Ich lese Ihre Bücher nicht

Josef Winkler hat aus der Dankesrede zum Büchnerpreis eine Publikation gemacht

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich lese Ihre Bücher nicht, aber wir können ja trotzdem Freunde bleiben.“ Das soll Georg Rudesch zu Josef Winkler gesagt haben. Freunde sind sie geblieben. Und auch wenn Rudesch Winklers Gotteslästerungen nicht sonderlich zugesprochen haben, waren beide mit ihrem künstlerischen Schaffen zum einen in der Malerei, zum anderen in der Literatur miteinander verbunden.

Neben Rudesch tauchen bekannte Figuren in Winklers Text, wie etwa auch Jean Genet, auf. „Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär“ gibt das Programm des Buches an, das erneut in die Biografie des Schreibenden eintaucht. Seit seinem Debüt „Menschenkind“ (1979) thematisiert Winkler nicht nur das Schreiben, und die damit verbundene Möglichkeit, der Sprache, erzählend Realität zu schaffen, sondern auch das sich Los-schreiben. Immer wieder sind dabei die erlebten katholischen Strukturen, in denen er aufwuchs, von Bedeutung. Sein Geburtsort, den er in seinem schriftstellerischen Debüt nur als K. bezeichnen konnte, wird gleich zu Beginn konkret benannt: „Es gab in diesem im Winter tiefverschneiten, kreuzförmig gebauten Kärntner Dorf Kamering, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin und das im Jahre 1887 an einem windigen Spätsommertag nach der eingebrachten Heuernte von auf einer Tennbrücke zündelnden Kindern zur Gänze eingeäschert und danach wieder kreuzförmig aufgebaut worden war, keine Romane zu lesen, keine Kinderbücher, keine Bibel, nur Gebetsbücher mit Litaneien.“

Winklers Kindheit wird hier wiederholt beschrieben, als Variation, als Realitätserschaffung. Allein das Aussprechen von Worten resultiert in der Schaffung von Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit muss laufend neu geschaffen werden. So ist kein Wort, kein Satz, keine Erzählung und kein Buch zu viel. Die Realität so zu beschreiben, als ob sie nicht existiert, markiert den Zweifel an der Sprache – gleichzeitig jedoch auch den Glauben an sie. Obwohl Winkler feststellt, dass alles, was er schreibt, im Zeichen seiner frühen Sozialisation entsteht: So etwa seine Beschreibungen der Leichenbegängnisse am Ufer des Ganges, die er aus seiner Sicht im Ton einer katholischen Litanei beschrieb.

In vier Kapiteln umkreist Winkler sein eigenes Werk und zeichnet dessen Entstehung nach. Darüber hinaus erzählt er Konfrontationen mit den beschriebenen Menschen nach den jeweiligen Veröffentlichungen der Bücher. Dabei schildert er Gespräche mit Vater und Mutter, aber auch die Folgen der literarischen Niederschrift der Kindheit von der „Russin“ Njetotschka Iljaschenko in „Die Verschleppung“ (1984).

„Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär“ ist somit ein literarisches Schlüsselbuch zu Winklers Werk, in dem er sich selbst als Schriftsteller und Realitätsschaffender thematisiert. Im Jahr 2008 erhielt Winkler den Büchnerpreis. Aus seiner damaligen Rede ist ein Buch entstanden, das nicht der Autor Winkler beschreibt, sondern auch der Frage nach dem künstlerischen Schaffen allgemein auf der Spur ist. In dieser Art und Weise verfolgt Winkler andere künstlerische Biografien wie etwa die des Künstlers Chaim Soutine, der ab dem Jahr 1913 in Paris den Plan verfolgt, Maler zu werden. Im Vordergrund stehen dabei immer Überlegungen zu künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Winklers Text führt aber nicht nur nach Frankreich, sondern auch nach Italien, Indien und Mexiko – bis er letztendlich wieder im wilden Kärnten landet.

Titelbild

Josef Winkler: Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär. oder Die Wutausbrüche der Engel.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
163 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-13: 9783518421376

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