Wer mich nicht liebt, den lehr ich, mich zu hassen

Christopher Marlowes Dramen in neuen Übersetzungen

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Haben Sie keine Lust mehr auf die lahmende Psychologie des bürgerlichen Normaltheaters? Träumen Sie von einem handlungsreichen Situationstheater, einer „schnellen Sprache“ (Sartre), starken Sprüchen, einander ebenbürtigen Widersachern, bei denen nicht von vorn herein ausgemacht ist, wer allemal Recht hat?

 

Warten Sie nicht auf bessere Zeiten. Lesen Sie Marlowe: Christopher Marlowe, den bekanntesten Kollegen Shakespeares, wie dieser geboren 1564, anders als dieser aber jung gestorben, und nicht etwa wie Shakespeare 1616 als vermögender Bürger eines natürlichen Tods, sondern gewaltsam in einer möglicherweise inszenierten Messerstecherei 1593, also durch Mord.

Skandalumwittert wie sein Tod war auch sein Leben: Als Spion der Königin in Frankreich und Holland unterwegs, als Raufbold in einen Fall von Totschlag verwickelt, als Denker eines aggressiven Atheismus und des Leugnens aller Tugend verdächtigt, als Homosexueller angeschwärzt. Aber ein genialer Autor ohne Zweifel, der „beste Poet seines Zeitalters“, wie der neun Jahre jüngere Thomas Heywood meinte.

Marlowe hat Lucan übersetzt, einige Elegien aus Ovids „Liebeskunst“ (die die Ehre hatten, vom Erzbischof in Canterbury verbrannt zu werden), das Fragment eines Epos nach Musaeus‘ „Hero and Leander“ mit vollendet schönen Versen hinterlassen – doch vor allem gründet sich sein Ruhm auf die Dramen, von denen gemeinhin sieben erhaltene als echt erachtet werden: „The Tragedie of Dido“, „Tamburlaine the Great [the first part]“, „Tamburlaine the Great, the second part“, „The Massacre at Paris“, „The Famous Tragedy of the Rich Jew of Malta“, „The Tragicall History of the Life and Death of Doctor Faustus“ und „The Troublesome Raigne und Lamentable Death of Edward the Second, King of England“, allesamt geschrieben zwischen 1585 und 1593, erstmals gedruckt zwischen 1590 und 1633.

Dass Marlowe die erste dramatische Bearbeitung der „Faust“-Sage überhaupt verfasste, hat ihm stets einige Aufmerksamkeit in Deutschland verschafft; das Stück wurde denn auch am häufigsten übertragen, zum ersten Mal 1818 von Wilhelm Müller. Auch „Edward II.“ ist als angeblich ‚reifstes‘, d. h. den Historien Shakespeares am nächsten stehendes Stück Marlowes mehr als einmal übersetzt worden, desgleichen der „Jude von Malta“, der als Prätext für Shakespeares „Merchant of Venice“ gilt. Noch nie aber sind Marlowes Dramen insgesamt ins Deutsche übertragen worden.

Diesem Skandalon Abhilfe zu schaffen nahmen sich gleich zwei Verlage vor, der Frankfurter Eichborn Verlag und der Nordheider Verlag Uwe Laugwitz. Während letzterer in einem schmucklosen Bändchen („Marlowes Dramen“, Band 1) bislang nur Dietrich Schamps aus dem Jahr 1972 stammenden Übersetzungen des „Massakers von Paris“ und der „Historie von Doktor Faustus“ druckte, legte Eichborn in seiner Berliner Reihe die ganz neue Übertragung aller Marlowe-Stücke aus der Feder des Wiener Schriftstellers Wolfgang Schlüter vor.

Marlowes „Sämtliche Dramen“ sind in einem attraktiven schwarzen Leinenband mit blutroter Prägeschrift erschienen, edel ausgestattet, gut gedruckt, sicher eines der schönsten Bücher des letzten Jahres. Die Sammlung ist keine philologische Ausgabe; Schlüter folgt ohne eigene editorische Ambition der englischen Ausgabe von J. B. Steane (1969). Er versteht seine Übersetzung als eigenständiges Stück deutscher Literatur, nicht als bloße Übertragung. Damit will er die „manieristische Stilmixtur“ rechtfertigen, die er schon Marlowe unterstellt, selbst aber bis zum Exzess treibt. Archaismen, Anachronismen und modernistische „Einschüsse“ sind dann keine Stilbrüche mehr, sondern Zeichen einer bewusst gehandhabten „Textregie“, in der die Sprache selbst zum Akteur wird und wo mit „Wortscheinwerfern scharfe Schlaglichter“ geworfen werden.

Ob damit aber wirklich die dialektale Verwienerung des „Juden von Malta“ zu rechtfertigen ist, der bei Schlüter zum „Jid“ wird und „Na servas“, „Je schauts“, „A gehts“ und „alstern“ sagt? Oder die verbale Maskierung des Tamburlan zum „Gewaltmenschen im Boss-Anzug, gewissermaßen mit Dreitagebart, Ohrring, Handy und Pferdeschwanz“? Oder der unsägliche Anfang von Fausts erstem Monolog: „Schalt mal den Laptop aus, Faust. Und fang an, / die Tiefe deiner Profession recht auszuloten“?

Man wird misstrauisch, ob die forcierte Verteidigung von Stilmischmasch und Slanggebrauch nicht auch die Kaschierung übersetzerischer Unbekümmertheit ist. Zumal man auch auf offenbares Unverständnis des Originals stößt; etwa die Antwort Anjous im „Massaker zu Paris“, der des Guise Aufforderung, resolut durchzugreifen, mit dem unsinnigen Satz beantwortet: „Bei diesem Kreuz schwör ich: wir nehmen nicht Partei, / sondern ermorden jeden, dem wir uns nur nähern.“ Da muss man doch mal rasch bei Marlowe schauen, was da eigentlich steht: „I sweare by this crosse, wee‘l not be partiall, / But slay as many as we can come neer.“ Aha! Und so übersetzt Schamp den Satz: „Ich schwör bei diesem Kreuz, wir wollen’s nicht halb tun, / Sondern so viele töten, wie wir fassen!“ Er hat’s schlicht verstanden.

In der Tat ist Schamps Übersetzung grundsätzlich getreuer. Besser als Schlüter weiß er eine Grundregel des Übersetzens in Acht zu nehmen, nämlich sich vor „falschen Freunden“ zu hüten. Doch uneingeschränkt lässt sich Schamps Übertragung auf Kosten Schlüters nicht loben. Dessen ausgeprägter Wille zu einer gewaltigen Sprache entspricht Marlowes exzessivem Ausdrucksgebaren denn doch mehr als die vielleicht philologisch korrektere, aber sprödere Schreibart Schamps. Beliebiges Beispiel aus demselben Stück: „Now Guise begins those deepe ingendred thoughts / To burst abroad those neuer dying flames, / Which cannot be extinguisht but by bloud“, beginnt der Schurke im „Massaker“ seinen ersten großen Monolog. In Schamps Übersetzung: „Jetzt, Guise, beginnt dein tief gezeugtes Sinnen, / Jenes nie sterbende Feuer auszubreiten, / Das man mit nichts mehr löschen kann als Blut!“ Schlüter: „Jetzt, Guise, brechen die aus der Tiefe lodernden Gedanken / zu einem unlöschbaren Flächenbrand hervor, / den nur noch Blut austilgen kann.“

Lassen wir den Vergleich auf sich beruhen. Zu hoffen ist, dass die doppelte Bemühung um Marlowes dramatisches Werk vielleicht den Durchbruch des neben Shakespeare bedeutendsten Theaterautors aus dem elisabethanischen England in deutscher Sprache einläuten könnte. Allerdings steht zu befürchten, dass der Coup des Eichborn Verlags den Plan einer alternativen und sprachlich weniger manierierten Gesamtausgabe der Stücke Marlowes im Laugwitz Verlag im Keim erstickt.

Dass aber die Zeit für eine Marlowe-Renaissance da ist, steht außer Frage. Was die Zeitgenossen damals irritierte, geht uns heute an: die dramatische Dekonstruktion aller ethischen Gewissheiten, die vollkommen diesseitige Selbstbezogenheit Marlowe’scher Egomanen. „Vielleicht weniger kunstvoll, gewiß radikaler als Shakespeare hat Marlowe die Widersprüche der heraufziehenden neuzeitlichen Gesellschaft zur Sprache gebracht. Sein Jude ist ein Modell des modernen Menschen in seiner transzendenten Heimatlosigkeit und seiner immanenten Geldgier, sein ironischer Heroismus besteht im Verzicht darauf, die alten Heilsversprechen durch neue zu ersetzen.“ So Friedmar Apel in einem Essay, der mit Erich Frieds „schöner Übersetzung“ (Schlüter) des „Jew of Malta“ im Wagenbach-Verlag erschienen ist. Apels Bemerkungen gelten nicht nur für den „Juden von Malta“, sondern für alle Stücke Marlowes, nur dass nicht immer das Geld im Vordergrund steht, sondern mehr noch sonst die Macht und die Liebe (genauer gesagt: das Geliebtwerden), worum Marlowes Protagonisten rücksichtslos kämpfen. Intellektueller Verrat sei die Signatur des 20. Jahrhunderts, meinte Margret Boveri; Verrat ist die Signatur der Bühnenwelt Marlowes, und schon insofern ist dieser Schriftsteller aktuell, aktueller vielleicht denn je.

Titelbild

Christopher Marlowe / Erich Fried: Der Jude von Malta.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1991.
163 Seiten, 9,60 EUR.
ISBN-10: 3803121906
ISBN-13: 9783803121905

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Titelbild

Christopher Marlowe: Das Massaker von Paris. Die Historie von Dr. Faustus. Vorwort von Dietrich Schamp.
Verlag Uwe Laugwitz, Buchholz 1999.
182 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3933077044
ISBN-13: 9783933077042

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Kein Bild

Christopher Marlowe: Sämtliche Dramen. Aus d. Engl. v. Wolfgang Schlüter.
Eichborn Verlag, Berlin 1999.
700 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3821806818

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