Endspiel

Don Winslow setzt die Reihe seiner großen Experimentalromane fort. Mit „Zeit des Zorns“ verzichtet er jedoch auf das Märchenende

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter den Kriminalromanen gibt es eine Sparte, die als Experimentalanordnung angelegt ist. Hier geht es dann darum, zu sehen, wie sich ein Fall entwickelt, wenn die Beteiligten mit bestimmten Ausstattungen und Kontexten versehen werden. Es geht nicht zuletzt darum herauszufinden, wie Tat und Täter zusammengebracht werden können, was immer wieder Nachfragen bei den Bedingungen generiert, wie so etwas wie eine geschlossene Erkenntniskette hergestellt werden kann. Immer wieder müssen die Protagonisten aus unentrinnbaren Konstellationen befreit werden, und das Ziel dabei ist es, die Heldinnen und Helden einigermaßen ungeschoren davonkommen zu lassen. Nicht also die literarische Form interessiert die Schreiber in diesen Fällen, sondern die soziale Konstellation, was für einen konstruierten Text (wie Erika Mann Krimis bezeichnet hat), immerhin naheliegend ist.

In den schlechteren Fassungen solcher Romane muss dann der eine oder andere deus ex machina her, um Held oder Heldin zu retten. Das darf auch schon mal ein Delfin sein, auf dem der/die Betreffende reitet, oder ein Surfbrett, wie im letzten in Deutschland erschienenen Roman von Don Winslow („Bobby Z“, der allerdings nicht schlecht war, sondern ein wenig versonnen mit solchen Elementen spielte).

In den guten wird die Komplexität des Gesamtzusammenhangs nach und nach entwirrt und die gegenläufigen, vielfach verschnittenen und einander überlagernden Aktivitäten der Figuren führen, wenngleich in einem hohen Bogen, zu einer Lösung, die immer noch plausibel ist, manchmal überraschend, nie jedoch einfach.

Zu den Grundproblemen, mit denen sich solche Arbeiten auseinandersetzen müssen, gehört der Zufall, gehört die Kontingenz des Geschehens und gehört eben auch, dass sich die Konsequenzen von Handlungen nie präzise vorhersehen lassen, dass sie zudem auch nie völlig zu begrenzen sind. Aus A folgt nicht B, sondern irgendwas, vielleicht eben C, und eben nicht C2, D oder was auch immer. Beherrschung der Handlung wird also zum zentralen Merkmal, und Don Winslow ist, was das angeht, einer der Meister des Genres, wie er eben auch in „Zeit des Zorns“ zeigt.

Und daran lässt sich festhalten, auch wenn dieser Roman von Anfang an auf sein desaströses Ende zuläuft. Denn auch das muss gekonnt sein, ein vorhersehbares Ende so zu gestalten, dass es nicht nur zum Rest passt, sondern auch noch seine Leser mitnimmt. Winslow kann.

Zwei erfolgreiche Marihuana-Anbauer und -Dealer in Kalifornien erhalten ein Angebot, das sie nicht ablehnen können. Ein mexikanisches Kartell will ihren Laden übernehmen, sie aber nicht ersetzen, sondern zu Lieferanten machen. Ihr Dope ist zu bekannt und zu gut, als dass man es durch Massenware ersetzen könnte. Um das Geschäft zu erhalten und optimaler zu gestalten, muss man die Alteigentümer fein dabei lassen.

Nur die haben wenig Lust dazu. Der eine der beiden, Ben, beschäftigt sich mit der Rettung der Welt oder zumindest von Teilen, der andere, Chon, schaut darauf, dass das Geschäft seinen gewohnten Gang geht. Die beiden sind ein kongeniales Paar, eben nicht nur im Marihuana-Anbau, sondern auch im Beachvolleyball, und erst recht darin, sich gegen Kartelle aus Mexiko zu wehren.

Allerdings bleibt dabei zu beachten, dass Drogenkartelle genregerecht nicht mit sich verhandeln lassen. Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, sollte man auch nicht ablehnen. Heutzutage wäre es dann nämlich nicht mit abgeschnittenen Lieblingspferdeköpfen getan. Da könnte der eigene Kopf – mit großer Wahrscheinlichkeit – dran glauben müssen.

Das wissen auch Ben und Chon, aber es schert sie nicht. Sie wollen ohnehin aussteigen, und wenn sie nicht wollen? Dann werden sie eben gezwungen. Hebel ist in diesem Fall eine junge Frau namens O (für Ophelia, für die ganz Schlauen), die mit beiden Männern schläft und vom Kartell entführt wird. Wenn Ben und Chon nicht funktionieren, dann wird eben sie geköpft. Oder sie zahlen eben mal 20 Millionen. Auch ein Deal.

Von da ab geht das Kräftemessen der beiden Parteien heftigst weiter. Es gibt jede Menge Leichen, ein Hin und Her, das sich sehen lassen kann. Und das von Winslows Schreibweise höchst interessant begleitet wird. Denn Winslow radikalisiert nicht nur die von amerikanischen Unterhaltungsromanschreibern bekannte Verknappung der Kapitel. Er reduziert seine Erzählabschnitte zum Teil auf nur noch wenige Zeilen. Er macht noch mehr. Er springt zwischen den Spielorten und Erzählweisen beinahe beliebig. Er greift sogar die Satzstruktur an – und das alles geht nicht zu Lasten der Lesbarkeit, sondern befördert sie noch. Winslows „Zeit des Zorns“ ist von derartiger Atemlosigkeit, dass man am Ende – leider – nur wenig Zeit mit dem Roman verbracht hat. Auch das ein Qualitätsmerkmal.

Titelbild

Don Winslow: Zeit des Zorns. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
340 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518463000

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