Der Mythos von der überlegenen deutschen Führungskunst

Christian Stachelbecks operationsgeschichtliche Studie über den Einsatz der 11. bayerischen Infanteriedivision im Ersten Weltkrieg ist zu einseitig angelegt.

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer noch erscheint es auf den ersten Blick erstaunlich, dass sich das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg trotz seiner deutlich geringeren Ressourcen mehr als vier Jahre lang gegen eine Welt von Feinden behaupten konnte. Was aber befähigte deutsche Truppen dazu, taktisch so effektiv zu agieren, dass sie ihren personell und materiell überlegenen Gegnern so lange widerstehen konnten? Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam, Christian Stachelbeck, hat sich zur Klärung dieser Frage mit der Geschichte der 11. Bayerischen Infanteriedivision befasst, die ihren ersten Großeinsatz in der Durchbruchsschlacht von Tarnow-Gorlice im Frühsommer 1915 erlebte und danach an fast allen Fronten des Weltkrieges gekämpft hat.

Militärische Effektivität versteht der Autor in seiner Studie als Fähigkeit eines militärischen Verbandes, mit den vorhandenen Mitteln ein hohes Maß an Kampfkraft zu erzielen. Waren hierin die Deutschen tatsächlich erfolgreicher als ihre Gegner auf Seiten der Entente?

Auf der Basis einer vorzüglichen Quellenlage – die Truppenakten der Division haben sich im Münchner Kriegsarchiv erhalten – analysiert Stachelbeck die militärische Leistungsfähigkeit eines Großverbandes der mittleren Ebene, seine Anpassung an die Erfordernisse unterschiedlicher Kriegsschauplätze und die Fähigkeit seiner Führung, taktische Lehren zu ziehen und rasch umzusetzen. Nach einer knappen einleitenden Schilderung der Divisionsgeschichte untersucht der Verfasser, mit welchen Methoden Kommandeur und Führungspersonal der Division militärische Effektivität im Laufe des Krieges sicher zu stellen versuchten. Den taktischen Erfahrungen aus den verschiedenen Einsätzen und den Methoden der Kampfmotivationen widmet Stachelbeck jeweils seine beiden Hauptkapitel.

Zu einem eindeutigen Befund gelangt er dabei jedoch nicht. Eine grundlegende Modernisierung in Taktik und Menschenführung verhinderten offenbar nicht nur Engpässe in Ausstattung und Personalersatz, sondern auch die Kontrollbedürfnisse eines Offizierkorps, das überwiegend noch in traditionellen Kategorien dachte und einer größeren Selbständigkeit auf den unteren Ebenen misstraute. Die Division wählte daher im Krieg einen vorsichtigen Mittelweg, der taktische Innovationen zwar zuließ, doch hinsichtlich Menschenführung und Motivation eher alten Bahnen verpflichtet blieb.

So erwog der langjährige Divisionskommandeur, Paul Ritter von Kneußl, nach dem ernüchternden zehnwöchigen Einsatz seiner Division vor Verdun, die dezimierten und zum Teil demoralisierten Regimenter an einem letzten Angriff teilnehmen zu lassen, um so doch noch mit einem militärischen Erfolg abziehen zu können. Ohne diesen versöhnlichen Abschluss fürchtete er um die Moral seiner Leute. Das Beispiel des misslungenen und verlustreichen Einsatzes vor Verdun zeigt indes, dass schon die Grundthese von der Überlegenheit deutscher Verbände gegenüber ihren Gegnern in Zweifel gezogen werden muss.

Militärisch erfolgreich war die 11. bayerische Infanteriedivision, wie die Untersuchung zeigt, tatsächlich nur dort, wo sie gegenüber dem Gegner, etwa Russen und Rumänen, eine artilleristische und numerische Überlegenheit aufbieten konnte. Stachelbeck beschränkt sich zudem in seiner Untersuchung auch auf die Bereiche Taktik und Führung, die wichtige Komponente des Nachschubs vernachlässigt er dagegen vollkommen. Hatte eine effektive Verteilung der knappen Ressourcen etwa keine Konsequenzen für die Kampfkraft einer Division?

Selbst wenn es Stachelbeck gelungen wäre, mit seinem eng geführten Ansatz eine vergleichsweise höhere Effektivität der bayerischen Division nachzuweisen– er hätte dazu allerdings auch mindestens einen Großverband der Gegenseite zum Vergleich heranziehen müssen – so würde dies doch nur bedingt die erstaunliche Widerstandskraft des deutschen Heeres erklären.

War es nicht eher die Möglichkeit der Heeresleitung, mit Hilfe rascher Eisenbahntransporte von einer Front zur anderen die klassische Strategie der Inneren Linie verfolgen zu können, die das numerisch unterlegene Heer zu einem immerhin vierjährigen Widerstand befähigt hat? Es erscheint daher fragwürdig, die deutsche Durchhaltefähigkeit mit Hilfe taktischer Innovationen und Motivationsmethoden auf der Divisionsebene erklären zu wollen, ohne die strategischen Rahmenbedingungen wenigstens zu erwähnen. Dieses Versäumnis und auch der unterlassene Vergleich mit gegnerischen Großverbänden lassen Stachelbecks Untersuchung insgesamt tautologisch erscheinen.

Als Meilenstein der Operationsgeschichte, wie etwa Karl-Heinz Friesers Blitzkrieg-Legende, kann Stachelbecks Untersuchung kaum angesehen werden. Dazu ist sie zu eng angelegt und dazu hätte er auch mit der immer noch gerne gepflegten Legende von der taktischen Überlegenheit deutscher Verbände gegenüber ihren alliierten Gegnern gründlicher aufräumen müssen. Die Befunde dazu hat er immerhin reichlich geliefert, ohne sie allerdings zu nutzen.

Titelbild

Christian Stachelbeck: Militärische Effektivität im Ersten Weltkrieg. Die 11. Bayerische Infanteriedivision 1915 bis 1918.
Schöningh Verlag, Paderborn 2010.
427 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-13: 9783506769800

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