem, immer wertvollem Menschenmaterial zu arbeiten - Regisseur einer gedruckten Bühne." Er druckte Texte von Autoren wie Hermann Bahr und Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Alfred Polgar, Thomas und Heinrich Mann, Jakob Wassermann, Lou Andrea Salomé und Lion Feuchtwanger, später Kurt Tucholsky und Curt von Ossiezky, der die Leitung der Zeitschrift nach seinem Tod übernahm.

Der ursprüngliche Name der Zeitung, "Schaubühne", war Programm: S. J. (wie man üblicherweise schrieb) versagte den Berliner Theaterregisseuren das Vergnügen an der Lektüre. Sie sollten sich nicht unterhalten, sie sollten von ihm lernen. Bis zum Kriegsbeginn 1914 verfocht er das idealistische Programm und die Konzentration auf das Theater. "Wenn der erst einmal vom Theater los und zur Politik und Kultur kommt", schreibt Tucholsky, "dann gnade euch Gott." So weit kam es dann mit Kriegsende: "Jetzt also wollen wir öfters das Fenster des Arbeitszimmers öffnen, ein wenig hinausblicken und Ihnen dann berichten, was es draußen gibt." 1914 begann der Krieg und man sollte, aus heutiger Sicht, glauben, die Haltung der "Schaubühne" sei von Anfang an eindeutig gewesen, aber das war sie durchaus nicht. Eine Uneindeutigkeit, die sicher auch mit der Zensur zu tun hatte, die das Blatt in seiner Existenz gefährdete. Eine Nummer wurde wenige Monate nach Kriegsbeginn beschlagnahmt, was für empfindliche finanzielle Einbußen sorgte. "Seit ich mein Grab sah", so Jacobsohn, "will ich nichts als Leben." So wurden die Opfer der Zensur vorsichtig und dennoch auf Dauer politisiert, was sich dann kurz vor Kriegsende auch im Namen niederschlug. Jacobsohn warnte seine Leser vor den Veränderungen der Zeitung. Noch, hieß es, nehme man Rücksichten, das Blatt werde aber in Zukunft "immer schlimmer". Und tatsächlich: selbst S. J. interessierte sich in den zwanziger Jahren nicht mehr wirklich für Theater. Die Verhältnisse waren nicht mehr so. Stattdessen registrierte er präzise die Änderungen seiner Zeit und wollte, mit seiner Zeitung, selbst etwas ändern. "Meine Lieben: Jetzt muß man wirklich Politik machen!" Ständig in der Gefahr zum Opfer einer der zahlreichen Fehmemorde in den frühen zwanziger Jahren zu werden, drängte er auf ihre Aufklärung, klagte die reaktionären völkischen Kräfte auch namentlich an. Ständig auf der Hut vor der Zensur, trat er ein gegen Krieg und Gewalt, ermöglichte Artikel über den Zustand des Heeres, über die, auch nach dem Krieg, unverändert herrschenden Strukturen und Hierarchien, über die nach dem Krieg verbotene Wiederaufrüstung - und hoffte auf Veränderung. 1926 starb er plötzlich und für alle überraschend nur 46-jährig.

Die Schwäche der Biographie, die Stefanie Oswalt über S. J. geschrieben hat, ist zugleich ihre Stärke: Sie hält sich an Fakten, sie verlässt sich nicht auf den Anschein einzelner Szenen, die fürs Ganze stehen, die nach dem Vorbild von Bildungsromanen eine zufällig oder absichtsvoll (keines von beidem ist besser) überlieferte Anekdote zum Wendepunkt stilisiert wird. Oswalt verzichtet auf solche Inszenierungen und zählt die nachweisbaren, durchaus ruhigen Einzelheiten einer mutigen intellektuellen Biographie auf, in der es so differenziert zuging, wie es beschrieben wird. Sie wählt stattdessen 1933 und die weitere Geschichte der "Weltbühne" als Fluchtpunkt. Man kommt nicht umhin zu denken, Jacobsohn sei das Schicksal erspart geblieben, das seinen Nachfolger Carl von Ossietzky noch erwartete, was leider den vorausschauenden, fortschrittlichen Blick Jacobsohns ein wenig verdreht und aus der für uns vergangenen (und nie stattgefundenen) Zukunft eine sich schon deutlich abzeichnende macht, die ihre Schatten in die Vergangenheit wirft. Der Erfahrungshaushalt der porträtierten Person gerät dabei bedauerlicherweise hier und da, aber zum Glück nicht zu oft, ein wenig aus dem Licht.

Titelbild

Stefanie Oswalt: Siegfried Jacobsohn. Ein Leben für die Weltbühne. Eine Berliner Biographie.
Bleicher Verlag, Gerlingen 2000.
293 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3883506656

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